Meinung: „Kein Problem“? Oh doch, Herr Bundeskanzler!

Kanzler Scholz macht die Vertrauensfrage zur Verhandlungssache. Das schadet nicht nur seiner Glaubwürdigkeit, sondern auch den Sozialdemokraten. 

Der Kanzler hat Verantwortung für das Land übernommen – so wollte Olaf Scholz den Rauswurf seines früheren Finanzministers verstanden wissen, der aus seiner Sicht „verantwortungslos“ gehandelt hatte. Wer in eine Regierung eintrete, erklärte Scholz, müsse seriös handeln und dürfe sich bei Schwierigkeiten nicht in die Büsche schlagen. 

Für den Kanzler selbst gelten diese Maßstäbe offenkundig nicht. Sein durchsichtiges Taktieren mit der Vertrauensfrage schadet nicht nur seiner eigenen Glaubwürdigkeit, sondern auch seiner SPD.

Scholz kann sich vorstellen, die Vertrauensfrage noch vor Weihnachten statt im Januar zu stellen, den Weg für Neuwahlen also früher als bislang vorgesehen freizumachen – alles „kein Problem“, sagte Scholz im Fernsehstudio von Caren Miosga, „wenn das alle gemeinsam so sehen“. Genau das ist das Problem: Der Kanzler macht die Vertrauensfrage zur Verhandlungssache. 

Miosga Scholz Merz 5.53

Der Kanzler muss die Vertrauensfrage stellen, niemand anderes sonst. Trotzdem will Scholz seine Entscheidung davon abhängig machen, dass sich sein SPD-Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich und Oppositionsführer Friedrich Merz auf einen Termin einigen. Scholz erweckt damit den Eindruck, als liege die Verantwortung nicht bei ihm, sondern dem Parlament. Wie war das nochmal mit der Führungsstärke?

Jedenfalls wird damit offenbar, was Scholz vor den Fernsehkameras abstreitet: Seine Bereitschaft, die Vertrauensfrage zu stellen, ist an Bedingungen geknüpft. Längst hat Fraktionschef Mützenich zu verstehen gegeben, dass die Sozialdemokraten für ein Entgegenkommen die Realisierung mehrerer Regierungsprojekte erwarten. Scholz spielt seine Absichten, die er zunächst mit dem Januar-Termin verknüpft hatte, nun lediglich über Bande. 

Olaf Scholz verspielt Vertrauen

Scholz‘ neue Beweglichkeit in der Sache stellt auch seine Sozialdemokraten vor ein Dilemma, könnte sie irrlichternd und beliebig biegsam dastehen lassen. Die SPD hatte nach dem Kollaps der Koalition beharrlich vor den logistischen, organisatorischen und politischen Problemen gewarnt, die aus einer zu früh gestellten Vertrauensfrage erwachsen könnten. Sind diese Probleme nun alle passé oder weniger schlimm als keine Einigung beim Kindergeld und dem 49-Euro-Ticket? Dieser Eindruck entsteht. Dabei sind allzu rasche Neuwahlen nach Einschätzung von Experten tatsächlich nicht ratsam. Die Kanzlerpartei wird erklären müssen, warum’s jetzt doch alles bisschen früher gehen könnte. 

Neuwahlen Vertrauensfrage 10:19

Nun kann man dem Kanzler zugute halten, dass er die dauererregte Debatte in ruhigere Fahrwasser zu lenken versucht, indem er das Parlament beraten lässt, welcher Termin für die Vertrauensfrage Sinn ergibt. Könnte sogar klappen. Fragt sich nur: Warum nicht gleich so? Warum erst den 15. Januar vorgeben, um dann eine Gemeinschaftslösung vorzuschlagen? So drängt sich der Verdacht auf, dass Scholz erstmal den Verlauf der Debatte abwarten wollte. Nun, wo der politische und gesellschaftliche Druck wächst, lenkt Scholz ein – aber eben unter Bedingungen. Berlin, ein Basar? 

Scholz‘ Hin-und-Her in der Vertrauensfrage dürfte das Gefühl jener verfestigen, für die der Politikbetrieb längst zum Quell von Verdruss geworden ist. Denn letztendlich macht der Kanzler genau das, was er seinem früheren Finanzminister als Verantwortungslosigkeit ausgelegt hatte: Das eine mit dem anderen zu verknüpfen. Dieser Modus hat die Ampel-Koalition scheitern lassen. Dass Scholz, der wieder Kanzler werden will, darin offenbar kein Problem sieht, schafft kein Vertrauen.