„Hart aber Fair“: Covid und die Folgen: „Das ist echtes Systemversagen“

Die Covid-Pandemie wirft weiter lange Schatten. Bei „Hart aber Fair“ musste sich Karl Lauterbach unangenehmen Fragen zur Aufbereitung stellen. Und gab sich selbstkritisch.

Die Pandemie ist längst vorbei – doch die Folgen von Covid sind auch fünf Jahre nach den ersten Krankenfällen immer noch zu spüren. Bei „Hart aber Fair“ diskutierte Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit Betroffenen und Experten nun über die Langzeitfolgen – und darüber, was er heute anders machen würde.

Der Titel der Sendung war Programm: „Das Corona-Trauma: Was hat die Pandemie mit uns gemacht?“, wollte Moderator Louis Klamroth von seinen Gästen wissen. Neben dem Gesundheitsminister hatte er sich auch Kritiker, Experten und Betroffene eingeladen. 

Die Gäste waren:

Karl Lauterbach (Gesundheitsminister, SPD)Eckart von Hirschausen (Arzt und Autor)Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung)Alena Buyx (Medizinethikerin)Melina Eckert (Psychologin)Elena Lierck (Mutter einer Long-Covid-Patientin)Klaus Stöhr (Epidemiologe)

100 Situps am Tag_14.21

Viel Kritik an der Nachbereitung

Vor allem in einem Aspekt waren sich die Gäste einig: Die Pandemie, die politische Reaktion und die Folgen sind noch nicht ausreichend aufgearbeitet. Wie genau das passieren soll, darüber gab es aber durchaus hitzige Debatten. Es habe ein „inquisitorisches Klima“ gegeben, polterte etwa Prantl über die Maßnahmen. „Es mussten alle Grundrechte bei Seite springen.“

„Ist der Politik die Abwägung gelungen?“, fragt Klamroth. „Nein“; schießt es aus Prantl heraus. Für die Anfangszeit sei das nachvollziehbar gewesen. Aber später nicht mehr. Man habe zu lange die Rechte eingeschränkt „Ich wünsche mir, da eine umfangreiche Aufarbeitung. „Was die Politik da gemacht hat, war eine – teils grundlegende – Untergrabung der Grundrechte. Das muss aufgearbeitet werden.“

Lauterbach verteidigt die Regierung…

Das will Lauterbach nicht auf sich sitzen lassen. „Die Grundrechte wurden immer mitgedacht“, stellt er klar. „Das war immer eine Abwägung. Das hat jedem wehgetan, niemand hat das gerne gemacht“, verteidigt er die Entscheidungen zu Kontaktsperren und Schulschließungen. Im Nachhinein hätte er aber auch vieles anders gemacht. Er wünsche selbst eine ausführliche Aufarbeitung. „Die FDP hat das aber nicht mitgetragen.“

Dass keine Aufarbeitung passiere, sei aber ohnehin nicht richtig, stellt Alena Buyx klar, bevor sie eine Frage beantwortet. „Das muss ich Herrn Prantl gerade mal zurufen“. Prantl stimmt nickend Buyx‘ Aussage zu, dass einzelne Bundesländer bereits damit begonnen haben. Die schwierige Situation der Regierung kann Buyx nachvollziehen. „Der Ethikrat hat sich immer mit schwierigen Fragen auseinandersetzen müssen“, erläutert sie. „Trotzdem muss man mit einer professionellen Haltung drangehen. Auch wenn es in dem Moment unmöglich war, auszublenden, welche schrecklichen Folgen das hatte.“

…und gibt sich selbstkritisch

Einen weiteren Vorwurf muss sich Lauterbach mit seinem Druck auf Ungeimpfte gefallen lassen. „Das ganze Land ist in der Geiselhaft der Menschen, die auch noch stolz darauf sind“, schimpft er in einem Clip. „Den Ton finde ich heute nicht optimal“, gibt er damit konfrontiert zu. „Aber in Bundestagsdebatten geht es oft hitzig zu“, wirbt er um Verständnis. „Wenn wir so etwas gesagt haben, dann auch, um die Ungeimpften vor ihrer eigenen Wahl zu schützen“.

