Olaf Scholz war noch nie ein Liebling der Medien. Andersherum ist die Skepsis aber mindestens genauso groß. Und der Kanzler kann sehr stur sein.
Man kann nicht behaupten, dass Olaf Scholz jemals ein Liebling der Medien gewesen wäre. Kaum hatte er als SPD-Generalsekretär die bundespolitische Bühne betreten, bekam er von Journalisten wegen seiner sperrigen Sprache den Spitznamen Scholzomat verpasst. Und als ihn die SPD 2020 zum Kanzlerkandidaten erhob, hielten nur sehr wenige Leitartikler einen Wahlsieg von Scholz für möglich. Dass er wider Erwarten als Nachfolger Angela Merkels ins Amt einzog, verschaffte ihm eine Genugtuung, die für sein Selbstbewusstsein wie für sein Verhältnis zu Journalisten bis heute nicht unbedeutend ist.
Scholz respektiert Journalisten und ihre Aufgabe. Er ist selbst passionierter Zeitungsleser. Trotzdem kann er ein schwieriger Gesprächspartner sein. In seinem ersten Interview als Finanzminister hielt ich es für eine witzige Idee, ihn nach seiner Stamokap-Vergangenheit zu fragen. Er nicht. Der Filmemacher Stephan Lamby stellte Scholz im Wahlkampf 2021 eine Frage achtmal hintereinander, worauf Scholz jedes Mal vor laufender Kamera die Antwort verweigerte.
Als Kanzler pflegt Scholz ein ambivalentes Verhältnis zu den Medien. Die Frequenz seiner Interviews ist höher als in den letzten Dienstjahren seiner Vorgängerin. Wie jeder Politiker wähnt sich Scholz bisweilen ungerecht behandelt. Jüngst spottete er vor Unternehmern über die mediale Wahrnehmungsverweigerung seiner wirtschaftlichen Erfolge: Um 37 Prozent seien die ausländischen Ansiedlungsinvestitionen zuletzt gestiegen, so Scholz: „Ich werde diesen Satz noch hundertmal sagen, bis er das erste Mal in der Zeitung steht.“
Wird in Deutschland zu einseitig berichtet?
Auf Reisen nimmt sich der Kanzler häufig viel Zeit für die mitreisenden Berichterstatter. Aus den Hintergrundgesprächen darf nicht zitiert werden, aber so viel kann man verraten: Mit zunehmender Dauer sinkt der Anteil der nüchternen Information zugunsten des Anteils an gelegentlich durchaus intensiven Diskussionen.
Eines der Themen hat der Kanzler nun selbst öffentlich gemacht, als er der Deutschen Journalistenschule in München zum 75. Geburtstag gratulierte. Scholz treibt schon lange die Überzeugung um, die Berichterstattung zur deutschen Unterstützung der Ukraine sei zu einseitig. Er stelle immer wieder fest, so der Kanzler in München, „dass mir bei Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern im ganzen Land oft völlig andere Fragen gestellt werden als in Interviews“. Nicht immer neue Waffensysteme stünden da im Vordergrund, sondern „Sorgen vor einer Ausweitung des Kriegs und manchmal auch Fragen, ob unsere Unterstützung nicht schon zu weit geht“.
Diese Sorgen würden aber medial kaum wahrgenommen – und wenn, dann als Äußerungen aus dem extremen politischen Spektrum. „Dann muss es uns aber nicht wundern, wenn Leute sich überhört fühlen.“ Man überinterpretiert Scholz nicht, wenn man heraushört, dass er den Medien eine Mitverantwortung für das Erstarken von Parteien wie der AfD oder dem Bündnis Sahra Wagenknecht zuschreibt – nicht unbedingt als Vorwurf, eher als Feststellung.
Ein Politiker, der so etwas sagt, setzt sich dem Verdacht aus, eigene Defizite verwischen zu wollen. Scholz ist viel und hart wegen politischer Zögerlichkeit und kommunikativer Fehler kritisiert worden. Journalisten erwarten, dass ihre Kommentare zur Politik ernst genommen werden. Ich habe deshalb umgekehrt kein Problem damit, Scholz‘ Mahnung als Denkanstoß zu nehmen. Auch wenn ich glaube, dass ich sie nicht teile. Könnte ein gutes Thema für das nächste Interview sein.
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