Vielen Erwachsenen fällt es schwer, neue Freunde zu finden. Der Kommunikationsexperte Ralf During weiß, wie wir echte Verbindungen aufbauen.
Die Coronavirus-Pandemie hat viele Freundschaften auf den Prüfstand gestellt, Einsamkeit ist ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Sie haben ein Buch darüber geschrieben, wie wir echte Verbindungen zu anderen Menschen aufbauen. Warum?
Ralf During: Eine langjährige Freundin hat mich immer wieder gefragt: „Warum ruft mich kein Schwein an?“ Ich schätze sie sehr, weil sie einen sehr guten Charakter hat und eigentlich alles mitbringt, was man sich von einem Freund wünscht. Trotzdem schafft sie es nicht, einen festen Freundeskreis aufzubauen. Ich habe mich deshalb gefragt, woran das liegen kann. Das war der Punkt, an dem die Idee zu meinem Buch entstanden ist.
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Und, woran hakt es bei Ihrer Freundin in Sachen Freundschaft?
Die größte Hürde, in Kontakt mit anderen Menschen zu treten und tiefe Freundschaften zu schließen, ist das Verhältnis zu mir selbst. Wenn in meinem Selbstbild etwas nicht stimmt, habe ich auch Schwierigkeiten damit, Menschen zu finden, die mich als denjenigen, der ich bin, wertschätzen.
Was wir brauchen, um Freunde zu finden
Also gilt auch bei Freundschaft das viel propagierte „Liebe dich erst selbst, damit andere dich lieben können“?
Selbstliebe allein reicht nicht aus. Es geht auch darum, alte Muster und Glaubenssätze zu erkennen. Alles, was in mir selbst Widerstand erzeugt, wirkt sich nach außen aus. Das, was in mir noch nicht bearbeitet ist, wirkt sich also auch auf mein soziales Verhalten aus.
Obwohl Freundschaft von den meisten Menschen als eines der wichtigsten Dinge im Leben beschrieben wird, leben viele Menschen ohne enge Freunde. Bekanntschaften verlaufen dann im Sand, ohne dass eine tiefere Verbindung entsteht. Und die Betroffenen bleiben oftmals ratlos zurück. Sie fühlen sich oft einsam und geben sich im schlimmsten Fall selbst die Schuld für das Fehlen von Freunden in ihrem Leben. Der Kommunikationsexperte Ralf During beschreibt in seinem Buch „Freunde finden und behalten“ eindrücklich, wie es uns gelingt, echte Freundschaften aufzubauen, die auch bleiben.
Lassen Sie uns hier ein bisschen konkreter werden: Wie genau wirkt sich mein Innenleben auf meine zwischenmenschlichen Beziehungen aus?
Im Grunde geht es um die Frage, wie ich meine Welt wahrnehme. Fakt ist: Niemand nimmt die Welt genauso wahr wie man selbst. Wir alle haben unterschiedliche Filter. Das fängt bei unseren Sinnen an, die nur einen kleinen Teil der Realität abbilden. Und diesen Teil interpretieren wir dann auf der Basis unserer Erfahrungen, Werte und Erinnerungen. Und wenn ich diese selbst geschaffene Realität nicht als angenehm und wertvoll empfinde, dann hat das natürlich auch Auswirkungen auf mein Verhalten und die Menschen um mich herum.
Angenommen, ich bin mit mir selbst im Reinen – habe aber trotzdem nicht den Freundeskreis, den ich mir wünsche. Wo kann ich dann ansetzen?
Freundschaft fällt nicht einfach vom Himmel, sondern sie erwächst üblicherweise aus einer Bekanntschaft. Die ergibt sich wiederum aus einem regelmäßigen Kontakt, also der wiederkehrenden Gelegenheit, einander – wenn auch nur zufällig – zu begegnen. Das können Kollegen sein oder die Vereinskameraden. Wenn ich mit diesen Bekannten dann Gemeinsamkeiten oder spannende Unterschiede entdecke und offen sowie wertschätzend mit ihnen umgehe, kann sich nach einer Weile eine engere Verbindung aufbauen. Je mehr gute Energie wir einander dabei geben, desto dauerhafter kann sich die Beziehung entwickeln.
Gute von schlechten Freunden unterscheiden
Und wie unterscheide ich zwischen Menschen, die mir gut tun und sogenannten „Energievampiren“?
