Sich selbst sah Fethullah Gülen als Gelehrten und Denker. Für die türkische Regierung galt er als Gefahr. Dabei waren Gülen und Erdoğan lange Zeit eng vertraut.
Fethullah Gülen ist im Alter von 83 Jahren im amerikanischen Exil gestorben. Seit 1999 lebte er im kleinen Örtchen Saylorsburg im US-Bundesstaat Pennsylvania. Dort weilte er im Chestnut Retreat Center, früher mal bekannt als Golden Generation Worship and Retreat Center. Der „Guardian“ schrieb 2016 nach einem Interview mit Gülen, dass er schon damals gesundheitlich angeschlagen war und das spirituelle Zentrum nur selten verließ. Doch wer war der Mann, der seit rund 25 Jahren keinen Fuß mehr in seine türkische Heimat setzte und doch so großen Einfluss hatte?
Gülen wurde 1941 als Sohn eines Imams geboren. Nach der Grundschule wechselte er an ein Predigerseminar und erhielt 1959 die Lizenz als staatlicher Prediger zu arbeiten. Sieben Jahre später wurde er auf einen Posten in Izmir berufen, der drittgrößten Stadt der Türkei.
In den folgenden Jahren eröffnete Gülen die sogenannten „Lichthäuser“. Das sind Wohngemeinschaften, die jungen Studenten ein Obdach bieten und von Beginn an besonders bei konservativen Muslimen beliebt waren. Dieser Teil des Gülen-Netzwerks wird seit jeher misstrauisch betrachtet. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb zum Beispiel: „Wer einmal drin ist, erlebt Anerkennung – und findet kaum wieder heraus“. Das sehen Gülen-Anhänger, wie zum Beispiel Ercan Karakoyun, anders. Den Vorwurf, eine Sekte zu sein, wurde die Bewegung aber nie richtig los.
In den Achtzigern blühte die Bewegung Fethullah Gülens auf
Das Netzwerk breitete sich rasch aus. Bereits 1981 stellte Gülen seine Predigertätigkeit im Staatsdienst ein und widmete sich vollends seiner Bewegung. In den Folgejahren arbeitete er eng mit der Landesregierung der Türkei zusammen und erreichte ein immer größeres Publikum. Neben den „Lichthäusern“ gab es inzwischen auch Schulen, Universitäten, Medienfirmen und zahlreiche andere Unternehmen. Dadurch wuchs mit der Zeit auch der Einfluss der Bewegung auf die Türkei, da immer mehr Gülen-Anhänger hohe Posten im Land bekleideten.
Die Nähe zur Regierung endete 1996 vorerst, da die islamistische Partei Necmettin Erbakans an die Macht kam, von deren Thesen eines islamischen Staates Gülen sich fern hielt. Necmettin Erbakan gilt als politischer Ziehvater Recep Tayyip Erdoğans.
1999 gelangte eine zusammengeschnittene Audioaufnahme Gülens an die Öffentlichkeit, in der er seine Anhänger aufforderte, mit geduldiger Arbeit die Kontrolle im Staat zu übernehmen. Kurz vor der Ausstrahlung im Fernsehkanal ATV reiste Gülen aus angeblich gesundheitlichen Gründen in die USA. An der Echtheit der Aufnahme wird bis heute gezweifelt.
Nach der Veröffentlichung wurde in seiner Heimat ein Verfahren eingeleitet, welches erst 2003 ausgesetzt wurde. 2006 erwirkte Gülen sogar seinen Freispruch, kehrte aber nie in die Türkei zurück.
Dennoch hatte Gülen aus der Distanz größten Einfluss. Das lag auch an seiner Freundschaft mit Erdoğan, dessen Partei AKP inzwischen an die Macht gelangt war. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt, dass „die beiden Männer lange Hand in Hand“ arbeiteten. Erdoğan erhielt von der Bewegung politische Unterstützung, Gülen und seine Projekte wurden vielfältig gefördert und in ihrer Sache unterstützt. Die enge Zusammenarbeit fußte auf dem gemeinsamen Feindbild des türkischen Militärs. Durch dessen Verdrängung kamen immer mehr Gülen-nahe Personen an einflussreiche Posten.
Zu viel Macht für Recep Tayyip Erdoğan?
Eine direkte Beteiligung an den politischen Verstrickungen bestritt Gülen zeitlebens, den Bestand einer zentral-gesteuerten Gülen-Bewegung allerdings auch. Für ihn waren seine Anhänger eher in einer Art losem Netzwerk organisiert. Kritiker stufen das freilich anders ein.
ByLock – Die terrorverdächtige App_17.30
Der große Bruch zwischen Gülen und Erdoğan folgte 2013, wobei es in den Jahren zuvor immer wieder zu Problemen zwischen Gülen-Anhängern und der AKP kam. Auch mehrten sich zwischen den beiden Männern die Differenzen in wichtigen politischen Fragen, etwa bei Friedensprozessen mit den Kurden und dem Umgang mit dem Iran und Israel.
Als Erdoğan dann aufgrund einer Festnahme des Geheimdienstchefs Hakan Fidan durch Gülen-Kader in der Polizei die Nachhilfeschulen Gülens schloss, eskalierte die Lage zunehmend. Im Zuge des Korruptionsskandals in der Türkei warf Erdoğan, gegen dessen Partei sich Ermittlungen richteten, Gülen Umsturzversuche und die Bildung deines „Tiefen Staats“ vor. Daraufhin ließ er Gülen-Anhänger aus staatlichen Institutionen entfernen – wohl auch aus Angst, die Macht des nicht länger linientreuen Gülen sei zu groß.
2016 kam es in der Türkei dann zu einem Putschversuch. Auch das schob Erdoğan auf Gülen, obwohl dieser den Staatsstreich öffentlich kritisierte. Vielmehr vermutete Gülen, dass der Präsident ihn selbst inszeniert habe. Dieser übte Rache: Im Nachgang wurden mindestens 77.000 Menschen festgenommen und 150.000 Staatsbedienstete ihres Amtes enthoben.
Bis zuletzt waren die Fronten verhärtet, obwohl die Hintergründe des Putschversuchs nie vollständig aufgeklärt werden konnten. Lange forderte die türkische Regierung die Auslieferung Gülens, doch es kam nie zu einem Verfahren. Berichten zufolge bot die Türkei einem Vertrauten von Ex-Präsident Donald Trump sogar 15 Millionen US-Dollar für Gülens Entführung, so groß war offenbar die Angst vor der Macht des freiwilligen Exilanten.
Nach dem Tod Gülens meldete sich unter anderem der ehemalige Geheimdienstchef Hakan Fidan zu Wort. Inzwischen Außenminister der Türkei sagte er: „Der Anführer dieser dunklen Organisation ist gestorben.“