In besonderen Gruppen wollen sich Frauen untereinander und mit ihrem Inneren verbinden. Manche suchen Spiritualität oder Sinnlichkeit, andere wollen sich von schlechten Erfahrungen heilen. Ein Besuch am Rand von München
Es ist ein früher Freitagabend an den Münchner Isar-Auen. Wer sich ein Stück von den Studenten und Sonnenanbetern entfernt, die sich mit Bier, Einweggrills und Musikboxen im Kies am Flussrand tummeln, findet hier ein grünes Paradies, das einen vergessen lässt, dass man sich mitten in der bayerischen Landeshauptstadt befindet.
Es ist nicht wirklich kalt an diesem Abend, aber auch nicht richtig warm. Gemeinsam mit unserer Fotografin kämpfe ich mich durch knietiefes, vom Schatten feucht gebliebenes Gras. Sie ist heute Abend meine „Eintrittskarte“ in einen erlauchten Kreis, dessen Treffpunkt wir abseits der Spazierwege suchen. An einer Lichtung kommen regelmäßig Frauen in der Natur zusammen. Sie sind Teil eines „Women Circle“, eine besondere Verbindung von Frauen, wie es sie seit Jahrtausenden gibt und die in unserem urbanen, stressbelasteten Alltag gerade wieder eine Renaissance feiern. Ich will wissen, was die Frauen bewegt, die hier nach Spiritualität, Sinnlichkeit und Selbsterfahrung suchen.
Eine Frau nach der anderen schlüpft durch das Gestrüpp am Rande der Lichtung. Fahrräder werden an Bäume gelehnt. Die Umarmungen sind lang, fest, vertraut. Viele kennen sich. Elf Frauen platzieren sich auf Yogamatten und Decken um einen Kreis aus Kerzen und Rosenblüten. Im Hintergrund läuft leise Chanting-Musik, in der Luft liegt der herbe Duft von Räucherstäbchen. Alles ein bisschen klischeebehaftet. Aber wer jetzt an esoterische Alt-Hippies denkt, liegt daneben: Die Frauen hier sind jung, hip und woke.
„Ich habe mich nach Gemeinschaft gesehnt“
Eine von ihnen ist Lena Brandt, 37, sie leitet den Kreis. Wenn sie wollte, könnte Lena inzwischen von ihren Kursen leben, scheut aber den Druck, der dann entstehen würde, sagt sie. Neben den Women Circles arbeitet sie als Team-Assistenz in einer Designagentur. Lena ist ungeschminkt, zierlich und ganz in beige gehüllt, in eine Art bodenlangen Kaftan. „Ich habe mich nach Gemeinschaft gesehnt“, sagt Lena, wenn man sie fragt, was sie auf den Weg der Frauenkreise gebracht hat.
Lena Brandt, 37, arbeitet hauptberuflich als Teamassistentin in einer Münchener Designagentur. Ihre Berufung aber ist der Frauenkreis, den sie hier im Grünen leitet
© Jasmin Breidenbach
Diese Antwort bekommt man von den meisten Frauen hier zu hören. „Ich hatte enge Freundinnen, aber nicht diese ganz besondere Art von Freundschaft.“ Was das heißt? Maximale Offenheit, Verbindung auf Augenhöhe. Lena stößt 2019 auf die „Women Circles“, damals reist sie zwei Monate durch Mexiko, Guatemala und Bali und verbringt dort Zeit in spirituellen Runden. Nach ihrer Rückkehr besucht sie zum ersten Mal eine solche Runde in München. Und entscheidet sich, selbst Kreise anzubieten.
Dafür braucht man keine Ausbildung, aber zumindest Kenntnisse – im „Space Holding“ oder als „Cacao Guardian“. Was das heißt, werde ich gleich selbst erleben.
Frauenkreise unterscheiden sich stark: Legen die einen mehr Wert auf eine stille Reise ins Innere, kann bei anderen der Fokus auf der Entfaltung der eigenen Sexualität, auf Berührung oder gar Ekstase liegen. Bei unserem Kreis heute Abend geht es um „Sisterhood“. Darum, sich bewusst zu machen, warum weibliche Gemeinschaft notwendig ist.
Der Kreis beginnt wie eine Yoga-Stunde. Wir sollen die Augen schließen, die Natur um uns wahrnehmen, die Gerüche, den Wind in den Baumkronen, das zarte Zwitschern der Vögel. Wir hören in uns hinein und atmen tief durch. Die Frauen hier sind keine Anfängerinnen. Das Ausatmen ist laut und kräftig. „Haaaaaaah“, tönt es aus der Runde. Es ist eine klassische Yoga-Atemübung, die physische und psychische Verspannungen lösen soll. So weit, so gewöhnlich.
