Im Schnellverfahren und außerhalb der EU will Italien in Flüchtlingslagern in Albanien Asylverfahren abwickeln. Nun werden dort die ersten Migranten erwartet. Andere EU-Länder schauen interessiert zu.
Nach monatelanger Verzögerung macht die italienische Rechtsregierung von Giorgia Meloni ernst: Als erstes Land der Europäischen Union beginnt Italien am Mittwoch mit der Aufnahme von Migranten, die sich über das Mittelmeer auf den Weg nach Europa gemacht hatten, in Lager außerhalb der EU. In Albanien wird mit einem italienischen Marineschiff eine erste Gruppe von 16 Männern aus Ägypten und Bangladesch erwartet.
Dort sollen italienische Beamte im Schnellverfahren deren Asylanträge prüfen und darüber entscheiden. Falls der Antrag abgelehnt wird, sollen sie auch von Albanien aus wieder abgeschoben werden. Weiter nach Italien dürfen sie nur, wenn ihnen Asyl gewährt wird.
Damit läuft die von Meloni und ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama vergangenes Jahr verhandelte Vereinbarung nun offiziell an. Sie sah die Einrichtung der Aufnahmezentren auf albanischem Boden vor, damit Rom dort exterritorial Asylverfahren von Migranten abwickeln kann. Damit will Meloni Asylverfahren aus Italien auslagern und Abschiebungen vereinfachen. Meloni betonte jedoch auch, dass die Flüchtlingslager zur Abschreckung dienen sollen.
Nur Männer aus sicheren Herkunftsländern betroffen
Davon betroffen sind Männer aus als sicher eingestuften Herkunftsländern, die auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa von Schiffen der italienischen Behörden aufgegriffen wurden. Bevor sie nach Albanien gebracht werden, erfolgt an Bord eine erste Überprüfung der Menschen. Davon ausgenommen sind Frauen, Kinder, Kranke sowie Folteropfer.
Die im Mittelmeer an Bord genommenen Migranten sollen den Plänen zufolge zunächst in das Lager am Adria-Hafen Shengjin für eine erste Überprüfung gebracht werden. Danach sollen sie ins Hauptlager in Gjader im Landesinnern kommen, um auf ihren Asylentscheid zu warten.
Die Eröffnung der beiden Flüchtlingslager auf albanischem Boden war ursprünglich für Mai vorgesehen, verzögerte sich wegen verschiedener technischer Probleme vor Ort und organisatorischer Schwierigkeiten jedoch mehrfach. Am Freitag nahmen sie offiziell ihren Betrieb auf.
Lager kosten Italien insgesamt 670 Millionen Euro
Italien verwaltet die Lager und sorgt für die Sicherheit darin. Außerdem trägt Rom dafür alle „direkten und indirekten“ Kosten. Es handelt sich somit um italienische Lager auf albanischem Boden. Zeitungen in Italien spotteten daher über ein „Meloni-Land“. Die beiden Lager kosten Italien über einen Zeitraum von fünf Jahren insgesamt etwa 670 Millionen Euro.
Italien ist eines der Länder, die von der Fluchtbewegung aus Afrika nach Europa über das Mittelmeer besonders betroffen sind. Vor allem vergangenes Jahr waren die Zahlen hoch: Fast 160.000 Migranten erreichten 2023 Italiens Küsten auf Booten. Zurzeit kommen zwar weniger als halb so viele Menschen an als vor einem Jahr. Dennoch machen sich noch immer Zehntausende auf oft kaum seetüchtigen Booten auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer.
EU-Staaten verfolgen Auslagerung von Asylverfahren aufmerksam
Die Vereinbarung über die Abwicklung von Asylverfahren in Drittstaaten ist eine Premiere, die von anderen EU-Staaten aufmerksam verfolgt wird. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete sie als „interessantes Modell“. Sie kündigte an, die Erfahrungen aus dem Projekt in ihre Überlegungen zur Möglichkeit von solchen Verfahren einzubeziehen. Allerdings ist die Ministerin der Auffassung, dass neben rechtlichen Fragen vor allem relevant ist, ob es einen Staat gibt, der bereit wäre, solche Verfahren auf seinem Gebiet zu dulden.
Rama erhielt nach eigenen Worten bereits viele Anfragen von anderen EU-Ländern, Asylsuchende in Albanien unterzubringen. Er habe diese aber abgelehnt, für Italien jedoch eine Ausnahme gemacht. Aus Melonis Sicht ein Erfolg. Beim EU-Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am Donnerstag dürfte die Ministerpräsidentin daher gestärkt auftreten können. Das Thema Migration wird dort voraussichtlich eine wichtige Rolle spielen.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich an dem Projekt interessiert. In einem Bericht vor dem Gipfel regte die deutsche Spitzenpolitikerin an, „mögliche Wege für die Entwicklung von Rückführungszentren außerhalb der EU zu erkunden“. Man könne aus dem Italien-Albanien-Modell praktische Lehren ziehen.
Kritik an Rechtmäßigkeit und Bedingungen für Migranten
Menschenrechtler hingegen kritisieren das Projekt und sprachen von einem „italienischen Guantánamo“. Auch die Rechtmäßigkeit wird infrage gestellt. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs lässt Zweifel an dem Projekt aufkommen. Demnach kann ein Land nur dann als sicher gelten, wenn es dort unter anderem keine Verfolgung oder Folter gibt. 15 der 22 von Italien als sicher eingestuften Herkunftsländer erfüllen diese Bedingungen jedoch nicht.