45 Firmen haben ein halbes Jahr lang die Viertagewoche getestet. Die meisten Betriebe und Beschäftigten ziehen ein positives Fazit, wobei die Umsetzung nicht immer einfach war.
Capital: In Ihrem Projekt haben 45 Unternehmen und Organisationen ein halbes Jahr lang die Viertagewoche ausprobiert. Ist das nun ein Modell für alle?
CARSTEN MEIER: Diesen Anspruch erheben wir nicht. Es ging darum zu sehen, in welchen Branchen und Betrieben kann es unter welchen Voraussetzungen funktionieren. Aktuell gibt es in Deutschland keine objektiven Daten zu diesem Thema. Die brauchen wir aber, um sachlich darüber zu sprechen.
Wer hat mitgemacht?
Uns war wichtig, die Vielfalt der deutschen Wirtschaft abzubilden, also auch Handwerksbetriebe, Kitas und Pflegeeinrichtungen, genauso wie Industrieunternehmen oder E-Commerce-Start-ups dabei zu haben. Die Studie in England hatte vor allem Agenturen und Wissensarbeiter an Bord, für die die Umsetzung einer Viertagewoche einfacher ist. Das wurde auch oft kritisiert. Wir wollten aber gerade untersuchen, ob diese Ideen auch in Industriebetrieben oder im Handwerk funktionieren können.
Ein paar Betriebe haben gleich am Anfang kalte Füße bekommen.
Sechs sind in der Planungsphase abgesprungen. Die kämpften teils mit der schlechten Wirtschaftslage, anderen fehlten die internen Ressourcen, die so ein Projekt hätten stemmen und steuern können. Die Umsetzung und Evaluierung kostet schon Zeit, wir führen Interviews mit Mitarbeitern und Führungskräften, es gibt Schulungen, die Mitarbeiter tragen teils Fitnesstracker. Manchmal hat sich auch der Personal- oder Betriebsrat dagegen ausgesprochen.
Wie sah die Viertagewoche aus?
Es gab unterschiedliche Modelle. Vorgeschrieben war, dass die Unternehmen die Arbeitszeit verkürzen und den vollen Lohn zahlen. Fast die Hälfte hat sich dann für 10 Prozent weniger Arbeit entschieden, ein Fünftel für die klassische Viertagewoche mit 20 Prozent Arbeitszeitreduzierung. Und manche haben auch im Schnitt viereinhalb Tage gearbeitet.
PAID Protokolle Mehrarbeit 16.17
Welche Effekte haben Sie bei den Mitarbeitern festgestellt?
Das Wohlbefinden steigt. Die Betroffenen bewegen sich mehr, sind aktiver und sie schlafen 45 Minuten länger pro Woche als die Kontrollgruppe. Gemessen wurde das über Fitnesstracker. Die Rückmeldungen zu Stress- und Burn-out sind bei diesen Menschen signifikant gesunken. Die Ergebnisse der Fitnesstracker zeigen auch, dass Menschen weniger Stress verzeichnen als die in der Fünftagewoche-Kontrollgruppe. Allerdings stieg er bei beiden Gruppen samstags am stärksten an, was uns überrascht hat. Wir vermuten, dass die Leute sich hier Sozialstress machen.
Hatten die Unternehmen Einbußen durch die geringere Arbeitszeit?
Die Umsätze der Betriebe sind weitgehend gleichgeblieben. Die Viertagewoche war somit kein Kostenfaktor. Möglich war das, weil die Arbeitsproduktivität leicht gestiegen ist. Natürlich kann das von Betrieb zu Betrieb variieren, es werden unterschiedliche Modelle umgesetzt. Es gibt kein „One size fits all Modell“, das ich einfach anklicken kann, die Umstellung auf die Viertagewoche macht erst mal Arbeit.
Wie sind diese Produktivitätssteigerungen erreicht worden?
Die Betriebe haben ihre Prozesse vereinfacht, Ablenkungen reduziert, gut die Hälfte hat etwa die Meetingkultur verändert, das heißt weniger und kürzere Konferenzen. Ein Viertel der Befragten hat digitale Werkzeuge eingeführt, um effizienter zu arbeiten. Dieses Potenzial schlummert in vielen Betrieben. Sie müssen es aber erst mal heben und das erfordert Arbeit. Sehr hilfreich dabei war, die Mitarbeiter selbst zu fragen und einzubinden.
Was aber ist mit Betrieben, die schon durchoptimiert sind?
Hier ist es schwieriger! Gerade in großen Unternehmen ist das der Fall. Das wollen wir uns in einer Folgestudie ansehen, die sich auf Großunternehmen konzentriert.
Was ist der größte Mehrwert für Unternehmen?
Bei uns hat zum Beispiel eine größere Kita-Kette mitgemacht, die ihre Stellen nicht zu besetzen wusste. Seitdem die mit einer Viertagewoche werben, können sie sich die Erzieher aussuchen. Die Bewerberzahl hat sich verdreifacht. Eine Viertagewoche kann die Attraktivität als Arbeitgeber spürbar steigern. Hier kann also weniger Arbeit eine Lösung für den Fachkräftemangel sein. In unserer Studie waren mehrheitlich mittelständige und kleine Unternehmen vertreten, die teilweise im Talentwettbewerb mit großen Konzernen stehen. Während große Konzerne oft mit mehr Gehalt punkten können, könnten kleinere Unternehmen mit besseren Arbeitszeitmodellen dagegenhalten.
Wie geht es jetzt weiter – ziehen die Betriebe das durch?
Dreiviertel der Unternehmen haben das vor, zehn Prozent legen das Experiment jetzt auf Eis, wollen es sich in Zukunft aber nochmal überlegen. Das ist eine erfreulich hohe Zustimmung angesichts der schwierigen Wirtschaftslage. Bei den Arbeitnehmern ist die Zustimmung noch größer. 90 Prozent würden das Modell gerne fortsetzen. Ich bin optimistisch, dass die Viertagewoche – neben Themen wie Homeoffice – fester Bestandteil der Arbeitswelt von morgen wird.