Islamismus: Nach Mannheim: Wie die Populismus-Maschine der AfD wieder heiß läuft

Ausgerechnet vor den Europa- und Kommunalwahlen fühlt sich die AfD neu gestärkt. Die Gewalttaten fügen sich in ihre Angsterzählung ein – und lenken von den eigenen Skandalen ab. 

Die AfD brauchte nur zwei Stunden, um zu reagieren. Mehrere Menschen waren Freitagmittag auf dem Mannheimer Marktplatz zum Opfer einer brutalen Messerattacke geworden. Belastbare Informationen gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine. Dafür kursierte im Netz eine extrem verstörende Videoaufnahme der Tat.

Ungeachtet dieser unsicheren Nachrichtenlage verschickte die Bundesgeschäftsstelle der AfD schon mal eilig eine Pressemitteilung zum „Angriff eines islamischen Täters“. Zitiert wurde der stellvertretende Bundesvorsitzende Stephan Brandner

Nach einem Satz mit Genesungswünschen für den angegriffenen Islam-Radikalkritiker Michael Stürzenberger und einen schwer verletzten Polizisten kam der Bundestagsabgeordnete zum eigentlichen Anliegen. „Infolge des jahrelangen Versagens“ sei die deutsche Politik gegenüber derartigen „Messerstechern gegenüber schlicht wehrlos“ geworden, erklärte Brandner. 

Brandners Worte bildeten nur den Auftakt einer Kampagne auf allen Kanälen, um die Empathie für die Opfer und die Angst vor weiteren Taten für sich zu nutzen. So angeschlagen die AfD eben noch schien, so elektrisiert wirkte sie plötzlich. Unzählige AfD-Funktionäre meldeten sich öffentlich. „Wie viele von uns müssen noch sterben, bevor wir den Mut finden, unser Leben zu leben?“, fragte der Thüringer Landeschef Björn Höcke rhetorisch auf X. 

Bei einer Kundgebung unter dem Motto „Mannheim hält zusammen“, die anlässlich einer Messerattacke stattfindet, bei der ein Polizist getötet wurde, liegen Blumen in der unmittelbaren Nähe des Tatorts.

Es passte auch einfach zu gut. Ein 25-jähriger Afghane, dessen Asylantrag laut dpa-Informationen schon 2014 abgelehnt worden war, hatte aus mutmaßlich islamistischen Motiven auf wehrlose Menschen eingestochen und dabei einen Polizeibeamten tödlich verletzt: Eine Tat, wie gemacht für die xenophobe Erzählung, die zum Markenkern der AfD gehört. Oder wie es der Rechtsextremismus-Experte David Begrich formuliert: „Die Reaktion der Partei war so erwartbar wie das Amen in der Kirche.“

Begrich arbeitet für die Arbeitsstelle Rechtsextremismus des Magdeburger Vereins „Miteinander“ und analysiert seit Jahren die Strategien der AfD. Der Sozialwissenschaftler verweist darauf, dass Alexander Gauland im Dezember 2015 die sogenannte Flüchtlingskrise als „Geschenk“ für die AfD bezeichnet hatte. In diesem Sinne, sagte Begrich dem stern, sei jetzt „Mannheim für die AfD so etwas wie ein Geschenk“.

Die AfD hatte bisher kein gutes Jahr

Dieser Befund gilt umso mehr, da die AfD bisher kein gutes Jahr hatte. Nachdem ihr die Großdemonstrationen gegen Rechtsradikalismus die Grenzen aufzeigten, musste die Partei realisieren, dass ihr mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht ernsthafte Konkurrenz droht. 

Parallel dazu begann der AfD der EU-Wahlkampf zu entgleiten. Nach diversen Spionage- und Korruptionsaffären gelten die Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron auch für die Parteispitze um Alice Weidel und Tino Chrupalla als nicht mehr vorzeigbar. Hinzu kam ein Urteil, wonach die Bundespartei durch den Verfassungsschutz beobachtet werden darf sowie eine Strafe für Höcke, weil er eine NS-Parole skandiert hatte.

