Seit 60 Jahren verzaubert die Griechin Nana Mouskouri die Welt mit ihrer Stimme – und ihrer legendären Brille. Am 13. Oktober wird sie 90.
Die Brille. Schlicht muss sie sein, schwarz und aus Horn, simpel wie ein Kassengestell. Ohne Brille keine Nana Mouskouri (90). Sie ist unverzichtbar wie ihre glockenklare Stimme.
Es gab tatsächlich Leute, die wollten sie nur ohne Brille, zum Beispiel der große Harry Belafonte (1927-2023). In Frankreich haben einige ihre Sehhilfe regelrecht gehasst, wie etwa der Chef des Pariser Bobino-Theaters. Er sagte, mit Brille sehe sie aus wie eine Sekretärin. Das hat sie verletzt und ist ihr selbst nach Jahrzehnten in Erinnerung geblieben.
Es gibt für Nana Mouskouri so einiges zu erinnern. Seit über 60 Jahren hat sie auf allen großen Bühnen dieser Welt gesungen, obwohl am Anfang die Vorzeichen nicht besonders günstig waren. Anlässlich ihres 90. Geburtstages am 13. Oktober blickt sie zurück auf eine Weltkarriere, die nicht nur ihre lichten Momente hatte.
Ohne ihre Brille fühlt sie sich nackt
Das betrifft auch ihre anfänglichen Auftritte mit Brille. Sie war schon ein Star, als sie 1966 ein Album mit Harry Belafonte machte und der über die Brille meckerte. Also setzte sie beim Fotoshooting für das US-Cover die Brille ab. „Für den europäischen Markt tauschten sie dann meinen Kopf aus gegen ein Bild mit Brille“, sagte sie jetzt in einem Interview mit dem „Spiegel“.
Nachdem in Frankreich ein Showmanager an ihrer Brille rumgenörgelt hatte, hat sie „zwei, drei Konzerte gegeben ohne Brille. Es war schrecklich… Es war, als hätte jemand meine Persönlichkeit geraubt. Die Brille, das bin ich. Sie ist mein Schutz, ohne sie fühle ich mich nackt.“ Nicht eine Sekunde habe sie überlegt, ihre Sehschwäche zu beheben und die Augen lasern zu lassen.
Das war auch nicht nötig, denn Nana Mouskouri hat auch mit ihrer Brille – sie besitzt über 100 Exemplare davon – unglaubliche Erfolge erzielt: Sie verkaufte über 300 Millionen Tonträger, ihre Hits „Weiße Rosen aus Athen“, „Guten Morgen, Sonnenschein“, „La Provence“, „Only Love“, „Ich schau den weißen Wolken nach“, „Plaisir d’amour“, „Johnny Tambour“ oder „I have a dream“ wurden auf der ganzen Welt berühmt.
Sie war „das dicke Mädchen mit der Brille“
Davon konnte sie nichts ahnen, zu Hause auf Kreta, in der Hafenstadt Chania, wo sie 1934 als Ioanna Mouschouri geboren wurde. Der Vater war Filmvorführer in einem Kino. Eigentlich sollte sie ein Sohn werden, so hatte es sich der Papa gewünscht. Doch nun kam die zweite Tochter, und die neigte in seinen Augen zu Übergewicht.
Er nahm sie mit zum Fußball, schickte sie zum Basketballtraining, damit sie ein paar Pfunde verliert. Sie war das „dicke Mädchen mit der Brille“, das so gerne sang, weil es dann glücklich war. Noch mit 22 sagte ihr der Veranstalter eines Konzerts in Piräus, wie enttäuscht er sei, weil sie „keine Wespentaille wie Marilyn Monroe“ hätte.
Schließlich schickte sie ihre Plattenfirma zu einem Arzt, der ihr beim Abnehmen helfen sollte. „Doktor Heschberg erklärte mir, was ich essen dürfe und was nicht. Er sagte, ich könne in drei Wochen wiederkommen, sofern ich dann fünf Kilogramm abgenommen hätte. Ich nahm das ernst. Nach drei Wochen war ich zehn Kilo leichter“, erzählt sie dem „Spiegel“.