Im nächsten Schritt, sagt Lena, wollen wir uns fragen, was wir in diese Runde hineinbringen möchten, und was nicht hier sein muss. Eine nach der anderen beginnt zu erzählen, vom Druck der Arbeitswoche, von Gedanken, die besonders einnehmend sind. Viele sprechen von Erschöpfung, eine Frau sagt, sie sei in dieser Woche sehr traurig gewesen und möchte diese Emotionen gerne loslassen. Eine andere erzählt, sie fühle sich nach der Geburt ihres Kindes nicht mehr besonders feminin und wolle endlich einen Weg zurück zu ihrer eigenen Weiblichkeit finden. Nur wer möchte, teilt sich mit. Manchmal vergehen Minuten, bis wieder eine Frau das Wort ergreift.
Women Circles: „Das ist für mich die effektivste Therapieform“
Eine von ihnen ist Nele, 31. Für sie hat der Circle etwas Therapeutisches. „Diese weibliche Energie, dieses Beisammensein in einem ’safe space‘ – das ist für mich die effektivste Therapieform.“ Im vergangenen Jahr hatte Nele einen Burn-Out, nach zweieinhalb Jahren Mutterschaft und einer Unternehmensgründung. Seitdem macht sie eine Gesprächstherapie. „Aber momentan hilft es mir nicht so sehr, meine Probleme und Beschwerden immer wiederzukäuen.“ Der Frauenkreis sei keine psychologische Beratung, aber „für mich die beste Art und Weise, mit mir selbst in Einklang zu kommen.“
„Diese Wandlung zu erleben, wenn Frauen zum ersten Mal da sind und sich trauen, aus sich herauszugehen, sich mitzuteilen – das berührt mich total“, sagt Lena. Es seien sehr besondere Momente. „Auf einem Retreat in Ägypten ging es auf einmal um das Thema Abtreibung. Wenn erst einmal ein geschützter Rahmen da ist, finden auch solche Themen Platz“, sagt sie. „Eine Frau fing an zu erzählen und sagte: Meine Tochter wäre jetzt ein Jahr alt. Und dann kam es auf einmal aus allen Ecken. Mein Sohn wäre jetzt fünf, mein Kind wäre elf, meins sieben, meins zwölf. Das war so eine Kraft, die da drinsteckte, weil eine einzige Frau diesen Impuls gegeben und sich getraut hat, das auszusprechen.“
„Mama Kakao“: Eine Brücke ins Innere
Im Kreis beginnt jetzt die Kakao-Zeremonie, die für diesen Abend geplant ist – ein spirituelles Ritual, dessen Ursprünge auf die Maya, Azteken und Inka zurück gehen. Kakao wird nachgesagt, dass er Blockaden lösen kann, euphorisierend oder entspannend wirkt und den Körper mit Mineralien und Antioxidantien stärkt. Lena spricht zärtlich von „Mama Kakao“. Sie selbst ist „Cacao Guardian“ und sagt: „Für mich ist der Kakao wie eine Brücke, die gebaut wird, um in dieses Innere, in diese Weichheit hineinzukommen.“
Andächtig lehnt Lena die Tasse an ihre Stirn. Wir sollen es ihr gleichtun, die Wärme der „liquid love“ spüren, unsere innersten Gedanken auf den Kakao projizieren. Mit dem süßen Milchmix, wie wir ihn kennen, hat flüssiger Rohkakao wenig zu tun. Für mich ist es das erste Mal. Lena warnt mich. Kakao sei „Regenbogenmedizin“, könne meinen Puls beschleunigen. Auch auf den Magen müsse man achten. Der Geruch ist fantastisch, aber so süß wie die Nase den Kakao wahrnimmt, ist er lange nicht. Rohkakao ist extrem bitter, hat einen scharfen Abgang im Hals. Ich schaffe gerade mal die Hälfte der Tasse. Für Anfänger keine Wohltat.
Ganz anders als das darauffolgende Klangbad. Denn Lena führt den Kreis heute nicht allein. An ihrer Seite sitzt Laura Flicker. Sie ist Innenarchitektin, Produktdesignerin und „Sound Healerin“. Über eine Reise in den Joshua-Tree-Nationalpark in den USA ist sie auf die Klangbäder gekommen. „Ich wollte das selbst lernen und habe gemerkt, wie schön es ist, für andere Menschen diesen Raum zu kreieren, indem man sich fallen lassen kann. Die Energie, die dabei entsteht, ist unglaublich.“
Laura Flicker bringt Kristallschalen zum Klingen. Sie sollen Entspannung und Heilung in Körper und Geist bewirken
© Jasmin Breidenbach
„Sound Baths“: Klang-Meditationen gegen den Stress
Klang-Meditationen sollen die Gehirnaktivität entschleunigen. Die Konzentration ist ganz auf das Erleben der Töne gelenkt, die Vibrationen beruhigen. Ein Klangbad kann so tief entspannend wirken, dass man dabei einschläft. Einige nutzen Klangbäder gegen Stress, Angstzustände oder Schlafprobleme.
Die Frauen legen sich auf den Rücken. Laura, ebenfalls ganz in Weiß und Beige, sitzt im Schneidersitz vor schimmernden Kristallklangschalen und beginnt, mit Stäben langsam über die Ränder zu streichen und dabei surrende Töne zu erzeugen. Und während mein Blick in die Baumwipfel schweift, merke ich schnell, dass ich der Meditation nachgebe. Am Ende der Session bade ich tatsächlich im Sound – und nicke fast ein.