In der Folge sanken die Umfragewerke der AfD vor den Europawahlen, die parallel zu den Kommunalwahlen in acht Bundesländern  am 9. Juni stattfinden. Bei den kommunalen Wahlen, die in Thüringen bereits Ende Mai stattfanden, fielen die Ergebnisse gemischt für die Partei aus. Auch wenn die AfD in den Kreistagen und Stadträten deutlich zulegte, konnte sie vorerst kein Kommunalamt hinzugewinnen.

Analyse Thüringen Kommunalwahl

Nun also die Terrortat, der diese Woche – ausgerechnet erneut in Mannheim – ein weiterer Vorfall folgte. Am späten Dienstagabend wurde ein AfD-Kandidat für die Kommunalwahl mit einem Messer angegriffen. Er erlitt Schnittwunden und musste ins Krankenhaus. Die AfD sprach sofort von einer Attacke von Linksextremisten, während die Polizei davon ausgeht, dass der Tatverdächtige psychisch erkrankt ist.

So oder so ist die Populismus-Maschine der AfD wieder heiß gelaufen. Die Fraktion im Bundestag beantragte eine Schweigeminute für den getöteten Polizeibeamten. René Aust, de facto EU-Spitzenkandidat, forderte ein „Sofortprogramm“ inklusive Vorsorgehaft für Gefährder. Sogar Bystron meldete sich wieder und verlangte, dass Stürzenberger Islambeauftragter der AfD-Fraktion werden solle. 

Weidel hält sich nicht immer an Fakten

Auch Bundeschefin Alice Weidel bespielt das Thema Mannheim in Dauerschleife auf Kundgebungen und in den Netzwerken. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch im Bundestag prangte sogar auf ihrem Redepult der Spruch „Islamismus stoppen“. 

Mit Fakten nahm es Weidel dabei nicht immer genau. Nachdem sie auf einer Kundgebungsrede gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) polemisiert hatte, musste sie einräumen, dass sie sich auf erfundene Zitate bezogen hatte. Die angebliche Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums war von einem AfD-Mitglied mittels KI fabriziert worden.

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Aber klar: Auf Nachfrage dementiert AfD-Bundesvize Brandner jedwede Instrumentalisierung der Mannheimer Taten. „Natürlich ist das keine Kampagne“, sagte er dem stern. Nur wäre halt mit der AfD in Verantwortung „dieser Messermord“ genauso wenig passiert wie „zehntausende Vergewaltigungen und Körperverletzungen“. Denn dann wäre der Täter längst abgeschoben worden oder hätte gar nicht erst einreisen können. „Darauf hinzuweisen, hat nichts mit Wahlkampf zu tun.“

Der Soziologe Begrich kennt die Argumentation nur zu gut. „Es ist das übliche Deutungsmuster, das die Partei auf diese Tat legt“, sagte er. „Seht her, wir sind die Einzigen, die gewarnt haben, mit uns wäre das nicht passiert.“ Dabei sei es interessant zu sehen, wie die AfD, die den Islam als Religion ablehne, gleichzeitig von dessen autoritären und streng patriarchalen Strömungen fasziniert sei. Dies zeigten etwa Äußerungen von Maximilian Krah über die Taliban oder von Björn Höcke über das Iran-Regime. „Der Islamismus funktioniert hier für die AfD als eine Art schwarzer Spiegel.“

Aber wird Mannheim der AfD nun am Wahlsonntag helfen? Begrich hält dies durchaus für möglich. „Das zahlt diskursiv auf ihr Konto ein“, sagte er. Die Frage sei nur, ob sie damit auch Wähler jenseits ihrer Kernmilieus mobilisieren könne. Und: „Gewinnt sie die Menschen zurück, die sie zuletzt verlor?“