Landesfeuerwehrverband Bayern: Kampf gegen das Hochwasser: „Das Schlimmste ist, wenn der eigene Kamerad verunglückt“

Zehntausende Einsatzkräfte sind beim Hochwasser in Bayern im Einsatz. Extremsituationen sind für sie keine Ausnahme, sie gehören zum Alltag. Fredi Weiß ist seit mehr als 40 Jahren bei der Feuerwehr und weiß was passiert, wenn der Pegel steigt.

Herr Weiß, Sie leben in Bayern, wie ist die Lage vor Ihrer Haustür?
Wir sind etwa 70 Kilometer von Regensburg entfernt und zum Glück nicht unmittelbar vom Hochwasser betroffen. Aber an der Donau ist die Lage dramatisch. Etliche Straßen, Tiefgaragen und Keller sind gesperrt und Bewohner evakuiert worden. In Passau erwartete man, dass die 10-Meter-Marke überschritten wird, aber zum Glück sinkt der Pegel langsam.

Wie lange sind Ihre Leute schon im Einsatz?
Je nach Region seit Freitag oder Samstag. Die Einsatzkräfte lösen sich gegenseitig ab, man muss sich zwischendurch erholen. Wenn man übermüdet ist, macht man Fehler und dann wird es gefährlich.

Person Fredi Weiß

Wie bereitet sich die Feuerwehr auf so einen großen Einsatz vor?
Auf eine solche Hochwasserlage kann man sich nicht vorbereiten. Aber man übt das Alltagsgeschäft: Wasser fördern, pumpen, Deichsicherung. Zur Deichverteidigung hatten wir erst im April einen großen Lehrgang an einem Übungsdeich. Das hilft jetzt enorm.

Bei Bränden tragen Sie feuerfeste Kleidung. Wie schützen Sie sich gegen Hochwasser?
Man hat Leinen, Schwimmwesten und Absturzsicherung dabei, um sich vor der Strömung zu schützen.

Wo fangen Sie bei dieser Großlage überhaupt an?
Landkreise in Not können Hilfe von anderen Landkreisen anfordern, zum Beispiel Personal, Einsatzfahrzeuge oder Feuerwehrmänner und -frauen. Je nachdem, was wo gebraucht wird. Das Lagezentrum des Innenministeriums in München koordiniert das. Bei Hochleistungspumpen zum Beispiel sind die Feuerwehren im Bereich der Donau besser aufgestellt, weil Überflutungen dort wahrscheinlicher sind. Wenn sich das Wasser dann zurückzieht, werden mehr Kontingente für Öl gebraucht.

Jeder Landkreis ist anders ausgerüstet?
Ja, auch was Sandsäcke betrifft. Die von Hand aufzufüllen ist sehr mühselig. In meinem Landkreis Amberg-Sulzbach gibt es einen Industriebetrieb für Sand, mit dem konnten wir zusammenarbeiten. Die hatten 25 Tonnen Sand in Säcken vorrätig, das ist eine riesige Hilfe.

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Wenn das Hochwasser weg ist, bleiben die Schäden

Damit kann man sich vorbereiten – und wenn das Wasser kommt?
Dann kommen die ersten Anrufe von Betroffenen. Das aus kleinen Bächen große Flüsse werden, geht schneller als man denkt. Da ist in einem Ort mit 5000 Einwohnern schnell der Marktplatz überflutet. Wenn solche Flächen unter Wasser sind, kann man nicht mehr viel machen. Dann fährt die Feuerwehr mit Booten raus und kümmert sich um die Menschen.

Dieser lange Einsatz muss belastend sein. 
Man lebt in einer Dauerkrise. Es ist körperlich und psychisch sehr anstrengend. Freiwillige Feuerwehrleute sind unterschiedlich fit – und Sandsäcke sind schwer. Man sieht aber auch sehr viel Leid und verzweifelte Menschen. Wenn das Wasser weg ist, stinkt es in den Häusern nach Öl oder nach Fäkalien, weil der Kanal übergelaufen ist. Viele weinen oder sind vielleicht verletzt. Wenn man zu einem schweren Verkehrsunfall fährt, ist der Einsatz nach ein paar Stunden vorbei. Auch das ist belastend, aber danach kann ich nach Hause fahren und mich ausruhen. In einer tagelangen Krisensituation geht das kaum.

