Wird der Abtreibungsparagraf 218 kurz vor dem Ende der Wahlperiode abgeschafft? Ein parteiübergreifender Vorstoß hierfür verärgert die Union – vor allem wegen einer Unterschrift.
Drei Monate vor der Bundestagswahl hat eine Gruppe von Abgeordneten eine Initiative zum Schwangerschaftsabbruch im Parlament eingebracht. Ein am Donnerstag von Vertreterinnen von SPD und Grünen vorgestellter Gesetzentwurf sieht vor, dass der Abbruch bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche rechtmäßig sein soll. Die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Abbruch soll dabei gestrichen werden. Die Unionsfraktion kündigte entschiedenen Widerstand gegen das Vorhaben an.
Über die Vorlage soll nach dem Willen der Initiatorinnen noch vor der Neuwahl des Bundestags am 23. Februar abgestimmt werden. Demnach hatten bis Donnerstag 236 der aktuell 733 Bundestagsabgeordneten den Antrag unterschrieben.
Bundeskanzler Scholz unterschreibt die Initiative
Unterstützung aus den Reihen von Union und FDP gab es aber vorerst nicht, im Gegenteil. Die CDU/CSU-Opposition im Bundestag reagiert empört auf den Gesetzesvorstoß. Unionsfraktionschef Friedrich Merz griff vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz scharf an, der den Gesetzentwurf als SPD-Abgeordneter mitgezeichnet hat. „Ich bin wirklich entsetzt darüber, dass derselbe Bundeskanzler, der immer wieder vom Zusammenhalt, vom Unterhaken und von Gemeinsinn spricht, mit auf der Liste dieses Gruppenantrages mit seiner Unterschrift erscheint.“PAID_Abgetrieben Protokoll Adriana
Mit dem Vorstoß solle versucht werden, „den Paragrafen 218 jetzt noch im Schnellverfahren zum Ende der Wahlperiode abzuschaffen“, sagte Merz. „Das ist skandalös, was der Bundeskanzler da macht.“ Es handele sich um ein Thema, „das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“.
Schwangerschaftsabbrüche sind derzeit laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches rechtswidrig. Tatsächlich bleiben sie in den ersten zwölf Wochen aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Über die Abschaffung des Paragrafen wird seit Jahren gestritten.
Wird der Abtreibungsparagraph abgeschafft?
Die SPD-Abgeordnete Leni Breymaier sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie wisse von „etlichen“ Abgeordneten, „die heute nicht unterschreiben, aber am Ende zustimmen werden – auch aus den anderen Fraktionen“. Ihr zufolge war die Initiative eigentlich erst für kommendes Frühjahr geplant. Der Bruch der Ampel-Koalition habe den Organisatorinnen aber „die Füße weggezogen“, da sie nach den Neuwahlen nicht mehr mit einer „progressiven Mehrheit“ im Parlament rechneten.
Es werde angestrebt, dass das Bundestagsplenum in der ersten Dezemberwoche erstmals über die Vorlage debattiere, sagte die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge. Eine Abstimmung könnte dann im Januar erfolgen.
Es sei im Interesse der Initiatorinnen, „dass das nicht ein lautes Wahlkampfthema wird“, betonte die Grünen-Vertreterin Ulle Schauws. Es gebe die Chance, dass die Änderung der Gesetzgebung eine Mehrheit finde. Schauws betonte dabei, es habe auch „gute Gespräche mit den Kolleginnen von der Union“ dazu gegeben.
Unterschiedliche Reaktionen aus der Opposition
„Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden wir uns mit aller Kraft dagegen wehren“, sagte neben Merz auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dorothee Bär der Nachrichtenagentur AFP. Sie kritisierte, dass vor den Neuwahlen im Februar „auf den letzten Drücker und zu so einer ethisch-moralisch hochkomplexen Entscheidung über die Beendigung menschlichen Lebens Fakten geschaffen werden sollen“. Für die Union komme der Vorschlag „einem Dammbruch unseres Werteverständnisses“ gleich.STERN PAID 29_24 Streitgespräch Schwangerschaftsabbruch 8:11
Die Gruppe der Linken im Bundestag will den Vorschlag unterstützen. Ihre Vorsitzende Heidi Reichinnek sprach von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Sie wünsche sich aber „ein Recht auf Beratung“ und die Abschaffung der Pflicht.
Der nun vorgelegte Gesetzentwurf soll den Abbruch ausdrücklich entkriminalisieren. Die neuen Regelungen sollen nicht mehr im Strafrecht, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz verankert werden. Krankenkassen sollen künftig zudem die Kosten für Abtreibungen übernehmen.
Der Abbruch nach Ende der zwölften Woche soll demnach grundsätzlich rechtswidrig bleiben, kann jedoch – wie nach bisheriger Rechtslage – bei Vorliegen einer medizinischen Indikation bis zum Beginn der Geburt rechtmäßig sein. Voraussetzung dafür ist eine ärztliche Stellungnahme.