Tierverhalten: Was wir von nassen Hunden über das menschliche Nervensystem lernen können

Nasse Hunde schütteln sich, um sich zu trocknen. Doch was hat das mit unserer Berührungsempfindlichkeit zu tun? Forschende haben eine bisher unbekannte Gemeinsamkeit entdeckt.

Man kennt es: Nasse Hunde schütteln sich ausgerechnet immer dann, wenn man neben ihnen steht. Dieses etwas tollpatschig und unkontrolliert wirkende Verhalten ist enorm wichtig, damit das Tier nicht auskühlt und friert, wenn das Wasser verdunstet. Außerdem verdrängt das Wasser die in den Fellschichten eingeschlossene Luft, die als Isolator dient. Ohne sich trocken zu schütteln, müsste ein Hund bis zu 20 Prozent seiner täglichen Nahrungsaufnahme nur dazu verwenden, sich aufzuwärmen, schätzen Forschende. Einen instinktiven Schüttelreflex zeigen aber auch viele weitere behaarte Säugetiere wie Katzen, Otter, Ratten, Mäuse, Tiger oder Bären – entweder wenn sie nass werden oder um Insekten von Stellen aus ihrem Fell zu entfernen, die sie sonst nur schwer erreichen könnten. Man bezeichnet diese gemeinsame Verhaltensweise auch als „Wet Dog Shake“ (WDS). 

Die Schüttelgeschwindigkeit ist von der Größe des Tiers abhängig

Seit Jahrzehnten interessiert sich die Wissenschaft für dieses Phänomen. Im Jahr 2012 filmten beispielsweise Forschende des Georgia Institute of Technology in Atlanta 16 verschiedene pelzige Tiere und stellten fest: Je kleiner diese sind, desto schneller schütteln sie sich, um Wasser aus ihrem Fell loszuwerden. So drehen sich Mäuse beispielsweise etwa 30-mal pro Sekunde, Hauskatzen neunmal und ein Labrador Retriever schüttelt sich etwa viermal pro Sekunde von einer Seite zur anderen.

Allerdings wusste man bisher nicht, welche neuronalen Prozesse für einen WDS verantwortlich sind. Forschende der Harvard Medical School in Boston fanden nun in der Haut von Mäusen spezielle berührungsempfindliche Rezeptoren namens C-LTMR, welche gezielt einen WDS auslösen können. Beim Menschen dienen ähnliche Rezeptoren der Sinneswahrnehmung über die Haut. Die Studienergebnisse erschienen kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Science“. 

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Um unterschiedlichste Sinneseindrücke wie Hitze, Kälte oder Berührungen zu fühlen, befinden sich auf und in der Haut von Säugetieren verschiedene Arten von Rezeptoren. Einer davon ist der C-Low-Threshold-Mechanorezeptor (C-LTMR), welcher sich um Haarwurzeln wickelt und beim Menschen dazu dient, leichte Berührungen wie kitzeln oder eine sanfte Umarmung wahrzunehmen. Bei Mäusen und anderen Tieren erfüllen C-LTMRs allerdings eine Schutzfunktion. Werden die Rezeptoren durch Wasser, Schmutz oder krabbelnde Insekten und Parasiten stimuliert, folgt ein starker Schüttelimpuls, ein WDS. Dabei reicht ein minimales Biegen der Haare aus, um die C-LTMRs an den Haarwurzeln zu aktivieren. 

So konnten Dawai Zhang und sein Team zeigen, dass bereits ein winziger Tropfen Sonnenblumenöl im Nacken einer Maus im Labor ausreicht, um innerhalb weniger Sekunden einen WDS auszulösen. Mäuse ohne C-LTMRs schüttelten sich hingegen deutlich seltener. Weiterhin war für den WDS eine Gruppe von Nervenzellen im Rückenmark und nahe dem Hirnstamm entscheidend, welche der Verarbeitung von Schmerz, Temperatur und Berührung dienen. 

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Die aktuellen Studienergebnisse helfen Forschenden, besser zu verstehen, wie genau das Gehirn unterschiedliche Bewegungen steuert. So könnten C-LTMRs beispielsweise für die Überempfindlichkeit der Haut mancher Menschen verantwortlich sein und somit ein möglicher Ansatz für zukünftige Therapien, schlussfolgerten die Autoren.

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