Trotz Sahra Wagenknechts Ultimaten wollen BSW, CDU und SPD in Erfurt das Thema Krieg und Frieden bis zum Ende der Koalitionsgespräche aussparen. Die Chefin ist nicht amüsiert.
An diesem Freitag, in Erfurt, um 13 Uhr, präsentieren die drei Parteien, die Thüringen künftig regieren wollen, ihr Sondierungspapier. Auf dessen Basis wollen sie ab kommender Woche offizielle Koalitionsverhandlungen führen.
Das zumindest ist der Plan.
Die 18 Seiten plus Inhaltsverzeichnis sind, wie nicht anders zu erwarten, voller wohlklingender Sätze und einiger Versprechen. Alles soll digitaler, sicherer, sozialer und überhaupt besser werden als in den Jahren der rot-rot-grünen Koalition. Und weil Thüringen kaum noch finanzielle Reserven hat, werden die Regeln zur Schuldenaufnahme so weit gedehnt wie nur möglich.
Entgegen diversen Medienberichten steht in dem Dokument übrigens nichts über Zuständigkeiten. Der am Donnerstag in Berlin weitläufig kursierende Ausschnitt aus einem angeblichen Verhandlungspapier wird von Verhandlern in Erfurt als „irreführend“ oder gar „gefälscht“ bezeichnet. Man habe noch nicht einmal über die Verteilung der Ministerien gesprochen, heißt es übereinstimmend.
Keine Einigung zu Krieg und Frieden
Brisant ist allerdings, was noch in dem Papier fehlt. Die drei potenziellen Partner äußern sich darin explizit nicht zu Waffenlieferungen an die Ukraine und auch nicht zur Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland – und damit schon gar nicht ablehnend.
Stattdessen findet sich auf der letzten Seite des Dokuments zum umstrittenen Thema nur ein einziger Satz, in den alles und nichts hineininterpretiert werden kann. Er lautet: „Dem Thema Frieden in Europa werden wir in den kommenden Verhandlungen Raum verschaffen und mit einer Standortbestimmung im Rahmen einer möglichen Präambel gemeinsam begegnen.“
Dies bedeutet: Die beiden zentralen außenpolitischen Forderungen von Parteigründerin Sahra Wagenknecht werden vertagt. Erst am Ende der Koalitionsverhandlungen – also dann, wenn alle Forderungen geeint und Ministerien verteilt sind – soll ein Kompromiss zu Krieg, Frieden und Raketen gefunden sein. Dann, so ein Kalkül dahinter, dürfte sich die werdende Koalition kaum noch auseinander dividieren lassen.
Wagenknecht bevorzugt die Opposition
In der Parteiführung wird das Vorgehen als Affront verstanden. So gehe das keinesfalls, hieß es empört in der Hauptstadt. Auch Vereinbarungen zu einer Corona-Amnestie und zur Ablehnung der Gendersprache fehlten im Papier. Am Donnerstag gab es bis in den späten Abend hinein lange und frostige Krisengespräche zwischen den Spitzen in Berlin und Erfurt. Einigung: keine.
Wagenknechts Strategie war von Anfang auf zwei Szenarien ausgerichtet. Entweder würden sich CDU und SPD auf ihre außenpolitischen Forderungen zum größten Teil einlassen, was aber angesichts der Ausrichtung und Beschlusslage der beiden Parteien im Bund von Anfang illusorisch war. Oder das BSW würde eine CDU-geführte Minderheitsregierung sporadisch tolerieren und ansonsten gelegentlich mit der AfD die Mehrheit bilden, ohne dabei konkrete Absprachen zu treffen. So hatte es die Thüringer Union in der vergangenen Wahlperiode gehalten.