Unsere Gefühle sind eine sehr gute Orientierung. Wir haben zwei Basis-Gefühle, die sich immer wieder bemerkbar machen: Das Gefühl der Freude und das Gefühl des Schmerzes. Wir haben also die Tendenz, uns von Dingen zu entfernen, die uns nicht guttun, und fühlen uns von Dingen angezogen, die uns guttun. Wenn ich lerne, auf diese Gefühle zu achten, dann erkenne ich schnell, welcher Mensch mir guttut und welcher nicht.
PAID Interview Freundschaft Psychologe 13.05
Kann denn grundsätzlich jeder ein Freund werden oder gibt es dafür bestimmte Voraussetzungen?
Jeder Mensch hat die gleichen Grundbedürfnisse, die sich lediglich in der Intensität und Ausprägung unterscheiden. Wenn wir auf einen Menschen treffen, der ähnliche Bedürfnisse wie wir hat, dann verstehen wir uns auf Anhieb gut mit ihm. Wenn sich die Bedürfnisse hingegen widersprechen, reagieren wir schnell mit Ablehnung. Dabei bedeutet das nicht automatisch, dass dieser Mensch nicht trotzdem unser Freund werden kann – wir sind bildlich gesprochen auf der gleichen Straße unterwegs, nur aus entgegengesetzten Richtungen. Das, was einer Verbindung hier im Wege steht, ist unsere individuelle Bewertung des Gegenübers aus dem Blickwinkel unserer individuellen Bedürfnisse.
Also müssen wir unsere Vorurteile und Klischees über Bord werfen, um Freunde zu gewinnen?
Genau. Wenn ich beginne, in jedem Menschen, der mir begegnet, etwas Liebenswertes zu erkennen und mich dementsprechend auch liebevoller diesen Menschen gegenüber verhalte, dann führe ich auch viel intensivere Beziehungen zu jedem Menschen.
In der Realität findet Freundschaft aber oft in Filterblasen statt, zum Beispiel zwischen Menschen der gleichen Kultur oder einer ähnlichen Einkommensklasse…
Grundsätzlich würde ich sagen, Geld und Status sind für die Entstehung einer Freundschaft irrelevant. Denn wenn Menschen sich verstehen, dann ist es ihnen meist egal, wie viel Geld der andere auf dem Konto hat. Wer ein ähnliches Weltbild hat, gleiche Interessen oder eine andere Art Verbindung zueinander, der lässt sich von äußeren Einflüssen weniger beirren. Aber: Nicht selten wird Freundschaft auch an gewisse Erwartungen oder Bedingungen geknüpft. Und wenn die, zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher finanzieller Möglichkeiten, nicht erfüllt werden, dann kann die Freundschaft daran zerbrechen.
Der Unterschied zwischen Liebe und Freundschaft
Apropos zerbrechen: Wie beende ich eine Freundschaft, die mehr Last als Gewinn geworden ist respektvoll?
Die Frage ist: Ist es überhaupt noch eine Freundschaft, wenn ich schon darüber nachdenke, wie ich sie beende? Sobald mir bewusst wird, dass dieser Mensch eigentlich kein Freund ist, wird auch der Abschied einfacher. Und das ist auch absolut nicht schlimm. Das Leben ist wie eine Busfahrt: Es steigen Menschen ein und es steigen Menschen wieder aus. Wenn ich das akzeptiere, dann kann ich respektvoll und mit Dankbarkeit aus der Beziehung herausgehen.
Beim Ende einer Freundschaft haben viele Menschen mit ähnlichen Gefühlen zu kämpfen wie bei Liebeskummer…
Ich denke, Freundschaften sind oft sogar tiefer als Liebesbeziehungen. Tatsächlich halten Freundschaften oftmals länger und erreichen eine Ebene der Vertrautheit und Offenheit, die man sich in einer Liebesbeziehung auch wünscht – aber durch die Verletzlichkeit, die die Intimität mit sich bringt, nur sehr selten erlebt. In der Liebe ist die Verlustangst zudem deutlich stärker ausgeprägt als in Freundschaften. Eben, weil man das Band von Freundschaften meistens als stärker empfindet. Man kann auch sagen: Partner kommen und gehen, gute Freunde bleiben.
Wenn Freundschaft so wichtig für uns ist, kann ich dann überhaupt ohne gute Freunde ein glückliches Leben führen?
Ich glaube, dass wir soziale Interaktion dringend brauchen. Wer aber in einem guten sozialen Umfeld lebt, der mag allein, aber selten einsam sein. Das heißt, wir brauchen keine engen Freunde, um glücklich zu sein. Ich denke aber, je glücklicher ein Mensch in seinem Leben wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass er Menschen trifft, die sich zu echten Freunden entwickeln. Das heißt: Inneres Glück wird früher oder später für Freundschaften sorgen.
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