Es geht um die Wirtschaftsflaute, den Industriestandort Deutschland und zehntausende Arbeitsplätze. Bei den Gipfeln von Scholz und Lindner steht aber auch die Zukunft der Koalition auf dem Spiel.
Der Kanzler will kein Koalitions-Theater mehr. Deshalb bleibt der Vorhang zu, wenn er am Dienstag um 16.00 Uhr mit Vertretern von Industrieverbänden, Gewerkschaften und großen Unternehmen über Wege aus der Wirtschaftsflaute berät. Es gibt anschließend keine Pressekonferenz, auch die ursprünglich geplanten Auftaktbilder bleiben Fotografen und Kameraleuten verwehrt. Was hinter verschlossenen Türen im Kanzleramt besprochen wird, soll nach dem Willen des Kanzlers nicht nach draußen dringen. „Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen“, hat er am Wochenende als Devise für das Treffen ausgegeben. Sein Ziel sei ein „großes Miteinander“ in der Sache.
Zwei für die Sache nicht ganz unwichtige Akteure bleiben aus dem „großen Miteinander“ aber erst einmal ausgeschlossen. Es sind ausgerechnet die beiden, auf die Scholz am meisten angewiesen ist, wenn er sein Versprechen einer „neuen industriepolitischen Agenda“ wahr machen will: Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen und Finanzminister Christian Lindner von der FDP – seine beiden Koalitionspartner.
Die finden den Alleingang ihres Regierungschefs gar nicht gut und haben auf unterschiedliche Weise reagiert. Habeck legte ein Impulspapier vor, in dem er einen milliardenschweren Fonds für mehr Investitionen fordert. Lindners FDP-Fraktion stellte kurzerhand eine Art Gegengipfel auf die Beine, der nur fünf Stunden vor dem Treffen im Kanzleramt schräg gegenüber im Reichstagsgebäude stattfindet. Es geht hier also nicht nur um die Wirtschaft, sondern auch um die Zukunft einer Koalition, die jetzt schon auf der Kippe steht.
Die Ausgangslage: Rezession und Uneinigkeit in der Ampel
Für dieses Jahr wird die zweite Rezession in Folge erwartet – Deutschland hinkt damit anderen westlichen Industrieländern hinterher. Die Wirtschaftsleistung schrumpft laut Prognosen unter anderem, weil sich Unternehmen wie Privatleute angesichts der geopolitischen Lage mit Investitionen zurückhalten. Auch Streit innerhalb der Ampel trage zur Unsicherheit bei, räumte Habeck vor drei Wochen ein. Zuvor hatten führende Wirtschaftsforschungsinstitute beklagt, es gebe einen „deutlichen Anstieg der politischen Unsicherheit“. Die Ampel-Partner verfolgten unterschiedliche politische Ziele.
Was die Wirtschaft erwartet: Schnelle Entscheidungen
Wirtschaftsverbände fordern seit langem umfassende strukturelle Reformen: niedrigere Energiepreise, weniger Bürokratie, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel, runter mit den Sozialabgaben, mehr Geld für die teils marode Infrastruktur. Die Ampel-Koalition hat zwar eine „Wachstumsinitiative“ mit vielen Maßnahmen angekündigt. Davon ist aber bisher nichts umgesetzt und einiges strittig. Wirtschaftsverbände halten die Pläne für nicht ausreichend.
Vor dem Gipfel rufen die Wirtschaftsverbände die Ampel-Koalition zu einem einheitlichen und schnellen Handeln auf. „Die Wirtschaftsdaten mahnen zur Eile“, sagt Jörg Dittrich, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, der am FDP-Gipfel teilnimmt. „Ein gemeinsamer, schlüssiger und abgestimmter Regierungsplan ist nötig – keine zersplitterte Partei- oder Wahlkampftaktik.“
Was der Kanzler will: Eine „neue industriepolitische Agenda“
Der Kanzler geht ohne fertiges Konzept in die Beratungen mit Wirtschaft und Gewerkschaften. Er will sich Zeit nehmen. Schon jetzt steht fest, dass weitere Treffen folgen sollen. Was sein Ziel ist, hat Scholz vor zwei Wochen in einer Regierungserklärung im Bundestag gesagt: Eine „neue industriepolitische Agenda“ mit konkreten Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft und zur Sicherung von Arbeitsplätzen. „Das, was dabei rauskommt, werde ich diesem Parlament vorschlagen, auch auf den Weg zu bringen, damit es vorangeht in Deutschland“, hat er versprochen.
Scholz konzentriert sich bei dem Gipfel auf Branchen, in denen es um besonders viele Arbeitsplätze geht. Neben dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) soll der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) dabei sein. Die Arbeitnehmer sind durch den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die IG Metall und die IG Bergbau, Chemie, Energie vertreten. Von den großen Unternehmen sollen neben VW auch BMW und Mercedes dabei sein.
Was Lindner und die FDP wollen: Reformen für alle
Für die FDP greift das Vorgehen des Kanzlers zu kurz. „Denn die deutsche Wirtschaft ist nicht nur Industrie, sie ist auch Mittelstand, Handwerk, freie Berufe“, sagt Lindner. Letztere hat die FDP deswegen separat ins Reichstagsgebäude eingeladen. Sie will nicht nur die Industrie in den Fokus nehmen. „Wir wollen Strukturreformen, die allen helfen“, sagt Fraktionsvize Christoph Meyer der Funke Mediengruppe.
Was Habeck will: Milliardenfonds für Investitionen
Habeck hat als Reaktion auf den Kanzler-Gipfel zwar keine eigene Wirtschaftskonferenz einberufen, dafür aber einen inhaltlichen Vorschlag gemacht. Er will einen Fonds auflegen, mit dem Unternehmen zehn Prozent ihrer Investitionen erstattet werden sollen und der über Schulden finanziert werden soll. Auf einen finanziellen Umfang wollte sich Habeck bisher nicht festlegen. „Ich habe mit Absicht kein Volumen errechnet“, sagte er bei der Vorstellung seines Vorschlags. Es gebe aber Berechnungen des BDI, nach denen eine „mittlere dreistellige Milliardenzahl“ für die nächsten Jahre notwendig sei.
Was am Ende dabei herauskommen kann: Steht in den Sternen
Fest steht nur eins: Um überhaupt ein Ergebnis zu erzielen, müssten sich Scholz, Habeck und Lindner wieder zusammenraufen. Und ob das noch möglich ist, ist fraglich. Vor dem Haushalts-Showdown im Bundestag dürfte es jedenfalls nichts werden. Am 14. November ist die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses. Wenn sich die Koalition dann nicht darauf einigt, wie sie die noch offenen Lücken stopfen will, steht sie ohnehin am Abgrund.