Gewalt gegen Polizisten: Polizist erinnert sich an Messerangriff: „In dem Moment sah ich, wie er in eine Kiste griff“

Vor vier Jahren wurde der Polizist Benedict Brunner* im Dienst mit einem Messer attackiert. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Rouven L. in Mannheim hatte er Glück und blieb unverletzt. Hier schildert er, wie er den Vorfall erlebt hat und was ihm half, das Trauma zu verarbeiten.

Der Polizist Benedict Brunner* (28, Name von der Redaktion geändert) ist seit drei Jahren Polizeikommissar. Vor vier Jahren wurde er Opfer eines Messerangriffs. Brunner studierte damals noch an der Polizeihochschule und absolvierte ein Praktikum. 

Es passierte am vorletzten Tag meines Praktikums bei einer kleinen Dienststelle. Kurz vor Dienstschluss bekamen wir einen Anruf: Ein Mann informierte uns, dass sein Stiefsohn in der Wohnung randalierte. Gemeinsam mit meinem Praxisanleiter fuhren wir mit Blaulicht und Martinshorn zur angegebenen Adresse. 

„Wenn ihr reinkommt, geht’s hier rund“

Als wir ankamen, stand der Stiefvater vor der Haustür und informierte uns grob, was passiert war. Sein Stiefsohn, ein Anfang Zwanzigjähriger, hatte sich in der Wohnung verbarrikadiert und schrie herum. Wir gingen zur Wohnung, gaben uns als Polizisten zu erkennen und versuchten, durch die geschlossene Tür mit dem Randalierer zu kommunizieren. Er schrie: „Wenn ihr reinkommt, geht’s hier rund.“ Man hörte, dass er sich in einem Ausnahmezustand befand. 

Ich fragte den Stiefvater nach dem Vornamen des Sohnes. Als ich ihn damit ansprach, schien er sich etwas zu beruhigen. Ich bat ihn, die Tür aufzumachen, damit wir uns unterhalten könnten. Mein Praxisanleiter stand direkt an der Tür, ich einen halben Meter dahinter. Der Mann machte einen kleinen Spalt auf. Ich stieß die Tür auf. Er wich ein bisschen zurück, ich stand rund anderthalb Meter von ihm entfernt. In diesem Moment sah ich, wie er rechts in eine Kiste griff, ein Messer mit einer rund 15 Zentimeter langen Klinge herauszog und in Richtung meines Halses zielte.

Die folgenden Ereignisse habe ich später rekonstruieren müssen. Ich war in diesem Moment so unter Adrenalin, dass ich automatisch reagierte. Ich zog die Schusswaffe und brüllte „Messer! Messer!“. So hatten wir es in der Ausbildung gelernt. Auch mein Streifenpartner zog die Schusswaffe. 

„Warum habt ihr mich nicht erschossen?“

Dann passierte etwas Merkwürdiges, was mir bis heute kein Einsatztrainer und kein Psychologe erklären konnten. In dem Moment, in dem wir beide mit der Waffe auf den Randalierer zielten, er in die Mündungen unserer Waffe guckte, signalisierte uns irgendetwas an seiner Körpersprache, dass er nicht angreifen würde. Wir wussten: Wir müssen nicht schießen. Wir hatten beide die Finger am Abzug, aber wir drückten nicht ab. 

Blumen am Tatort in Mannheim, wo am Freitag ein islamistischer Attentäter den Polizisten Rouven L. so schwer verletzte, dass dieser am Sonntag an den Folgen starb.
© epd

Mein Kollege schrie: „Leg das Messer weg, leg das Messer weg!“ Tatsächlich machte der Mann einen halben Schritt nach rechts und legte das Messer weg. Mein Kollege schrie ihn an, er solle sich auf den Boden legen. Als er das nicht tat, drückten wir ihn nieder, legten ihm Handfesseln an. Er sagte nur: „Warum habt ihr mich nicht erschossen?“

Anschließend brachten wir ihn auf die Dienststelle. An die Streifenwagenfahrt habe ich keine Erinnerung mehr. Der Mann hat später bei seiner Vernehmung gesagt, ich hätte ihm im Streifenwagen unter Tränen gesagt, er sei der Grund, warum ich das erste Mal mit einer Waffe auf einen Menschen hätte zielen müssen.

