Martina Hill ist aus der deutschen Comedy-Szene nicht wegzudenken. Im Interview spricht sie über ihren Podcast, das Suchtpotenzial von Social Media und ihren runden Geburtstag.
Sie machen seit Kurzem den Comedy-Podcast „Larissa in dein Ohr!“. Woher nehmen Sie die Inspiration für die naive Art und Weise, wie Larissa die Welt und die Menschen sieht?
Aus dem echten Leben. Ich höre oft sehr aufmerksam Menschen zu und achte darauf, wie sie miteinander sprechen. Und die von Larissa angesprochenen Themen begegnen mir natürlich auch bei der Nutzung von Social Media oder im Alltag beim Einkaufen. Wenn ich mich in Larissa verwandelt habe, gelingt es mir immer, mich wieder wie 25 zu fühlen. Ich zapfe meine kindliche Ader an und habe einfach Spaß am Blödsinn sabbeln.
Wann und wo wurde die Figur Larissa „geboren“?
Angefangen hat alles im Vorfeld zu Silvester 1999 mit einer Einladung zur Party des Jahrhunderts. Für dieses Event wollte ich megahot aussehen und war auf der Suche nach einem ganz besonderen Outfit. Am Ku’damm stieß ich auf eine dunkle Plastiklanghaarperücke, die einhundert Mark kostete. Es war Liebe auf den ersten Blick!
Soviel zum Style. Und der Charakter Larissa?
Der wurde gewissermaßen in der Berliner U-Bahn geboren. Dort habe ich mich für ihren Slang und ihre Attitüde inspirieren lassen. Larissa ist dabei natürlich immer ein bisschen überzeichnet, aber sie verkörpert dieses moderne, etwas naive, trotzdem unglaublich selbstbewusste Auftreten vieler Großstadt-Girls. Und die Perücke passte vom Look her genau auf eines der Mädels, mit dem ich morgens oft in der Linie U8 fuhr. Als ich 2011 dann bei „Switch Reloaded“ eine fiktive Figur für die Reality-Formatparodie „Mitten im Leben“ spielen sollte, hatte Larissa dann endlich auch ihr TV-Debüt. Martina
Sehen Sie die Gefahr, dass die Jugend durch zu viel Online-, Smartphone- und Social-Media-Konsum zunehmend verblödet?
Ich finde, dass die jungen Leute nicht mehr oder weniger verblöden als wir damals. Jede Generation hat ihre ganz eigenen Herausforderungen. Es kommt am Ende immer darauf an, was man daraus macht. Die Dosis macht das Gift! Problematisch wird es erst dann, wenn sich die Kids nur noch in einer Onlineblase aufhalten und dabei das echte Leben komplett vernachlässigen. Ich bin allerdings trotzdem heilfroh, dass es in meiner Jugend noch kein TikTok oder Instagram gab.
Warum?
Weil es mir auch als erwachsene Frau ab und zu passiert, dass ich mich in der Social-Media-Welt verliere. Den einen Moment denke ich noch: Ach schau mal, was für ein lustiges Katzenvideo. Und im nächsten Moment frage ich mich, wo bitte die vergangenen drei Stunden geblieben sind. Als Teenager wäre ich wahrscheinlich gar nicht mehr vor die Tür gekommen. Es ist schon schräg, wenn einen der Algorithmus besser kennt als die beste Freundin. Aber genau dafür wurden die Apps ja programmiert: Um uns alle süchtig zu machen. Und als junger Mensch tappt man da noch viel leichter in die Falle.
Stichwort Frauenpower: Warum tun sich erfolgreiche Frauen bis heute zu oft noch schwer damit, Netzwerke mit anderen Frauen aufzubauen – so wie Männer das bereits seit Jahrhunderten tun? Gönnen sich Frauen untereinander den Erfolg weniger?
Dass wir Frauen uns beruflich per se gegenseitig nichts gönnen und gegeneinander ausspielen, halte ich für ein überholtes Klischee! Zumindest in meiner Berufswelt und im näheren Umfeld kenne ich keine Stutenbissigkeit und erlebe es genau andersherum. Gerade dadurch, dass Frauen zahlenmäßig oft noch in der Unterzahl sind, erlebe ich in der Comedy-Szene zum Beispiel einen immer stärkeren und größeren Zusammenhalt. Es ergibt ja auch keinen Sinn, sich gegenseitig im Weg zu stehen. Wenn uns in Sachen Karriere Steine im Weg liegen, dann liegt das nicht an uns Frauen.STERN_PAID_Negah_Amiri 15:12
Sondern?
An den über viele Jahre gewachsenen Strukturen. Die meisten Branchen wurden nun mal von Beginn an von Männern dominiert. Das dauert seine Zeit, bis sich da wirklich spürbar etwas ändert.
Wie selbstbewusst, stark und kämpferisch waren Sie als junge Frau in den Neunzigerjahren?
Auf den ersten Blick habe ich auf mein Umfeld wohl ziemlich selbstbewusst und taff gewirkt. Tatsächlich war ich mit meinem Leben aber total überfordert. Ich hatte Zukunftsängste, keinen Plan, wo die Reise nach dem Abi beruflich für mich hingehen soll und war wie gelähmt von all den Möglichkeiten und notwendigen Entscheidungen, die es zu fällen gab. Ich hatte ständig Sorge, die falsche Wahl zu treffen und mich festzulegen. Damals habe ich mir nicht besonders viel zugetraut.
