Es ist der größte politische Rückschlag für den polarisierenden Regierungschef, seit er 2014 Premierminister wurde. Ist die indische Demokratie damit gerettet?
Nach dem deutlich schlechteren Abschneiden seiner Partei bei der Parlamentswahl in Indien kann Premierminister Narendra Modi bei der Regierungsbildung auf die Unterstützung bisheriger Verbündeter hoffen. Nach Beratungen in Modis Residenz in Neu-Delhi am Mittwoch teilten die Hindu-Nationalisten auf der Plattform X mit, die bisherigen Koalitionspartner hätten sich auf den 73-Jährigen an der Spitze einer Regierungskoalition geeinigt. Ein Vertreter der regionalen Janata-Dal-Partei bestätigte dies und sagte dem Medium „Business Today“, dass eine Regierung unter Modi demnächst gebildet werde. Auch wenn es von anderen Koalitionspartnern zunächst keine eindeutigen Mitteilungen gab, wurde erwartet, dass der polarisierende und zunehmend autokratisch agierende Modi bald eine dritte Amtszeit in Folge antreten dürfte – als zweiter Premier seines Landes nach Jawaharlal Nehru.
Die hindu-nationalistische BJP hatte erstmals seit zehn Jahren die absolute Mehrheit im Unterhaus verloren, bleibt aber stärkste Kraft. Sie sicherte sich 240 von insgesamt 543 Sitzen im Parlament, wie die Wahlkommission mitteilte. Mit den bisherigen Koalitionspartnern – kleine, regionale Parteien – käme die BJP auf mindestens 292 Sitze, die eine Regierungsbildung zuließen, wie Auswertungen örtlicher Medien zeigen.
Kommentatoren: Volk will eine Kursanpassung
Allerdings wiesen etliche politische Kommentatoren darauf hin, dass das Volk mit ihrem Votum eine klare Nachricht nach Neu-Delhi gesandt habe: Es wolle eine Kursanpassung. „Die Politik der religiösen Polarisierung der BJP, die unbesiegbar schien, wurde in Schach gehalten“, schrieb etwa Sudheendra Kulkarni. „Die indische Demokratie kann aufatmen. Die Grundwerte der Verfassung, die in den vergangenen zehn Jahren schweren unter Druck gerieten, sind nun gut geschützt.“
Im Wahlkampf hatte die BJP hauptsächlich auf den Personenkult um Modi als starken, gottähnlichen Anführer gesetzt. Sie propagiert eine hindu-nationalistische Agenda, wonach Indien zu einem Staat nur für die hinduistische Mehrheit werden soll, die 80 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Infolgedessen wurden die rund 200 Millionen Muslime und andere religiöse Minderheiten zunehmend wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Indien ist mit 1,4 Milliarden Einwohnern das bevölkerungsreichste Land der Welt.
Außerdem hatte Modi die Macht in seinem Amt zentralisiert und die Opposition warf ihm vor, Staatsorgane zu nutzen, um sie zum Schweigen zu bringen. Mehrere ihrer Politiker saßen wegen Korruptionsvorwürfen während des Wahlkampfes in Untersuchungshaft. Zugleich waren die meisten Medien auf Regierungslinie. Kritik prallte an dem Regierungschef ab.
„Menschen wollen endlich Arbeit“
Unter Modi stieg der Subkontinent zwar auch zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht der Welt auf. Allerdings ist das Wachstum sehr ungleichmäßig verteilt und nur eine Minderheit profitiert. Es herrscht hohe Arbeitslosigkeit und Inflation – Probleme, auf die die Opposition immer wieder hinwies. Mehr als die Hälfte aller Einwohner – rund 800 Millionen – kommen offiziellen Angaben zufolge nur mit Sozialhilfe über die Runden. Das hätten sie jetzt statt, schrieb die „Hindustan Times“. Sie wollten endlich Arbeit.
Im Wahlkampf noch hatte sich Modi eine hohe Messlatte für Erfolg gesetzt: Er wollte die bisherige Mehrheit seiner Koalition deutlich ausbauen – auf mehr als 400 Sitze. Doch er erlitt stattdessen einen deutlichen Verlust von Mandaten. Die Opposition konnte hingegen überraschend zulegen. Ihr Bündnis kam örtlichen Medien zufolge auf 234 Sitze, das ebenfalls am Mittwoch Beratungen führte.
Gleichzeitig erreichten Modi bereits Glückwünsche aus Teilen der Welt: Aus China, mit dem Indien wegen eines Grenzkonflikts sehr angespannte Beziehungen hat, hieß es, die Beziehung der Länder liege im Interesse beider Seiten und trage zu Frieden und Entwicklung in der Region bei. Die italienische Präsidentin Giorgia Meloni betonte, sie wolle verstärkt mit ihm zusammenarbeiten. Westliche Staaten suchen angesichts eines verstärkt aggressiv auftretenden Chinas zunehmend engere Beziehungen zu Indien.