Wie stehen die Einsatzkräfte das durch?
Durch die riesige Solidarität, die man in solchen Situationen erfährt. Alle helfen, wo sie können. Wer keine Sandsäcke schleppen kann, bietet Wurstsemmel und Kuchen an, um die Einsatzkräfte zu versorgen. Dieses Glücksgefühl, wenn man in so einer schrecklichen Situation anderen helfen kann – das lässt sich gar nicht beschreiben. Wir können das Ehrenamt gar nicht hoch genug einschätzen. Allein in Bayern arbeiten 320.000 Freiwillige nur bei der Feuerwehr – 50.000 davon wurden in den letzten Tagen gebraucht. Müsste man die alle bezahlen, wären die Landkreise pleite.Hochwasser_Fabian 21.01

Gibt es psychologische Hilfe für die Einsatzkräfte?
Für die Psychosoziale Notfallversorgung haben wir einen eigenen Fachbereich, für Einsatzkräfte und betroffene Angehörige. Bei uns sind Fachleute geschult und nur dafür zuständig, zu erkennen, wenn es jemandem nicht gut geht. Eine posttraumatische Belastungsstörung tritt meist erst Tage oder Wochen später auf. Seit der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 schicken wir auch ausgebildete Kräfte mit zum Einsatzort, die direkt betreuen können.

Die betreuen auch nach Vorfällen wie in Pfaffenhofen, wo ein Feuerwehrmann tödlich verunglückt ist?
Natürlich. Es ist schon schlimm, wenn man die Betroffenen nicht kennt, aber das Schlimmste ist, wenn der eigene Kamerad oder eine Kameradin verunglückt. Pfaffenhofen ist eine Kleinstadt, da kennt jeder jeden. Nach so einem Fall können die Kollegen nicht mehr weiterarbeiten, da wäre der nächste Unfall vorprogrammiert. In solchen Fällen rücken umliegende Feuerwehren an und übernehmen die Aufgaben.

Gab es in den vergangenen Tagen Situationen, in denen sich die Feuerwehr zurückgezogen hat, weil man nicht dagegen ankommt?
Wenn ein Deich nicht mehr gehalten werden kann, müssen wir aufgeben. Dann werden die Anwohner evakuiert und man bringt sich selbst in Sicherheit.

Es haben nicht alle ihre Häuser freiwillig verlassen …
… obwohl die Kommunen zur Evakuierung aufgerufen haben. Das Wichtigste ist, dass die Leute den Anweisungen der Einsatzkräfte folgen. Ich kann verstehen, dass es schwerfällt, sein Hab und Gut stehen und liegen zu lassen. Viele haben das Gefühl, sie lassen ihr Zuhause im Stich. Aber das Hochwasser ist genauso gekommen, wie es prognostiziert wurde. Die Warnungen zu überhören, ist fatal.

Wie sollte man sich verhalten, wenn man im eigenen Haus vom Wasser überrascht wird?
Auf keinen Fall in den Keller oder die Tiefgarage gehen. In Bayern sind mehrere Menschen in ihrem Keller ertrunken, weil sie Gegenstände retten wollten. Man sollte sich in oberen Stockwerken aufhalten, notfalls bei Nachbarn. Auch mit Wasser und Strom sollte man sehr vorsichtig sein. Wenn Wasser im Gebäude ist, sollte man sich in Sicherheit bringen und auf sich aufmerksam machen, bis Feuerwehr oder DLRG (die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, Anm. d. Red.) einen rausholen. Aber das kann dauern. Wenn die Feuerwehr schon hundertfach im Einsatz ist, kommen unsere Ressourcen an ihre Grenzen.

Die einen bringen sich in Sicherheit, andere Gemeinden haben vor „Hochwasser-Touristen“ gewarnt. Mehrere Personen mussten gerettet werden, die sich absichtlich ins Flutgebiet begeben haben. Was würden Sie jemandem sagen, der überlegt, das zu tun?
Das sind zum Glück Einzelfälle, aber meine Kollegen haben eine Frau im Badeanzug aus dem Wasser gezogen, die im Hochwasser schwimmen wollte. Ich kann nur dringend raten: Bleiben Sie zu Hause und bringen Sie sich und uns nicht in Gefahr. Außerdem kann ich mir wirklich Schöneres vorstellen, als das Leid von anderen Menschen zu beobachten. Die Bilder im Fernsehen sind detaillierter als die Aussicht von einer überfluteten Brücke. Und die Autos für den Weg dahin versperren den Einsatzkräften im Zweifel noch den Weg. Bleiben Sie daheim.