Sie sind im Juli 50 Jahre alt geworden. Wie viel Respekt hatten Sie vor diesem runden Geburtstag?
Zu behaupten, dass mir die Zahl gar nichts ausmacht und ich gerne körperlich altere, wäre eine Lüge. Und natürlich fühle ich mich mit 50 nicht mehr wie 25. Früher dachte ich allerdings auch, dass man sich in diesem Alter bereits in einer Vorstufe zum Großmütterchen befindet. Ich hatte Bilder von Frauen mit Kurzhaarfrisur und langweiligen Klamotten vor Augen, die zu Hause versauern.
Aber weit gefehlt?
Bis auf die ersten Falten, grauen Haare und dem schleichenden Prozess in die ebenso herausfordernde wie spannende Welt der Wechseljahre, ist bei mir zum Glück bislang noch alles beim „Alten“ geblieben. Ganz egal, ob ich an meinen Lebensstil, Alltag oder mein Umfeld denke.
Ist die Fixierung auf das Alter und Alterskategorien demnach eher ein Gesellschafts-Phänomen, das uns aufgedrückt wird?
Auf jeden Fall! Es sind vor allem soziale Netzwerke und Medien, die einem die Panik machen. Warum wird um diese Altersgrenze nur so ein riesiger Zirkus veranstaltet, vor allem bei Frauen? Manchmal habe ich das Gefühl, ich müsste mich fast dafür entschuldigen, dass ich 50 geworden bin.
Was nervt Sie an der Zahl?
Dass die 50 vor allem bei Frauen derart stark in den Fokus gerät und wir gescannt und durchleuchtet werden, als hätten wir etwas verbrochen oder ganz besonderes geleistet. Und dass es nun heißt: „Was, du bist schon 50? Das sieht man dir gar nicht an!“ Natürlich freue ich mich insgeheim über das Kompliment, auch wenn ich nicht weiß, wie ernst ich das wirklich nehmen kann. Aber selbst, wenn man mir mein Alter ansehen würde, wäre das denn schlimm oder gar mein Verschulden?Martina Hill Interview 9.20
Wenn Sie sich heute mit der 25-jährigen Martina vergleichen: Was gefällt Ihnen heute besser an Ihnen?
Ich bin heute wesentlich angstfreier und nicht mehr so streng mit mir selbst. Zudem gehe ich viel bewusster durch mein Leben, hinterfrage nicht mehr alles und vertraue heute dem Lauf der Dinge. Und ich bin nicht mehr so leicht aus der Bahn zu werfen. Das Absurde ist, dass ich mich mit 50 attraktiver und wohler in meinem Körper fühle als früher. Mit Anfang 20 stand ich mir bei dieser Frage viel zu sehr selbst im Weg. Daher kommt wohl auch der Spruch, dass die Jugend an die Jugend verschwendet wird.
Was feiern Sie am Älterwerden?
Am Prozess des Älterwerdens feiere ich grundsätzlich nichts. Wenn ich etwas feiere, dann das Leben selbst und die Tatsache, dass ich überhaupt lebe. Was für ein großes Geschenk! Ich bin da – und das hoffentlich noch sehr lange. Aber irgendwann ist nun einmal Schluss, und zwar für jeden von uns. Wenn ich an das hohe Alter denke, mache ich mir natürlich meine Gedanken und bete, dass es mir auch mit 85 noch gut gehen wird; dass ich gesund bin und bei klarem Verstand.
Was macht das körperliche Älterwerden mit Ihnen?
Natürlich habe ich keine Lust auf Falten, einen runzligen Hals und eingefallene Augenlider, Hitzewallungen und Stimmungsschwankungen. Aber all das gehört eben auch dazu. Das stelle ich nicht infrage, da ich mit den Jahren immer gelassener geworden bin. Ich gehe nicht mehr bei jedem Quatsch an die Decke und vertraue darauf, dass ich mich auch weiterhin dahin gehend entwickle, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind. Dass ich in alles hineinwachsen werde, so wie mir das in meinen bisherigen Lebensphasen auch gelungen ist.
Wie gehen Sie mit dem Gefühl um, dass die eigene Lebenszeit immer weniger wird?
Seit ich mir den Gedanken verinnerlicht habe, dass alles im Leben endlich und begrenzt ist, hat mein Drang nach Perfektion stark nachgelassen. Ich bin offener dafür geworden, Fehler zu machen und meine Unvollkommenheiten zu akzeptieren. Die Vorstellung, dass alles, was ich aufgebaut habe, irgendwann vorbei sein wird, löst in mir in manchen Momenten aber ein Gefühl der Hilflosigkeit oder Ohnmacht aus. Das hat mir schon so manche schlaflose Nacht bereitet. Wenn ich den Gedanken der eigenen Vergänglichkeit so richtig an mich heranlasse, kann der mir schon die Schuhe ausziehen.
Was genau überwältigt Sie daran?
Irgendwann nicht mehr da zu sein und die Erde dreht sich trotzdem weiter, ist für mich nur schwer vorstellbar. Das ist ein unwirklicher Gedanke. Aber es läuft nun mal darauf hinaus und diese Erkenntnis relativiert alles. Mir meine eigene Vergänglichkeit vor Augen zu führen, hilft mir sehr dabei, vieles im Leben leichter anzunehmen und hinzunehmen.