Als ich mit der Recherche zu Frauenkreisen begonnen habe, war ich neugierig, aber auch sehr kritisch. Vieles, was ich zuvor gelesen hatte, war nicht unbedingt mein „cup of cacao“. Wer bei diesen Themen tief im Netz gräbt, verliert sich schnell irgendwo zwischen Selbsthilfegruppe und schamanischem Kult. Wo ist die Grenze zwischen Esoterik und Scharlatanerie?
Für Lena ist sie dort, wo aus der Bedürftigkeit von Menschen Geld gemacht wird. Wo mit der Sehnsucht nach Halt und Orientierung gespielt wird. „Aber es ist manchmal nicht so einfach, eine Grenze zu ziehen. Wenn eine Person glaubt, dass Einhornstaub ein Heilsbringer ist, möchte ich ihr nicht unbedingt sagen, dass das Quatsch ist, wenn es hilft.“
Viele Frauen setzen auf alternative Heilmethoden
Dass sich Frauen eher zu Spiritualität und alternativen Heilmethoden hingezogen fühlen, ist in unserer Gesellschaft kein Wunder. Umfragen zufolge nehmen deutlich mehr Frauen als Männer Naturheilmittel in Anspruch, laut RKI etwa im Verhältnis 3:2. Die Medizin ist in einer Schieflage, was die Geschlechter angeht. „Die medizinische Forschung orientiert sich am männlichen Normkörper“, sagt Prof. Dr. Oertelt-Prigione, Inhaberin von Deutschlands erster Professur für geschlechtersensible Medizin, in einer Studie von Pronova BKK. Weibliche Symptome bei Krankheiten unterschieden sich häufig, in Arztgesprächen fehle oft Transparenz.
Und Recherchen zum Thema Medical Gaslighting zeigen: Schmerzen werden von Ärzten nicht immer ernstgenommen, insbesondere bei Patientinnen. Kein Wunder also, dass Frauen nach Alternativen suchen, um die Kontrolle über Körper und Geist in die eigene Hand zu nehmen.
PAID Medical Gaslighting – ME-CFS 1655
Ein zentraler Begriff dabei ist das „Rote Zelt“. Er taucht im Kontext von Frauenkreisen immer wieder auf, sie berufen sich auf die Ursprünge wandernder Völker, in denen sich Frauen zur Zeit ihrer Menstruation in das so genannte „rote Zelt“ zurückgezogen hätten, in einen gemeinsamer Raum. „Das Zelt durften Männer nicht betreten, weil Frauen zu dieser Zeit als besonders heilig angesehen wurden“, glaubt Lena. Heute sei es genau umgekehrt. Der Zyklus sei vor allem seit der Christianisierung mit Scham besetzt – etwas, das Frauenkreise aufbrechen wollen. Seit einigen Jahren gibt es weltweit eine „Red-Tent-Bewegung“, deren Ziel es ist, die Periode zu feiern und mit Tabus zu brechen.
Auch Laura und Lena schildern im Gespräch, dass ihre Erfahrungen mit dem eigenen Zyklus eine große Rolle gespielt haben für ihr Gefühl von Weiblichkeit. „Mir wurde mit 14 die Pille verschrieben“, sagt Laura. „Bis ich 25 Jahre alt war, hatte ich keinen Bezug zu meinem Zyklus und auch nicht zu meinem Körper.“ Lena berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Früher habe sie während der Menstruation „durchgepowert“, heute nimmt sie im Alltag Rücksicht auf ihren Körper. Auch in der Runde heute soll es darum gehen, sein „weibliches Zentrum“ wahrzunehmen. Dazu sollen wir unsere Hände auf den unteren Bauch legen. „Das ist unser Schöpferzentrum“, sagt Lena, „wie unser zweites Herz. Wir Frauen sammeln dort Emotionen, Traumata, alles.“
Es ist dämmrig geworden um uns herum. Jeder darf sich eine Kerze aus der Mitte des Kreises nehmen, Lena und Laura entzünden sie, von Frau zu Frau wird die Flamme weitergereicht. Hände werden gewärmt, ein paar Momente noch folgen die Blicke dem Flackern der Lichter.
Oft wird mit Symbolen gearbeitet – wie hier, wenn eine Kerze die nächste entzündet. Das Ritual soll für die Schwesternschaft der Frauen stehen
© Jasmin Breidenbach
Dann beendet Lena den Abend, jede Frau darf sich noch eine Rose nehmen. Nicht für sich selbst, sondern für eine „Schwester“ in ihrem Umfeld, der man eine Freude machen möchte. Es ist eine Geste, die mich an diesem Abend tatsächlich am meisten berührt. Denn ich muss nicht überlegen, ob mir jemand einfällt, dem ich diese Rose gerne geben möchte. Ich habe bereits großartige, starke Frauen in meinem Leben. Was für ein Geschenk – meinen Frauenkreis, den habe ich schon.