Bei unserer Ankunft nahmen uns die Kollegen den Mann wortlos ab. Wir erstatteten Anzeige wegen des Angriffs. Es stellte sich später heraus, dass er an einer Psychose litt und sich bedroht gefühlt hatte. 

Ich bin zu meiner eigentlichen Streifenpartnerin ins Büro und habe erstmal eine halbe Stunde geweint. Danach liefen die Automatismen. Mein Dienststellenleiter kam auf die Dienststelle und informierte meinen Notfallkontakt, meinen Vater, und zwei Polizeipsychologen. Diese trafen nach einer Dreiviertelstunde ein und sprachen lange mit mir.

Sie sagten, dass das Hirn in solchen Gefahrensituationen von jetzt auf gleich auf 100 Prozent hochfährt und danach eine Zeit braucht, um wieder herunterzufahren. Mein Partner und ich konnten stundenlang keinen klaren Gedanken fassen. Dank des Gesprächs mit den Psychologen konnte ich die Ereignisse sortieren.

Mein Einsatzpartner und ich hatten vor dem Einsatz ein kollegial-professionelles Verhältnis. Seither ist er einer meiner besten Freunde.

Auch mein Vater kam – wie auch meine komplette Dienstgruppe, selbst die, die eigentlich im Frei waren. Sie saßen mit mir noch lange nach Dienstschluss zusammen, wir erzählten uns irgendwas, es ging um das Gefühl, füreinander da zu sein. Das werde ich meinen Kollegen nie vergessen. 

Mein Einsatzpartner und ich hatten vor dem dramatischen Einsatz ein kollegial-professionelles Verhältnis. Seither ist er einer meiner besten Freunde.

Am nächsten Morgen sind wir wieder zur Arbeit gegangen. Damit sich keine Angst festsetzen kann. Es war die richtige Entscheidung. Zwei bis drei Wochen hat mich der Vorfall sehr belastet. Ich schlief schlecht, schreckte nachts hoch. Waren wir mit Blaulicht im Einsatz, kamen die Bilder wieder hoch. 

Als ich zum Studium zurückkehrte, gab mir mein Einsatztrainer Einzelunterricht beim Schießen. Er hat es nie ausgesprochen, aber ich glaube, er wollte mir helfen, dass ich keine Schießblockade in einer akuten Gefahrensituation entwickele. Wir sprachen auch über den Vorfall. Das alles half mir, es zu verarbeiten.

Heute fühle ich mich durch das Ereignis nicht mehr besonders belastet. Ich habe auch keine Angst bei Einsätzen. Aber wenn ich weiß, dass Messer oder andere gefährliche Gegenstände im Spiel sind, bin ich vielleicht etwas aufmerksamer. 

Das Video von der Messerattacke in Mannheim habe ich mir angesehen. Es hat mich an das eigene Erlebnis erinnert, auch wenn der Einsatzkontext ein anderer war. Ich kann nachvollziehen, wie sich die Kollegen vor Ort gefühlt haben müssen.

Die Nachricht vom Tod des Kollegen hat mich schockiert. Zum Glück passiert es in Deutschland nicht so häufig wie in anderen Ländern wie den USA, dass Polizisten im Einsatz sterben. Aber Vorfälle wie der in Mannheim oder auch der Fall in Kusel, wo zwei Wilderer zwei Polizisten ermordeten, führt dazu, dass wir alle etwas aufmerksamer für die Gefahr in unserem Beruf sind.  

An der öffentlichen Debatte stört mich, dass es viel um den angegriffenen Islamkritiker Stürzenberger geht und um die Herkunft die Täters, aber sehr wenig darum, dass ein Polizist gestorben ist, der sein Leben für die Gesellschaft gab. 

Meinen Job liebe ich nach wie vor

Ich würde mir wünschen, dass wir mehr über Gewalt an Einsatzkräften sprechen. Nicht nur über Messerattacken. Vor einem Jahr bin ich bei einem Einsatz mit einem Randalierer verletzt worden, ein Drogenabhängiger, der auf mich einschlug. Gefühlt wird auch die Straße für uns gefährlicher.

Meinen Job liebe ich nach wie vor. Ich freue mich, dass ich Menschen helfen kann. Das treibt mich an. Manchmal bringt man nur die verwirrte Oma nachhause, dann freut man sich noch den ganzen Tag. Auch wenn man es damit nicht in die Nachrichten schafft.