Ein Gendefekt macht bei manchen Menschen die Haut empfindlich wie ein Schmetterling. Die Folge: immer neue schmerzhafte Verletzungen und das lebenslang. Eine Therapie aus den USA schürt Hoffnungen.
Wenn die kleine Käthe aufs Laufrad steigt und losdüst, dann haften an ihr die besorgten Blicke ihrer Eltern. Denn jeder noch so kleine Sturz kann für das Mädchen aus dem westsächsischen Zwickau erhebliche Folgen haben. „Käthe ist wie ein rohes Ei zu behandeln“, erklärt Mutter Katharina Hofmann.
Die Vierjährige leidet an der unheilbaren Schmetterlingskrankheit. Was nahezu poetisch klingt, bedeutet für Betroffene häufige Schmerzen, aufwendige Pflege und viele Einschränkungen im Alltag. Manche haben auch nur ein kurzes Leben vor sich.
Fehler im Erbgut
Ärzte sprechen von Epidermolysis bullosa (EB) – eine seltene Erkrankung, die auf Veränderungen in den Genen zurückgeht. Manche Menschen tragen eine Mutation in sich, erkranken aber nicht. Doch können sie diese an ihre Kinder vererben. So wie Katharina Hofmann und ihr Mann Frank.
Der Fehler im Erbgut führt dazu, dass der Zusammenhalt der Hautschichten geschwächt ist. Die Folge: Schon kleinste Verletzungen, Reibungen oder Druck führen zu Blasen und offenen Wunden. Auch Schleimhäute können betroffen sein und so das Essen erschweren und schmerzhafte innere Verletzungen hervorrufen.
Katharina und Frank Hofmann wollen ihrer Käthe dennoch ein möglichst normales Leben bieten. Dazu gehört trotz aller Sorge auch das Laufrad. Doch Schreckmomente gibt es immer wieder. So wie vorigen Sommer. „Ich bin mit ihr gelaufen, habe sie an der Hand gehalten“, erinnert sich Mutter Katharina. Dabei sei Käthe gestolpert. „Ich habe intuitiv versucht, sie festzuhalten.“
Was bei jedem anderen Kind den Sturz verhindert oder gemildert hätte, hat Käthe noch mehr Schaden zugefügt. „Beim Festhalten habe ich die obere Hautschicht von ihrer Hand abgezogen wie einen Handschuh. Das war wie ein Alptraum für mich.“ Käthe habe rasch ins Krankenhaus gemusst, auch weil ihre Finger zusammenzuwachsen drohten.
Expertin: rund 2000 Betroffene in Deutschland
Cristina Has kennt etliche solcher Schicksale. Sie ist eine der wenigen Expertinnen für EB in Deutschland und betreut Patienten am Epidermolysis bullosa-Zentrum des Freiburger Universitätsklinikums. „Wir haben eine epidemiologische Studie durchgeführt und haben ungefähr 2000 Betroffene in Deutschland identifiziert“, berichtet Has.
Sie seien im Alltag oft extrem eingeschränkt, bei den schweren EB-Formen auch schwerbehindert. Bisher sei die Krankheit nicht heilbar, können Therapien nur die Symptome lindern. Häufig kämen Komplikationen hinzu. „Das können Gedeihstörungen, Blutarmut, Schluckbeschwerden und Komplikationen in den Nieren, im Herz und anderen Organen sein“, zählt Has auf, „aber auch Vernarbungen der Hände und Füße, sodass die Patienten in ihrer Mobilität stark eingeschränkt werden und gar im Rollstuhl sitzen.“
Auch die kleine Käthe muss in ihren jungen Jahren täglich eine umfangreiche Prozedur über sich ergehen lassen. Sie wird acht Stunden am Tag vom Kinderpflegedienst betreut. Die Pflegerinnen begleiten sie schon morgens im Kindergarten. Mittags, wenn Gleichaltrige bei einem Schläfchen neue Energie fürs Spielen und Toben sammeln, steht bei ihr ein aufwendiger Wechsel der speziellen Verbände an. Dabei werden auch neu entstandene Wunden versorgt. Etwa zwei Stunden dauert das Ganze. Käthe selbst ist an diesem Mittag schon sichtlich erschöpft, hält aber tapfer durch. Erst danach kann auch sie schlafen.
Betroffene hoffen auf Gentherapie
Seit einigen Jahren machen Fortschritte im Bereich der Gentherapie Betroffenen und ihren Familien Hoffnung. So hatte 2015 ein deutsch-italienisches Forscherteam einem Jungen Haut entnommen, gentechnisch aufgearbeitet und anschließend wieder auf die Wundflächen transplantiert. Rund 80 Prozent der Haut wurden auf diese Weise ersetzt.