Die auch von ihm geforderte Impfpflicht sieht er heute selbst kritisch. „Im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, dass die Impfpflicht abgelehnt wurde“, gibt Lauterbach zu. „Es wurde so getan, als seien die Impfpflichtgegner Impfgegner“, hält Prantl ihm vor. Das habe er selbst nicht so gesehen, beteuert Lauterbach

Unerwiderte Solidarität

Eine Gruppe, die von den Maßnahmen besonders hart getroffen wurden, sind die Jugendlichen. „Es ist eine superwichtige Frage in der Aufarbeitung: Was sind wir Boomer nun den Jugendlichen schuldig?“, betont Eckart von Hirschhausen. Auch Buyx sieht das so: Die Jugendlichen hätten gewaltige Opfer gebracht, um die Älteren zu schützen. Und würden nun mit den psychischen Folgen alleine gelassen. „Wir haben als Gesellschaft nicht gesagt: Jetzt seid ihr die Nummer eins. Jetzt wird das aufgeholt“, ärgert sie sich. Der Ethikrat habe dafür einen harten Begriff geprägt: unerwiderte Solidarität.

„Vielleicht ist diese Pandemie der Moment, in dem wir sagen: Wir müssen mit unseren Kindern anders umgehen. Verdient hätten sie es“, glaubt auch Lauterbach. 

Der lange Kampf um Long Covid

Dabei können auch die Jungen lange unter den Folgen leiden. Elena Dierks Tochter Kalea leidet seit Ende 2020 unter Long Covid – und wird immer schwächer. Mittlerweile kann sie nicht mal mehr selber aufstehen. Mit ihrem Verein kämpft sie dafür, die Folgen durch die Langzeiterkrankung gesellschaftlich sichtbarer zu machen. 

„Es ist unglaublich, dass es einen Verein wie unseren braucht“, erklärt die Mutter – stellt aber klar: „Das liegt jetzt nicht daran, dass Herr Lauterbach zu wenig tut.“ Die ganze Gesellschaft nehme die Problematik nicht ernst genug.

„Dass die Behandlungen selbst bezahlt werden müssen, ist ein Skandal“, echauffiert sich auch Hirschhausen. „Das ist echtes Systemversagen. Das kann doch nicht sein, dass diese Menschen keine Hilfe bekommen.“ Das passiere auch, widerspricht Lauterbach. „Wenn Pflegebedürftigkeit da ist, dann gibt es Pflegegrade“, versucht er zu erklären. „Aber das dauert bis zu zwei Jahre“, widerspricht die Mutter. „Nicht, dass die Zuschauer nun glauben, das könne man so einfach bekommen.“

Das sei richtig, gibt Lauterbach zu. „Da arbeite ich auch dran, das zu beschleunigen“. Auch er glaubt aber, dass die Forschung an Long Covid unterfinanziert sei. Trotz des Bruches der Koaltion – Lauterbach wirft FDP-Chef Christian Lindner gleich mehrfach „einen beispiellosen Verrat“ vor –, sei aber zumindest die Weiterfinanzierung der Long-Covid-Forschungsprojekte weiter gesichert.

Was kommt jetzt?

„Wir bräuchten nur ein Prozent des Geldes, das die letzte Pandemie gekostet hat, um die nächste zu verhindern“, mahnt Hirschhausen. Dabei stünde die nächste Gefahr bereits vor der Tür. „Wann können wir endlich aus der Scheiße lernen, um sie nicht wieder zu kriegen?“

„Es wird eine neue Pandemie geben“, ist auch Stöhr sicher. „Deswegen hoffe ich auch, dass die Aufarbeitung funktioniert.“ Man müsse die Pandemie so aufarbeiten, dass nicht nur die Gesichter gewahrt würden, glaubt er. Die Politik habe sich zu sehr auf einzelne Wissenschaftler verlassen. „Wir müssen darüber sprechen, wie wir wissenschaftlichen Konsens erreichen.“ 

„Nehmen Sie diese Kritik an?“, fragt Klamroth Lauterbach. „Natürlich“, schießt es aus dem heraus. Allerdings würden bereits internationale Gremien wie die WHO bereits genau daran arbeiten. Wie diese Bestrebungen aber nun nach der Ernennung des Impfgegners Robert F. Kennedy Jr. als Gesundheitsminister unter Donald Trump weitergehen, sei eine andere Frage. 

„Das ist natürlich keine Verheißung“, versucht Lauterbach die Frage danach vorsichtig zu beantworten. „Das ist eine Vollkatastrophe“, wirft Hirschhausen zum Jubeln des Publikums ein.

Lobende Worte

Die positivste Anregung des Abends kam von Ethikerin Buyx. Nicht nur im medizinischen Bereich, sondern oft auch im privaten hätte die Gesellschaft eine erstaunliche Leistung gebracht, indem sich vorher teils Fremde etwa in Hausgemeinschaften solidarisch gezeigt und über Jahre unterstützt hätten, lobt die Ethikerin. „Wir müssen auch darüber sprechen, wie wir als Gesellschaft heilen können. Und dazu gehört auch, anzuerkennen, was das für eine wahnsinnige gesellschaftliche Leistung war.“

Quelle: Hart aber Fair