Diese Europawahl wird historisch sein: Zum ersten Mal dürfen bei einer deutschlandweiten Wahl auch 16-Jährige ihre Stimme abgeben. Doch was wählen sie eigentlich? Eine junge Journalistin erklärt ihre Generation.
Wählen ab 16 – das wird am 9. Juni für viele junge Deutsche zum ersten Mal Realität. Bei der Europawahl dürfen 1,4 Millionen junge Männer und Frauen unter 18 zusätzlich über die Parteien im EU-Parlament mitbestimmen. Ich finde das großartig und längst überfällig: Junge Menschen gehören genauso zur Gesellschaft und bringen sich ein.
Ab 17 Jahren darf man zum Beispiel zur Bundeswehr gehen. Laut Aussagen des Bundesverteidigungsministeriums wurden 2023 etwa 10 Prozent Minderjährige eingestellt. Bereits ab 15 Jahren darf man eine Ausbildung beginnen, zahlt Einkommenssteuer. Ab 14 Jahren ist man strafmündig. Junge Menschen unterliegen also schon lange vor ihrem 18. Geburtstag Pflichten und Regeln, was absolut richtig ist.
Europawahl: Junge Menschen wollen wählen gehen
Doch wo es Pflichten gibt, sollte es auch Rechte geben, wie mit 16 wählen zu dürfen. Und dieses Recht wollen viele Erstwähler annehmen. Nach der Flash-Eurobarometer-Umfrage 545 „Jugend und Demokratie“ gaben insgesamt 64 Prozent der Menschen zwischen 15 und 30 Jahren an, wählen gehen zu wollen. 38 Prozent sagten, dass Wählen das wirksamste Mittel sei, sich Gehör zu verschaffen.STERN PAID 19_24 Titel Krah IV_0.01
Das sehe ich genauso. Keine Demo wird einen Politiker mehr beeindrucken als das Kreuz in der Wahlkabine. Die Europawahl hat einen höheren Stellenwert in meiner Generation als viele denken. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und der Angriff der Hamas auf Israel haben viel verändert. Vor allem hat es Ängste vor der Zukunft ausgelöst. Die Bedeutung eines vereinten Europas und die Wirkung der europäischen Politik auf jeden einzelnen jungen Menschen sind mittlerweile viel persönlicher geworden.
Man darf nicht vergessen: Für meine Generation sind offene Grenzen oder der Euro als einheitliche europäische Währung ganz normal. Meine Generation hat keinen Vergleich zu den Zeiten der D-Mark. Auch das Erasmus-Projekt der EU liegt uns sehr am Herzen. Laut der Greenpeace-Umfrage vom April 2024 sind die wichtigsten Europawahl-Themen für Erstwähler vor allem: den Frieden in Europa zu schützen und somit auch die Sicherheit in Europa zu gewähren. Dazu kommt natürlich noch der Klimawandel, der für meine Generation schon immer besorgniserregend ist.
Die Jugend weiß mehr über die AfD als über andere Parteien
Deshalb ist zuverlässige und seriöse Information so wichtig, egal ob man jung oder alt ist. Die Greenpeace-Umfrage vom April 2024 für Erstwähler hat auch ergeben, dass an Schulen viel zu selten die Europawahl thematisiert wird. Das hat jetzt zur Folge, dass sich sehr viele junge Menschen schlecht über die Aufgaben des Europaparlaments informiert fühlen. Das gleiche Bild ergibt sich beim Kenntnisstand über die Parteien. Auch hier wird an den Schulen viel verpasst.
Besonders traurig: Die Jugend weiß mehr über die AfD als über andere Parteien. Was hauptsächlich damit zu tun hat, dass die Medien der AfD die größte Aufmerksamkeit zuteilen. Und da die Schulen hier zu wenig bieten, muss man sich als junger Mensch andere Informationsquellen suchen.
Die verschiedenen Plattformen auf Social Media haben den höchsten Stellenwert bei jungen Menschen. Mittlerweile gibt es auch auf Instagram und TikTok Formate, die versuchen, junge Userinnen und User schnell über politische Inhalte zu informieren.
Der Wahl-O-Mat bietet Orientierung
Mittlerweile haben die meisten Politikerinnen und Politiker aller Parteien einen Account auf X, Instagram, Facebook oder TikTok. Aber Social Media alleine reicht nicht, um sich auf eine Wahl vorzubereiten. Die Reels sind zu kurz und daher auch zu ungenau. Unabhängig vom Lebensalter sollte man immer einzelne Themen noch mal nachlesen, um sich eine seriöse Meinung bilden zu können.
Ein beliebtes Tool ist auch der Wahl-O-Mat, der Orientierung bietet, auch wenn das Ergebnis willkürlich ausfallen kann. Es kann vorkommen, dass im eigenen Ranking eine der ganz kleinen Parteien oben auf der Auswahlliste erscheint. Nach der Greenpeace-Umfrage sind die favorisierten Parteien der Erstwähler vor allem die SPD, Union, Grünen und die FDP. Die Linke, AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknecht liegen dahinter. Diese Umfrage bestätigt auch meine Erfahrung.
Aber auch kleinere Parteien wie Volt, Tierschutzpartei oder die Piraten sind bei jungen Menschen beliebt. Trotzdem sind die großen Parteien im Vorteil, da sie in der öffentlichen Wahrnehmung viel präsenter sind. Wobei ich skeptisch bin, ob TV-Werbespots der Parteien oder die vielen Wahlplakate am Straßenrand tatsächlich so viel Einfluss haben. In meiner Generation zumindest nicht.
Letztendlich ist es egal, wie sich ein junger Mensch über politische Themen informiert. Wichtig ist, ob er sich von der Politik gesehen und abgeholt fühlt. Es wird daher spannend sein, wie viele der Gen Z tatsächlich zur Wahl gehen. Ich hoffe, dass meine Generation zahlreich erscheinen wird und die Kugelschreiber in den Wahlkabinen so richtig zum Glühen bringt! Das wäre die beste Werbung, um das Wahlrecht ab 16 in jedem Bundesland einzuführen. Das könnte eine historische Auswirkung auf die Zukunft einer modernen Demokratie haben.
Ich gehe wählen, ich hoffe, du auch!
Livia Kerp, 22, arbeitet als Videoredakteurin im bayerischen Landtag und ist nebenbei als freie Journalistin tätig. Sie erklärt auf stern.de regelmäßig die Sicht der Gen Z.