„Schwachkopf“-Debatte: Friedrich Merz stellte Strafantrag wegen Beleidigung – Hausdurchsuchung!

Nicht nur Robert Habeck: CDU-Chef Friedrich Merz hat ebenfalls Strafanträge wegen Beleidigungen gestellt – in einigen Fällen gab es auch Hausdurchsuchungen.

Die gelernte Krankenschwester aus Haßberge in Unterfranken war wütend an diesem Tag im Oktober 2023. Gerade hatte Friedrich Merz auf dem Kurznachrichtendienst X über die Ampelregierung und ihren Cannabis-Beschluss gelästert. „Wir als @cducsubt werden mit aller Kraft dafür kämpfen, dass die von der #Ampel bei ihrer letzten Therapiesitzung auf Schloss Meseberg geplante Legalisierung des Rauschmittels #Cannabis nicht kommt“, schrieb der Unionsfraktionschef. 

Die 50-Jährige, selbst in Psychotherapie und von der Formulierung aufgebracht, kommentierte: „Eure Wortwahl ist wirklich unter aller Sau. ‚Therapiesitzung‘ in diesem Kontext ist für psychisch kranke Menschen ein Schlag ins Gesicht. Löscht euch ihr Arschlöcher.“

Friedrich Merz unterschrieb Strafantrag persönlich

Ein Kommentar, den die Frau noch sehr bedauern sollte. Anfang Mai 2024 erhielt sie ein Schreiben der Polizei, in der sie zu einer Anhörung gebeten wurde. Friedrich Merz hatte persönlich einen Strafantrag gegen sie gestellt.

In diesem August kam es in der Sache zur Verhandlung. Gegen eine Geldauflage von 1000 Euro wurde das Verfahren eingestellt. Ihren Post hat die Frau gelöscht, sich entschuldigt. Der Anwalt der Frau aus Bayern, Horst Soutschek, kann verstehen, dass Politiker Beleidigungen zur Anzeige bringen. Das Internet sei kein rechtsfreier Raum, sagt er, findet aber in diesem Fall: „Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“

Auch der Umweltaktivist Tadzio Müller wurde von Friedrich Merz für Tweets im Herbst 2023 angezeigt. Er hatte als Reaktion auf einen Kommentar des CDU-Chefs zum Asylrecht diesem „schamfreie Arschlochhaftigkeit“ vorgeworfen und ihn in einem weiteren Post als „rassistisches Arschloch“ bezeichnet. Beide Verfahren laufen noch. Müller ist sich keiner Schuld bewusst. Er sieht die Anzeigen als Versuch, ihn einzuschüchtern: „Es geht nicht um eine Beleidigung oder Ehrverletzung. Es geht darum, Leute wie mich aus dem öffentlichen Diskurs herauszudrängen.“

Ein Beleidigungsvideo mit Katze gegen Merz

Eingestellt wurde hingegen das Verfahren gegen einen Mann, der im Herbst 2023 das Video einer Wasser schlabbernden Katze auf X mit den Worten gepostet hat: „Friedrich Merz, sobald ihm ein Nazi den Arsch hinhält.“

Das wollte sich der CDU-Politiker nicht bieten lassen und zeigte den Mann an. Doch der wehrte sich mit seinem Anwalt – und das erfolgreich.

5 Stolpersteine für Merz 12.10

Das Katzenvideo, das der User mittlerweile gelöscht hat, bleibt straffrei. Der Anwalt hatte mit Kunstfreiheit argumentiert.

Staatsanwaltschaft gibt endlich Auskunft

Seit Tagen tobt in den sozialen Netzwerken eine Debatte über die Frage, ob Politiker sich juristisch gegen Beleidigungen wehren – und welche Konsequenzen diese Anzeigen haben sollten. 

Ausgelöst wurde die Diskussion durch eine Hausdurchsuchung bei einem 64-jährigen Rentner aus Bayern, der auf X einen Post retweetet hatte, in dem Vizekanzler Robert Habeck in Abwandlung eines Logos der Firma Schwarzkopf als „Schwachkopf“ bezeichnet wurde. Das Vorgehen löste bei vielen Menschen in den sozialen Netzwerken Empörung und eine Debatte über Verhältnismäßigkeit aus. Auch der stern berichtete über den Fall. 

Die Staatsanwaltschaft teilte nun in einer Pressemitteilung mit, die Hausdurchsuchung sei bereits vor Habecks Strafantrag beantragt und vom Amtsgericht genehmigt worden. Zuvor hatte sie tagelang zu dieser Frage keine Stellung beziehen wollen.

Das sagt Robert Habeck

Habeck erklärte hinterher, er sei erst von der bayerischen Polizei auf die Beleidigung aufmerksam gemacht worden. „Natürlich“ sei ‚Schwachkopf‘ nicht die schlimmste Beleidigung, die jemals ausgesprochen wurde“, sagte er der ARD. Doch habe er zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen, Beleidigungen ahnden zu lassen. 

Auf die Hausdurchsuchung hatte Habeck keinen Einfluss. Es ist Sache der Strafverfolgungsbehörde, welche Maßnahmen sie bei den Ermittlungen einleitet. Politische Gegner von Habeck warfen dem Grünen-Politiker aber vor, zu empfindlich auf eine relativ „harmlose“ Beleidigung reagiert zu haben und damit die Meinungsfreiheit zu gefährden.

