Regierungskrise: Deutschland diskutiert das Neuwahldatum – dem Kanzler geht es vor allem um Eines

Wählen, aber wann? Der Druck auf den Kanzler, bald die Vertrauensfrage zu stellen, steigt. Mögliche Neuwahltermine sind viele im Umlauf. Doch Olaf Scholz kann sich Zeit lassen.

Zumindest Olaf Scholz ist sich ziemlich sicher, wie die ganze Chose ablaufen soll. Erstmal noch ein bisschen regieren, freilich ohne Mehrheit. Friedrich Merz möge hier und da mal ein bisschen mit Stimmen aushelfen. Und dann, am 15. Januar, die Vertrauensfrage stellen, irgendwann Ende März die vorgezogene Neuwahl des Bundestags, an deren Ende der Bundeskanzler weiter Olaf Scholz heißt.

Doch es zeichnet sich bereits jetzt, zwei Tage nach dem Zerplatzen der Ampel, ab, dass es schwer werden wird, diesen Plan auch in die Tat umzusetzen. Das betrifft nicht nur den letzten Teil. Scholz hat seine Rechnung ohne den Merz gemacht – und nicht nur ohne den. Ganz offenkundig hält im politischen Berlin (fast) niemand etwas vom Fahrplan des SPD-Kanzlers, mit Ausnahme seiner Partei. Eines der Argumente der Sozialdemokraten für den 15. Januar: Sobald die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt wäre, könnten die Abgeordneten vollends in den Wahlkampfmodus schalten – und der Parlamentsbetrieb gewissermaßen zum Erliegen kommen (lesen Sie weitere Argumente hier: „So begründet Scholz seinen Zeitplan“).

Mehrheit der Deutschen für schnellen Neuwahltermin

Oppositionsführer Friedrich Merz hat sich an diesem Freitag im stern-Interview auf den 19. Januar als geeignetes Datum für die Neuwahl festgelegt – schließlich wird am Tag darauf Donald Trump neuer alter US-Präsident. „Um zu zeigen, Deutschland hat bald wieder eine handlungsfähige Regierung mit Mehrheiten im Parlament.“ Jedenfalls sollten die Bürgerinnen und Bürger „so schnell wie möglich“ an die Wahlurnen gehen. Mit diesem Credo war Merz am Donnerstag bei seiner Scholz-Visite im Bundeskanzleramt zwar abgeblitzt, aber er kann sich zumindest einer breiten Rückendeckung sicher sein.

Bundeswahlleiterin warnt vor Risiken Bundestagswahl 16.55

Nur 34 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und ntv meinen, dass eine Neuwahl erst im März die bessere Lösung ist. 60 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bürger halten einen möglichst früheren Zeitpunkt für wünschenswert. 

Auch im Bundestag hat sich eine ungewöhnliche Mehrparteienkoalition gegen den Kanzler-Fahrplan zusammengefunden. Was die Merz und seine Union wollen, ist bekannt – dort wird Scholz inzwischen sogar als „Klebe-Olaf“ (CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt) verspottet. Dass für die AfD Scholz ohnehin am liebsten gestern das Kanzleramt räumen sollte, ist ebenfalls keine Neuigkeit. Und auch der Bis-vorgestern-Ampel-Fraktionschef Christian Dürr hält das Festhalten des Kanzlers an seinem Amt für falsch, die BSW-Gruppe und Linke sowieso.

Nun kommt aber auch noch zaghafter, doch lauter werdender Widerspruch aus der Noch-Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen dazu. Vizekanzler Robert Habeck machte am Donnerstagabend bei „Markus Lanz“ im ZDF kaum durch die Blume gesprochen deutlich, dass er ebenfalls nicht allzu viel vom Kanzler-Plan hält.

Das Duell: Merz vs Scholz 9:37

Sicher ist bisher nur: In diesem Jahr wird es keine Bundestagswahl mehr geben – dafür sind die Fristen des Grundgesetzes und des Bundeswahlgesetzes zu knapp bemessen. 13 Sonntage gibt es im kommenden Jahr bis Ende März. Fast jeder wurde in der Debatte schon vorgeschlagen, inklusive aller Fürs und Widers. Ist zum Beispiel die Bürgerschaftswahl in Hamburg am 2. März ein Hindernis? Rechtlich nicht, gleichzeitig stattfindende Bundes- und Landtagswahlen hat es etliche gegeben. Ob das politisch gewollt ist, ist eine andere Frage.

