Matthias Miersch ist neuer SPD-Generalsekretär. So neu wie dieses Gesicht sind allerdings nicht alle der Wahlkampftaktiken, die die Partei nutzt.
Matthias Miersch, der neue Generalsekretär der SPD, hat sich 2017 mit einem bemerkenswerten Vorschlag in meinem politischen Hirn verewigt. Es waren jene Wochen, nachdem Angela Merkel daran gescheitert war, eine Jamaikakoalition aus Union, FDP und Grünen zu bilden. Damals galt für Christian Lindner noch der Satz: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Die SPD aber stand vor der Frage, ob sie der Kanzlerin ein weiteres Mal als Koalitionspartner ins Amt verhelfen sollte – und sich selbst in ein paar Ministersessel.
Miersch regte damals als Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern an, die SPD solle nicht wieder in eine große Koalition mit der Union gehen, sondern nur in eine Art große Kooperation. Einige wichtige Projekte würden fest verabredet, zum Beispiel der Haushalt. Andere überließe man dem Spiel der Kräfte im Parlament, wo sich auch Mehrheiten jenseits von Union und SPD zusammenfinden sollten. Auf diese Weise seien die Sozialdemokraten nicht so sehr an die Regierung gebunden und könnten auch mal mit Grünen, FDP und Linken ein Gesetz verabschieden.
Demokratietheoretisch war diese Groko light eine interessante Idee, machtpolitisch der helle Wahnsinn. Merkel ließ sich darauf nicht ein, auch in der SPD hielt sich die Begeisterung in Grenzen.
An diese Tage 2017 musste ich denken, als ich Miersch bei seinen ersten öffentlichen Auftritten als Generalsekretär sah. Damals ging es ihm darum, die SPD ein bisschen an die Union heranzuführen. Jetzt will er die SPD möglichst weit entfernen von dem, was die Sozialdemokraten wie ein Schimpfwort nur noch „die Merz-CDU“ nennen. Miersch, der Wadenbeißer. Was das Politikerleben eben so bereithält.
Nicht gleich, aber so ähnlich
Was wissen wir noch über den Wahlkampf, den die SPD soeben begonnen hat? Sie bedient sich bei sich selbst. Offensichtlich ist das bei den Wahlversprechen. Weil das Werben für einen Mindestlohn von 12 Euro 2021 so erfolgreich war, stellen die Sozialdemokraten jetzt 15 Euro in Aussicht.
Nicht so leicht erkennbar sind die Reminiszenzen in Äußerungen des Spitzenpersonals. Der neue Lieblingssatz von Lars Klingbeil lautet, politischer Erfolg lasse sich organisieren. Das ist eine Anleihe bei Franz Müntefering, der 1998 für den erfolgreichen SPD-Wahlkampf verantwortlich war und gern predigte: „Politik ist Organisation.“ Parteiintern galt übrigens die Variante: „Organisationsfragen sind Machtfragen“, was Klingbeil mit der Berufung seines niedersächsischen Landsmannes und Freundes Miersch vorbildlich beherzigt hat.
Dann ist da noch ein Satz, den Olaf Scholz jüngst zur Rentenreform von sich gab. Dem Vorhalt, sie sei noch nicht generationengerecht finanziert, hielt er entgegen, dies sei „die Auffassung einer ausschließlich Establishment-orientierten Expertenlandschaft, die ihre Schäfchen im Trockenen hat“. Die etwas umständlich formulierte Verächtlichmachung von Expertentum erinnerte mich an Gerhard Schröders komprimierten Wahlkampf-Hit vom „Professor aus Heidelberg“, mit dem er 2005 die Steuerpläne Paul Kirchhofs schmähte, der für die CDU Finanzminister werden sollte.
So kommt alles irgendwann mal wieder – nicht gleich, aber ähnlich. In dieser Hinsicht ist die SPD eine konservative Partei. Und wer weiß: Wenn es nach der Bundestagswahl vor lauter AfD und BSW nur für eine Mehrheit von Union und SPD reicht, holt Matthias Miersch womöglich noch mal den Vorschlag einer GroKo light hervor.