Hausdurchsuchung wegen „Suffkopf“

Doch die stern-Recherchen zeigen: Auch Friedrich Merz ging immer wieder gegen Beleidigungen im Netz vor. Ein von ihm unterschriebener Sammelantrag vom 23. Oktober 2023, der dem stern vorliegt, zeigt dabei die Bandbreite. In den beanstandeten Posts wird Merz von verschiedenen Personen als „Wichser“, „korrupter Faschist“ und „widerliches Arschloch“ bezeichnet. Alles Beleidigungen, die auch jenseits des Netzes strafbar sind.

„Friedrich Merz lässt Beleidigungen gegen seine Person in den sozialen Medien strafrechtlich verfolgen“, bestätigte ein Sprecher dem stern. Daraus resultierende Schadenersatzzahlungen und Geldstrafen spende Herr Merz „in voller Höhe für soziale Zwecke im Hochsauerlandkreis“. 

Wie oft der Unionsfraktionschef einen Strafantrag wegen Beleidigung stellte, will der Sprecher nicht sagen. 

In mindestens zwei Fällen kam es nach einem Strafantrag des CDU-Chefs nach stern-Informationen zu einer Hausdurchsuchung. Im ersten Fall hatte eine X-Nutzerin unter dem Pseudonym „schwester-esther“ Merz in einem Post am 10. September 2023 als „Nazi“ bezeichnet.

Habeck Kanzlerkandidaten-Kür

Sechs Monate später klingelte es bei ihr an der Haustür, zwei Polizeibeamte standen davor, mit einem Durchsuchungsbeschluss. Noch heute ist die Frau, die nach eigenen Angaben im Rollstuhl sitzt, den Tränen nah, wenn sie davon erzählt: „Ich habe in meinem ganzen Leben nie jemandem etwas getan.“ Sie fühlt sich eingeschüchtert. Ihr Profil auf X hat sie inzwischen gelöscht.

Ihr Anwalt, Jannik Rienhoff, bestätigte gegenüber dem stern die Hausdurchsuchung. Er hat insgesamt fünf Menschen vertreten, die von Friedrich Merz angezeigt wurden, unter ihnen auch den Mann mit dem Katzenpost und Tadzio Müller. Rienhoff sieht die Anzeigen kritisch: Manche Äußerungen seien zwar strafbar. „Die meisten Fälle sind aber Nichtigkeiten, hier sollte ein so mächtiger Politiker drüberstehen.“ Ein Vorwurf, der auch Robert Habeck gegenüber erhoben wurde.

Hausdurchsuchung nach „Suffkopf“

Welche drastischen Folgen es haben kann, Merz im Netz zu beleidigen, erfuhr auch ein Mann aus Stuttgart. Auch bei ihm war ein Kommentar auf X der Anlass. Er hatte dort einen Post von Merz zur Legalisierung von Cannabis mit „Fresse drecks suffkopf“ beantwortet. 

Auch hier stellte Merz Strafantrag. Weil der Beschuldigte die Aussage verweigerte, beantragte die zuständige Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung, die vom Amtsgericht genehmigt wurde. Im Beschluss heißt es: „Die Durchsuchung und Beschlagnahme steht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts und ist für die Ermittlungen notwendig.“ Bei der Durchsuchung wurden unter anderem das Handy und der Laptop des Mannes konfisziert. 

Gericht nennt Durchsuchung „rechtswidrig“

Der Betroffene legte Beschwerde ein und bekam Recht. Das Landgericht Stuttgart urteilte, die Durchsuchung sei „rechtswidrig“ gewesen. Das Strafverfahren wegen Beleidigung läuft noch.

Konstantin Grubwinkler ist Strafverteidiger und Mitgründer der Kanzlei, die den Stuttgarter vertreten hat. „Eine Hausdurchsuchung ist ein schwerer Eingriff in die im Grundgesetz festgehaltene Unverletzlichkeit der Wohnung“, sagt der Jurist: „Für die Betroffenen ist es ein extremer Fall, wenn die Polizei plötzlich im Schlafzimmer steht. Deshalb muss ein solcher Eingriff auch immer im Verhältnis zur Schwere der Tat stehen.“

„Das steht in keinem Verhältnis“

Dies ist nach Ansicht des bayerischen Strafverteidigers aber weder im Fall der Habeck-Beleidigung noch in dem des Mannes aus Stuttgart gegeben: „Für die öffentliche Beleidigung gibt es Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren.“ Eine Hausdurchsuchung wegen solcher „Bagatelldelikte“ stehe „in keinem Verhältnis zum Strafmaß, das zu erwarten ist“. 

Das Problem sei dabei nicht, dass Politiker gegen Beleidigungen vorgehen würden, so Grubwinkler. Sondern, dass Gerichte in solchen Fällen Hausdurchsuchungen bewilligten. Grubwinkler warnt: „Wenn Kleinstfälle wie diese von Richtern durchgewunken werden, verschieben sich Grenzen. Wenn künftig bei jeder Beleidigung die Wohnung durchsucht wird, verlassen wir den Boden des Rechtsstaats.“