Christian Lindner will einen Gegengipfel zum Industriegipfel von Kanzler Scholz veranstalten. Es könnte der Schritt sein, der die Ampel ins Aus treibt.
Beziehungen sind oft noch rettbar, solange gestritten wird. Wenn es hin und wieder mal knallt, man sich danach verträgt. Brandgefährlich wird es, wenn das große Schweigen einkehrt, wenn einfach nicht mehr miteinander gesprochen wird, sondern nur noch übereinander. Diese letzte Beziehungsphase hat die Ampel-Koalition offenbar erreicht.
Müde sah der Bundesfinanzminister am Donnerstagabend aus, müde und abgekämpft. Im ZDF erklärte Christian Lindner, dass er weder über den Industriegipfel des sozialdemokratischen Bundeskanzlers noch über den industriepolitischen Vorstoß des grünen Wirtschaftsministers vorher informiert war.
Lindner, Scholz, Habeck: Keiner informiert den anderen
Die SPD wiederum hatte wenige Tage zuvor ebenfalls nichts von Habecks Vorstoß gewusst und auch die Grünen waren von Bundeskanzler Scholz nicht zu seinem Gipfel eingeladen worden. Man behandelt sich inzwischen zumindest gleich schlecht in diesem toxischen Dreiecksverhältnis.
Am Freitagmorgen wagte Lindner dann selbst den Angriff: Er lädt ebenfalls zu einem Treffen mit der Industrie ein, fast zeitgleich mit dem Bundeskanzler. Es ist ein Affront. Und zusammengenommen hinterlässt die geballte Gipfelei vor allem eines: den Eindruck von Unernst.
Statt sich an einer gemeinsamen Lösung zu versuchen, preschen Scholz, Lindner und Habeck mit wahlkampftauglichen Initiativen vor. Dabei hatte Lindner selbst noch am Donnerstag genau diese Art des Nicht-mehr-miteinander-Regierens dafür verantwortlich gemacht, dass bei Wirtschaft und Verbrauchern Unsicherheit herrsche. Nur um sich wenige Stunden später wieder selbst daran zu beteiligen.
Die Phase der Kraftmeierei
Man muss das so deutlich sagen: Ausgerechnet in einer Zeit der Rezession hat Deutschland eine nahezu handlungsunfähige Regierung. Im Haushalt fehlt ein zweistelliger Milliardenbetrag, die Wirtschaft schrumpft, Industriebetriebe drohen abzuwandern. Den drei Partnern fehlt längst die Kraft für die größere Reformen, ihnen läuft auch die Zeit davon. Deshalb treten sie in eine neue Phase ein: die der Kraftmeierei.
In vertraulichen Gesprächen wird längst schon gemutmaßt, wer die Koalition zuerst platzen lässt. Manche Politiker taxieren die Wahrscheinlichkeit, dass das nach vor Weihnachten passiert, inzwischen auf 90 Prozent. Fakt ist: Die Koalitionspartner trauen sich längst nicht mehr über den Weg, keinen Millimeter weit. Jeder kämpft gegen jeden und vor allem darum, von den Wählern nicht zum hauptamtlicher Buhmann für die Misere auserkoren zu werden. Rette sich, wer kann.
Besonders im Kanzleramt wird damit argumentiert, dass Deutschland Stabilität brauche in unsicheren Zeiten. Deshalb müsse die Ampel durchhalten, auch in kommenden Regierungen werde es nicht deutlich einfacher miteinander. Aber wenn es auch nur teilweise stimmt, was das Regierungsmitglied Christian Lindner sagte, nämlich, dass die Regierung für einen guten Teil der Unsicherheit im Land mitverantwortlich wäre, dann läuft dieses Argument ins Leere.
Die Angst vor dem Ampel-Aus
Natürlich kann der Austausch einer instabilen, kraftlosen und unbeliebten Regierung letztlich zu mehr Stabilität führen. Ein ehrlicheres Argument der verbliebenen Ampel-Befürworter wäre vermutlich ihre eigene Sorge vor dem Wähler: Alle drei Parteien müssten bei einer nächsten Wahl – stand jetzt – mit ganz erheblichen Verlusten rechnen, die FDP könnte es vernichten. Freilich hält sich die Lust am nächsten Wahlgang in Grenzen.
22: FDP soll den Lambsdorff machen Söder fordert Koalitionsbruch von Liberalen – fa7ffc179bc8217d
Man muss vorsichtig sein mit historischen Vergleichen. Und doch erinnert der Gegengipfel zur Industrie von Christian Lindner an das Scheidungspapier der Liberalen aus dem Jahr 1982. Damals zerbrach über einen Brief der FDP mit wirtschaftspolitischen Vorschlägen die sozial-liberale Koalition. Mag sein, dass Lindners Brüskierung des Kanzlers zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik einen Sozialdemokraten zum Rauswurf der FDP reizen soll.
Selbst dafür fehlt der Ampel der Mut
Aber auch das vermutete man ja schon häufiger im Laufe dieser Koalition, dass sie – nun aber wirklich! – kurz vor dem Aus stehe; dann quälten sich die drei Parteien doch weiter miteinander, fanden Scheinlösungen (wie beim Haushalt), schoben Konflikte auf (wie in der Wirtschaftspolitik), fanden andere Ventile (Rücktritte). Dieser Regierung fehlen Mut und Kraft, selbst für ihr eigenes Ende, für einen würdigen Abgang. Vielleicht wird auch der noch verstolpert.