Studien zufolge erlitten Hunderte Schüler an der Odenwaldschule sexuelle Gewalt. Jetzt soll mit einem Mahnmal am Ort der Taten an die Opfer erinnert werden.
Knapp 15 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchskandals an der Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim sind nach Angaben der Stiftung „Brücken bauen“ bislang 605.000 Euro an Opfer ausbezahlt worden. „Der Kreis der Opfer, die sich bei der Stiftung gemeldet haben und Zahlungen bekommen haben, erstreckt sich auf 50 Personen, teilte Ulrich Kühnhold von der Stiftung auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Am Montag (18.11.) soll auf dem Gelände des früheren Elite-Internats ein Mahnmal für die Opfer systematischer, sexueller Gewalt vorgestellt werden.
Opfer wollen keine alten Wunden aufreißen
„Einige Opfer haben bewusst auf Anträge verzichtet und andere scheuen sich Anträge zu stellen, da dies die Wunden wieder aufreißen würde, wenn sie sich mit dem erlittenen Leid intensiver befassen müssten“, sagte Kühnhold. Die Arbeit der Stiftung sei nicht abgeschlossen und wir müssen auch weiterhin mit Meldungen von Opfern rechnen. Auf der Website heißt es zum Zweck: „Aus dem Stiftungsvermögen und dessen Erträgen, aus Spenden und Zuwendungen unterstützt die Stiftung Hilfsmaßnahmen für Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt an der Odenwaldschule geworden sind.“
Studien zeigen das Ausmaß der Gewalt
Das Ausmaß sexueller Gewalt ist weitaus größer. Studien der Universitäten Rostock und München zufolge sollen mehr als zwei Dutzend Lehrkräfte und andere Mitarbeiter der Schule über Jahre an Hunderten Verbrechen an Schutzbefohlenen beteiligt gewesen sein. Die Opfer erlitten sexuelle Gewalt, emotionale Ausbeutung sowie Vertuschung und wurden traumatisiert. Neben dem früheren Schulleiter Gerold Becker soll es mindestens vier weitere Haupttäter gegeben haben. Das Missbrauchssystem habe alle Hierarchieebenen der Schule durchdrungen.
Schule nicht unter die Lupe genommen
Für den Wissenschaftler Heiner Keupp, Mitglied der Aufarbeitungskommission der unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, gab es auch klares Versagen staatlicher Organe. Es habe schon in den 90er Jahren Berichte über Missbauch an der Odenwaldschule gegeben, passiert sei nichts. „Es hätte ganz klare Kontrollen geben müssen. Niemand hat die Einrichtung unter die Lupe genommen.“ Täter hätten davon profitiert, dass viele dachten, so eine Einrichtung macht doch keine Fehler. Erst mit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg 2010 sei vieles ins Rollen gekommen. In dem Mahnmal sieht Keupp einen wichtigen Punkt der Erinnerungskultur. „Es ist ein wichtiger Punkt für Betroffene, dass ihre Geschichte nicht untergeht.“
Bei dem Verein „Glasbrechen“ für Betroffene von sexueller Gewalt an der Odenwaldschule wird auch die Strafverfolgung kritisiert. Dort heißt es auf der Website: „Nicht einer der Täter wurde rechtskräftig verurteilt. Einige von ihnen sind verstorben. In den anderen Fällen waren die Verbrechen verjährt.“
Schulbetrieb 2015 eingestellt
Die Odenwaldschule, an der Prominente wie der Politiker Daniel Cohn-Bendit oder der Schriftsteller Klaus Mann die Schulbank drückten, ist als Institution knapp 15 Jahre nach Bekanntwerden des Skandals Geschichte. Das Internat musste schließlich Insolvenz anmelden und nach mehr als 100 Jahren wurde 2015 der Schulbetrieb eingestellt. Das Gelände wurde von einer Unternehmerfamilie übernommen und umgebaut.
Dort soll nun das Mahnmal nach einer Initiative und einem Entwurf des Kunstexperten Adrian Koerfer, selbst früher Schüler der Odenwaldschule, ab Montag am Ort der Taten auf das jahrelange Leid der Schüler hinweisen. Unterstützer sind unter anderem das Land, der Kreis Bergstraße und die Stadt Heppenheim. Alleine das Land hat nach eigenen Angaben 40.000 Euro bereitgestellt.