Die Oppositionsrolle mit wechselnden Mehrheiten ist offenkundig Wagenknechts Wunschmodell. Damit könnte das BSW der Landesregierung Zugeständnisse abnötigen und sich gleichzeitig gegen sie profilieren. Vor allem aber würde die Landespartei nicht mit realpolitischen Kompromissen Wagenknechts radikalpopulistischen Kurs im dräuenden Bundestagswahlkampf gefährden.
„Keine Zusammenarbeit mit der AfD“
Doch auf dieses Hin und Her hat die Thüringer BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf erkennbar keine Lust. „Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD“, steht im Sondierungspapier. Nur Gespräche zu „notwendigen parlamentarischen Verfahren“ seien zu führen. Immerhin besitzt die in großen Teilen rechtsextreme Partei mehr als ein Drittel der Mandate und damit eine Sperrminorität.
Die Distanz ist Wolf wichtig. Die frühere Eisenacher Linke-Oberbürgermeisterin wechselte Anfang des Jahres ausdrücklich mit der Ansage ins BSW, die Thüringer AfD unter Björn Höcke von der Macht fernzuhalten und dem krisengebeutelten Land eine stabile Regierung zu geben. Das will sie jetzt durchziehen, und sei es gegen den Willen Wagenknechts. Abgesichert ist Wolf: Im Unterschied zur Bundesvorsitzenden besitzt sie in Erfurt das formale Verhandlungsmandat und hat, so wie die anderen 14 Fraktionsmitglieder, bis 2029 einen Parlamentssitz.
Wagenknecht wiederum beansprucht als Gründerin und Namensgeberin die Deutungshoheit für die Gesamtpartei und leitet daraus ein Vetorecht in den Landesverbänden ab. Außerdem kann sie in Erfurt darauf verweisen, dass CDU, BSW und SPD gemeinsam nur auf 44 der 88 Sitze im Landtag kommen. Das Patt bedeutet: Die Koalition müsste sich partiell mit der Linkspartei des noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow arrangieren, wobei CDU, BSW und SPD laut Papier eine „gesonderte Vereinbarung“ ablehnen.
Wolf gegen Wagenknecht: Der Interessenkonflikt besitzt Sprengkraft für die gesamte Partei. Denn das, was gerade in Thüringen geschieht, wird die laufenden oder gerade erst beginnenden Sondierungen in Brandenburg und Sachsen stark beeinflussen. Findet sich ein für beide Seiten gesichtswahrender Formelkompromiss zu Krieg und Frieden, dürfte er in den anderen beiden Ländern kopiert werden. Scheitern die Verhandlungen in Erfurt, wird es mindestens in Sachsen, wo auch CDU, BSW und SPD miteinander reden, deutlich komplizierter.
Schließlich könnte der der Machtkampf sogar außer Kontrolle geraten und die Landespartei in Thüringen zerbrechen. Die Erfolgsgeschichte des BSW wäre mindestens lädiert, wenn nicht gar vorbei.
Es bleibt spannend in Thüringen
Damit sitzt auch Wagenknecht, die sich vorerst auf Anfrage nicht äußern wollte, in einer Falle. Lässt sie sich auf eine Koalition in Thüringen ein, gefährdet sie womöglich ihre Marke „Friedenspartei“ und macht sich vor allem gegenüber der AfD angreifbar. Legt sie ihr Veto ein, riskiert sie eine regionale Spaltung oder, in Erfurt ist politisch nie etwas auszuschließen: eine persönliche Demütigung.
Es bleibt also spannend in Thüringen. Nachdem am Mittag das gemeinsame Papier präsentiert ist, sollen die Gremien der Landesparteien am Freitag und Samstag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen beschließen. Im Erfolgsfall könnte Ende November, Anfang Dezember der Landtag den CDU-Landesvorsitzenden Mario Voigt mit den Stimmen von Union, BSW und SPD – und wenigstens den Enthaltungen der Linken – spätestens im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten wählen.
Das zumindest ist, wie gesagt, der Plan. Doch ob er am Ende funktionieren wird, vermag derzeit niemand in Erfurt zu sagen.