„Ampel“ zerbricht am Streit mit Lindner – mögliche Neuwahl bis Ende März

Die Ampel-Koalition ist Geschichte: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Mittwochabend im seit Wochen währenden Streit um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik die Entlassung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) an. Scholz will nun im Januar die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg für mögliche Neuwahlen bis Ende März freimachen. Bis dahin will er in einer Minderheitsregierung mit den Grünen weiterregieren.

Er werde in der ersten Sitzungswoche im Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, sagte Scholz, nachdem der Streit mit Lindner bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses im Kanzleramt eskaliert war. Die Mitglieder des Parlaments könnten dann am 15. Januar entscheiden, „ob sie den Weg für vorgezogene Neuwahlen freimachen“, sagte der Kanzler. Sie müssten in diesem Fall nach den Fristen des Grundgesetzes dann „spätestens bis Ende März“ stattfinden.

Scholz übte scharfe Kritik an FDP-Chef Lindner. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, sagte der Kanzler zur Lage in der Ampel-Koalition, die seit Anfang Dezember 2021 regiert. Lindner habe zu oft „Gesetze sachfremd blockiert“ und „kleinkariert politisch taktiert“. Lindner gehe es um „die eigene Klientel, ihm geht es um das Überleben der eigenen Partei.“ Ein „solcher Egoismus“ sei angesichts der aktuellen Situation „vollkommen unverständlich“.

Lindner habe „ultimativ“ eine grundlegend andere Politik gefordert mit „milliardenschweren Steuersenkungen für wenige Spitzenverdiener und zugleich Rentenkürzungen für alle Rentnerinnen und Rentner“. Dies sei „nicht anständig, das ist nicht gerecht“, sagte Scholz. Durch seine Forderung zum Kurswechsel in der Klimapolitik sorge er zudem für Verunsicherung bei den Unternehmen.

Scholz forderte bei dem Treffen im Kanzleramt nach eigenen Angaben von Lindner, den Weg für eine Überschreitung der Schuldengrenze durch einen Notlagenbeschluss freizumachen. Nur so könne die nötige zusätzliche Unterstützung der Ukraine finanziert werden, ohne „zu Lasten von Rente, Gesundheit und Pflege“ zu gehen, sagte der Kanzler. Beides dürfe nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Lindner wies Scholz die Schuld am Scheitern der Ampel-Koalition zu. „Scholz hat heute Nachmittag ultimativ von mir verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen“, sagte Lindner. „Ich konnte nicht zustimmen, weil ich sonst meinen Amtseid verletzen würde.“

Lindner warf dem Kanzler vor, die Zusammenarbeit mit ihm und der FDP aufgekündigt und damit einen „kalkulierten Bruch dieser Koalition“ herbeigeführt zu haben. Allerdings hatte er nach eigenem Bekunden selbst Scholz im Koalitionsausschuss zu Neuwahlen aufgefordert. FDP-Fraktionschef Christian Dürr kündigte am Abend den Rücktritt auch der übrigen FDP-Minister an.

Vize-Kanzler Robert Habeck von den Grünen teilte mit, seine Partei werde zunächst in der Regierung bleiben. Er sprach sich aber auch dafür aus, „jetzt zügig den Weg zu geordneten Neuwahlen frei zu machen“, die demnach im Frühjahr stattfinden sollen.

Habeck bedauerte das Scheitern der „Ampel“. Gerade vor dem Hintergrund des Wahlsieges von Donald Trump am selben Morgen in den USA wolle er sagen, „dass sich das heute falsch und nicht richtig anfühlt“. Die Entlassung von FDP-Chef Christian Lindner als Bundesfinanzminister durch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei „folgerichtig“ gewesen, aber auch „unnötig“, denn es habe andere Handlungsmöglichkeiten gegeben.

Lindner hatte vergangene Woche mit einem 18-seitigen Forderungspapier für eine „Wirtschaftswende“ den Druck auf die Koalitionspartner erhöht. Es war bei SPD und Grünen weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Scholz hatte sich darauf mit Lindner seit Sonntag mehrfach getroffen, um die Koalitionskrise zu lösen – seit Montag auch vier Mal zusammen mit Habeck. 

Er wolle nun bis Weihnachten noch die Gesetzesvorlagen im Bundestag zur Abstimmung stellen, „die keinen Aufschub“ dulden, sagte Scholz am Mittwochabend. Dazu zählten der Ausgleich für die sogenannte kalte Progression, um inflationsbedingte höhere Steuerbelastungen von Arbeitnehmern zu vermeiden, die Stabilisierung der gesetzlichen Rente und „Sofortmaßnahmen für unsere Industrie“. Die Beschlüsse sollten bis zur letzten Sitzung des Bundesrats in diesem Jahr am 20. Dezember gefasst sein.

Scholz will nun auch das Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz suchen. Er wolle zeitnah dem Oppositionsführer anbieten, „in Fragen, die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten“, sagte der Kanzler. Er nannte dabei besonders die Sicherheitspolitik.

Vertreter von CDU und CSU forderten schnellstmöglich Neuwahlen. „Taktische Verzögerungen darf es nicht geben“, schrieb CSU-Chef Markus Söder im Onlinedienst X. Auch die Vorsitzende der Mittelstandsunion und Bundestagsabgeordnete Gitta Connemann (CDU) forderte von Scholz umgehend die Vertrauensfrage.

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht äußerte sich ähnlich: „Der Zeitplan des Kanzlers ist politische Insolvenzverschleppung“, sagte Wagenknecht dem Portal t-online.