Das Verfahren sei allerdings sehr kompliziert und anspruchsvoll, erklärt Has. Bisher sei es ihres Wissens nach an nur sehr wenigen Patienten angewendet worden. Vom Katholischen Klinikum Bochum, das an der Nachsorge beteiligt war, heißt es, dem Jungen gehe es gut und seine Haut sei stabil. Weitere solche Behandlungen habe es dort bisher aber nicht gegeben, so ein Sprecher.
Hoffnungen sind auch mit einer neuen Therapie aus den USA verbunden. Vyjuvek heißt das Medikament des börsennotierten Unternehmens Krystal Biotech, das vor gut einem Jahr von der US-Behörde FDA zugelassen wurde. Es basiert auf einem im Labor genetisch veränderten Herpesvirus. Mittels eines Gels auf die Wunden aufgetragen liefert es dort neue Kollagen7A1-Gene, die wiederum die in der Haut fehlenden Kollagen-Proteine bilden. Die Folge: Die Hautschichten halten besser zusammen und die Wundheilung wird gefördert. Auch für Europa hat das Unternehmen im Herbst eine Marktzulassung beantragt.
Erste Patienten in Deutschland erhalten neues Medikament
In Freiburg wird das Gel bereits bei zwei Patienten angewendet. „Nach meinem Wissen sind wir die Ersten in Deutschland, die das angewendet haben, sogar in Europa“, sagt Has. „Was wir sehen ist, dass die Wunden sehr viel schneller heilen als ohne diese Behandlung.“ Auch komplizierte chronische Wunden hätten sich geschlossen. „Wir sind positiv beeindruckt von dem Effekt des Medikaments.“
Zunehmend bekomme sie Anfragen von Patienten speziell nach dieser Behandlung. Bisher sei das aber nur im Rahmen individueller Therapieversuche möglich. Mit einer generellen Zulassung in Europa rechne sie erst Ende des Jahres.
Therapie mit Problemen
Doch auch diese Therapie hat Haken. Zum einen ist sie extrem teuer. Die Kosten werden derzeit auf etwa 800.000 US-Dollar (etwa 737.000 Euro) für eine Behandlung über einen Zeitraum von einem halben Jahr beziffert – für nur einen Patienten. Das Gel müsse wöchentlich aufgetragen werden von medizinischem Personal, erklärte Has.
Um die Therapie künftig zu etablieren, müssten daher Pflegedienste und Wundzentren in Wohnortnähe eingebunden werden. „Die Behandlung muss eigentlich lebenslang erfolgen an den offenen Wunden“, gibt die Expertin zu bedenken. Doch sei zu erwarten, dass mit der Zeit die Wundflächen der Patienten kleiner werden und so der Bedarf an dem Medikament sinke.
Aus ihrer Sicht besteht Hoffnung für viele Patienten, künftig mithilfe der Therapie mehr Lebensqualität zu gewinnen. Zwar wird die Krankheit auch dadurch nicht geheilt. Aber sie könnte Betroffenen den Alltag erleichtern wie Schulbesuch, Studium und Ausbildung oder einem Beruf nachzugehen.
Auch die Hofmanns knüpfen an das neue Medikament hohe Erwartungen für ihre Käthe. „Ich habe Patientenberichte aus den USA gelesen, die sind sehr vielversprechend“, sagt Katharina Hofmann. „Ich hoffe ganz sehr für die Kinder hierzulande, die schon große chronische Wunden haben, dass sie in den Genuss dieser Therapie kommen – und meine Käthe natürlich auch.“
Spendenmarathon im Trabi durch die USA
Um Betroffenen der seltenen Schmetterlingskrankheit mehr Aufmerksamkeit zu bringen und Spenden für eine Behandlung zu sammeln, setzen die Hofmanns mit einem Bekannten auf einen Klassiker aus DDR-Zeiten: das Kultauto Trabant 601. Der ist vor 60 Jahren erstmals in Zwickau vom Band gerollt.
Ende Juni will sich Jan-Erik Nord aus Berlin mit einem solchen Trabi im Farbton Champagnerbeige auf einen Spendenmarathon durch die USA begeben. Vor ihm liegen etwa 6000 Kilometer von der Ostküste bis nach Stanford in Kalifornien. Dabei will Nord Spenden sammeln. Sein treuer Begleiter wird ein Teddybär sein. Den hat ihm Käthe mit auf den Weg gegeben.