Noch vor dem Durchbruch mit seiner Band Roxy Music begann Sänger Bryan Ferry ungeplant eine Solokarriere. Ein neues Boxset würdigt 50 Jahre seines Schaffens – und gibt einen Ausblick auf die Zukunft.
Als Bryan Ferry 1973 ins Studio ging, um ein Soloalbum aufzunehmen, hatte der Sänger mit seiner Band Roxy Music gerade erst zwei Alben veröffentlicht. Die Gruppe aus Newcastle, die die Popmusik revolutionierte, stand damals noch vor dem großen Durchbruch. Dass er mit seiner LP „These Foolish Things“ schon früh den Grundstein für eine jahrzehntelange Solokarriere legen würde, die auch Roxy Music beeinflusste, ahnte Ferry nicht.
„Einmalige Sache“ wird jahrzehntelange Karriere
„Es sollte ursprünglich eine einmalige Sache sein“, betont der 79-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London. „Aber es war erfolgreich. Also dachte ich: „Oh, dann machen wir noch eins, und dann noch eins.“ So wurde daraus eine weitere Karriere für mich.“ Die nun schon über 50 Jahre währt.
Obwohl der Popmusik-Innovator nach eigener Aussage lieber nach vorn als zurückschaut, veröffentlicht Bryan Ferry jetzt das Boxset „Retrospective: Selected Recordings 1973-2023“, das sämtliche Facetten seines vielseitigen Schaffens abdeckt. „Es ist mittlerweile natürlich schon ein Klischee“, sagt er, „aber es ist immer eine gute runde Zahl, wenn man den 50. Geburtstag feiert“.
Werkschau mit fünf CDs und Buch
Die Box enthält fünf CDs mit 81 Songs und ein gebundenes Buch mit Anekdoten und zuvor unveröffentlichten Fotos. In seinem Studio in Westlondon sitzt der Sänger auf dem Sofa und hält ein Exemplar in der Hand. „Da war ich irgendwo im Urlaub“, kommentiert er ein altes Foto, während er das Buch zufrieden durchblättert. „Es ist echt gut.“
Mit 79 hat der Brite nichts von seiner eleganten Coolness verloren. Die einstige Stilikone ist gut gekleidet. Ferrys noch recht volles, ergrautes Haar ist stylish zersaust. Ob das Absicht ist oder am Londoner Herbstwetter liegt, ist sein Geheimnis.
Cooler Showman trotz Schüchternheit
Im Gegensatz zu Konzerten, wo er den coolen, eleganten Showman gibt, wirkt Ferry im direkten Gespräch fast schüchtern. „Ich schätze, ich bin ein schüchterner Mensch und war das auch schon immer“, bestätigt er. „So gesehen habe ich eigentlich nicht den besten Job. Auf die Bühne gehen zu müssen, war schon eine Herausforderung für mich.“
Heute macht ihm das nichts mehr aus. Im Gegenteil, er ist voll in seinem Element. Verstellen müsse er sich auf der Bühne nicht. „Ich würde sagen, das bin ich. Das ist meine Art, um mit den Leuten zu kommunizieren – durch die Musik„, so Ferry. „Ich bin kein großer Erzähler, aber auf der Bühne mache ich das, was ich am besten kann, einfach ich selbst sein.“
Solokarriere auch hilfreich für Roxy Music
Die Bücherregale in den Studioräumen sind gefüllt mit Werken über Musik, Kunst und Poesie. An einer Wand hängt das Logo von Roxy Music als Neonschild. 2021 war Ferry zuletzt mit seiner Band auf Tournee. Dass sie eine der einflussreichsten britischen Musikgruppen wurde, hat sicher auch mit Ferrys Solokarriere zu tun.
„Vielleicht hab ich gedacht, damit erreiche ich ein breiteres Publikum“, sagt der Sänger über sein Solodebüt. Bis dahin hatte er alle Songs für Roxy Music geschrieben. Auf „These Foolish Things“ sang er nur Coverversionen. „Denn Roxy Music hatten damals ein sehr spezielles Publikum. Das waren Kunststudenten und so. Das war toll, aber ich war sehr ambitioniert und wollte das etwas erweitern.“ Das gelang ihm.
Schwindende musikalische Grenzen in den 80ern
Während sich die Musik in den 70ern noch unterschied, waren Roxy Music und Bryan Ferry spätestens ab den 80er Jahren stilistisch nicht mehr zu unterscheiden. Ferrys Solo-LP „Boys And Girls“ (1985) klingt mit dem atmosphärischen, edlen Pop wie eine Fortsetzung des letzten Roxy-Music-Albums „Avalon“ (1982). „Es war eine Fortsetzung dieser Stimmung“, bestätigt Ferry. Und sein größter Erfolg.
Hits wie „Slave To Love“ und „Don’t Stop The Dance“ findet man auf CD 1 der Box. Diese „Best-Of“ ist auch separat erhältlich und enthält ebenso Coversongs wie „A Hard Rain’s-A-Gonna Fall“ (Bob Dylan) oder „Let’s Stick Together“ (Wilbert Harrison), die sich Ferry so zu eigen machte, dass sie in seiner Interpretation zu Klassikern wurden.
Weniger bekannte Songs und hörenswerte Kuriositäten
Die Retrospektive umfasst zudem viele nicht so bekannte Songs. Die zweite CD enthält Eigenkompositionen von Bryan Ferry, die dritte ausschließlich Coverversionen. Auf CD 4 sind Aufnahmen im Jazz-Stil der 30er Jahre, oft ohne Gesang, die der Brite als The Bryan Ferry Orchestra veröffentlicht hat.
Vielleicht am spannendsten ist die fünfte CD mit fast vergessenen B-Seiten, Outtakes und allerlei hörenswerten Raritäten. Obendrein mit drei neuen Tracks. „She Belongs To Me“ ist – mal wieder – ein Bob-Dylan-Cover. Das melancholische „Oh Lonesome Me“ wurde in den 1950ern von Don Gibson aufgenommen.
Vorgeschmack auf neues Album
Die Retrospektive endet mit einem Ausblick auf die Zukunft. Die Elektro-Nummer „Star“ mit der schottischen Künstlerin Amelia Barratt ist Ferrys erster neuer Song seit etwa zehn Jahren. Ein Vorgeschmack auf sein neues Album. „Um zu zeigen, dass ich noch arbeite“, sagt Bryan Ferry und lacht. „Es fühlt sich wie ein ganz frisches Kapitel an.“
Ob Bryan Ferry, der vor zwei Jahren mit Roxy Music auf Jubiläumstour war, auf die Bühne zurückkehrt, ist offen. „Mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Touren ist harte Arbeit“, sagt er. „Aber es ist schön, sein Publikum von Zeit zu Zeit zu sehen. Es sind Leute, die mögen, was ich mache. Das ist eine wundervolle Sache.“