Olaf Scholz ist vor allem Eines wichtig

In unsicheren Zeiten geben Regeln Sicherheit. Was also sagt das Grundgesetz? Um Neuwahlen herbeizuführen, kann der Bundeskanzler – und zwar nur der Bundeskanzler – die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. Verliert er sie (Abstimmung ist frühestens 48 Stunden nach dem Antrag möglich), kann der Bundespräsident das Parlament binnen 21 Tagen auflösen und die Neuwahl ansetzen. Diese muss dann innerhalb von 60 Tagen stattfinden. Würde Olaf Scholz morgen die Vertrauensfrage stellen, könnte es also Ende Januar/Anfang Februar eine Neuwahl geben – der favorisierte Termin von Friedrich Merz dürfte damit kaum machbar sein.

Ampel-Aus Szenarien 15.15

Einfach ist es also nicht, einen geeigneten Termin zu finden – und die widersprüchlichen Aussagen der Bundeswahlleiterin machen es nicht einfacher. Eine kurzfristige Neuwahl wäre aus Sicht der Bundeswahlleiterin kein Problem, sagte ein Sprecher der Behörde noch am Donnerstag zur Nachrichtenagentur DPA. Man sehe keine besondere Herausforderung, auch wenn das nun kurzfristig passieren würde.

Einen Tag später zitierte der „Spiegel“ dagegen aus einem Brief der Bundeswahlleiterin an Kanzler Scholz. „Soweit Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen würden, wäre der nur sehr knappe Zeitraum von 60 Tagen maßgeblich verkürzt“, heiße es darin. „Dies könnte zu unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen, insbesondere auf Gemeindeebene, führen und Beschaffungsmaßnahmen faktisch kaum realisierbar machen.“ Denn so eine Wahl muss auch irgendwie organisiert werden. Das fängt beim Aufstellen der Listen durch die Parteien an (für die es ebenfalls Fristen gibt) und hört beim Rekrutieren der ehrenamtlichen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer auf. Sie sehe „eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnten“, habe Ruth Brand weiter geschrieben. Kurzum: Scholz möge sich doch mit der Vertrauensfrage ein bisschen Zeit lassen (lesen Sie hier mehr dazu).

FS Neues Kabinett Scholz 16.10

Denn letztlich ist es der Kanzler, der alleine darüber entscheiden kann, wann er die Vertrauensfrage stellt und damit womöglich eine Neuwahl des Bundestags auflöst (wenn ihm Friedrich Merz nicht doch noch per konstruktivem Misstrauensvotum das Amt entreißt – lesen Sie hier, welche Weg zu einem neuen Kanzler führen können). Klar ist aber: Der Druck auf ihn, rasch zu entscheiden, dürfte weiter zunehmen – von Friedrich Merz, aber auch vom Koalitionspartner, den Grünen. Nach zwei Tagen der Diskussion rückte Scholz am Freitagnachmittag zumindest ein bisschen von seinem Vorhaben ab. „Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren“, sagte er am Rande des EU-Gipfels in Budapest am Freitag. „Für mich ist das so, dass wir hier ein großes demokratisches Fest haben, und das gelingt am besten, wenn alle gemeinsam zur Party schreiten.“

Vertrauensfrage verlieren am 15. Januar, vorgezogene Neuwahl Ende März – das ist für den SPD-Politiker offenbar verhandelbar. Am wichtigsten ist ihm ohnehin der letzte Punkt seines Plans: Dass der Kanzler am Ende wieder Olaf Scholz heißt.

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Quellen: ntv, „Bild“-Zeitung, Deutscher Bundestag, „Markus Lanz“, Bundeswahlleiterin (1), Grundgesetz, Bundeswahlgesetz, „Spiegel“, Nachrichtenagenturen DPA, AFP und Reuters