Sie habe dabei weniger an sich als an ihr Publikum gedacht. „Die Leute von meiner Plattenfirma sagten: ‚Wenn du die Bühne betrittst, musst du die Menschen zum Träumen bringen.‘ Nachdem ich Gewicht verloren hatte, schauten mich alle mit anderen Augen an.“ So wurde aus Ioanna Mouschouri endgültig Nana Mouskouri, was an ein kleines Wunder grenzt.
Ein dickeres Stimmband
Sie ist nämlich nicht mit der idealen Stimme geboren worden. Als sie sich bei einer Tournee erkältet hatte und zum Arzt ging, habe der zu ihr gesagt: „Mein Gott, wie konnten Sie mit diesen Stimmbändern eine solche Karriere machen?“ Eines der beiden Stimmbänder ist dicker als das andere. Das hört man, wenn sie spricht und ihre Sprechstimme im Gegensatz zu ihrer Singstimme rauchig, bisweilen sogar krächzend klingt.
Ihre Singstimme übt sie täglich, weil sie viel Luft benötigt, um das dickere Stimmband entsprechend zum Schwingen zu bringen. So klang ihre Stimme zu Beginn ihrer Karriere wie ein rauchiger, dunkler Alt, der sich in einen wohlklingenden Koloratur-Mezzosopran wandelte.
Vielleicht ist das auch der Grund, dass sich nach ihrem Musikstudium auch dem Jazz zugewendet hat. Bereits 1962 arbeitete sie in New York mit dem legendären Musiker und Produzenten Quincy Jones (91) zusammen, der machte sie mit Harry Belafonte bekannt, mit dem sie sogar auf Tournee ging. Das von Jones produzierte Jazz-Album „The Girl From Greece Sings“ fiel in den USA kommerziell jedoch durch, 1999 wurde die LP als „Nana Mouskouri in New York“ erneut veröffentlicht, diesmal mit durchschlagendem Erfolg in Deutschland.
Mit „weißen Rosen“ zum Weltstar
Da war sie in Europa ein großer Star. 1958 waren ihre ersten Singles erschienen, zunächst auf dem griechischen Markt. 1961 kam ihr erster internationaler Hit „Weiße Rosen aus Athen“ heraus, der in Griechenland ein Titel in Manos Hadjidakis‘ (1925-1994) Filmmusik „Traumland der Sehnsucht“ war und ursprünglich hieß: „Wenn du dreimal pfeifst“. In Frankreich kamen die weißen Rosen nicht aus Athen, sondern aus Korfu, der Heimatinsel ihrer Eltern: „Roses blanches de Corfou“.
Vor allem in Deutschland gingen die „Weißen Rosen aus Athen“ durch die Decke. Die Single verkaufte sich innerhalb eines halben Jahres über 1,5 Millionen Mal – der Beginn ihrer internationalen Karriere. Bis heute ist Nana Mouskouri Deutschland dafür dankbar.
Als Kind hat sie miterleben müssen, wie deutsche Soldaten während des Zweiten Weltkriegs Kreta besetzten. „Eines Tages war ich mit meiner Schwester draußen auf einem Platz in unserer Heimatstadt Chania. Plötzlich tauchten deutsche Soldaten auf. Sie sammelten Männer und Jungs aus den umliegenden Häusern ein und zwangen sie, sich in einer Reihe aufzustellen. Einen von ihnen brachten sie um, ich habe keine Ahnung, weshalb. Ich war jahrzehntelang nicht in der Lage, darüber zu sprechen.“
Und nun war Deutschland das erste Land, in dem Nana Mouskouri ein Star wurde. „Meine Karriere begann ausgerechnet in dem Land, das mein Land nur wenige Jahre zuvor ins Unglück und ins Elend gestürzt hatte. Aber in Deutschland schlug mir diese Welle der Sympathie entgegen, dass ich geradezu gezwungen wurde, meine irgendwo ja doch in mir verankerte Meinung, dass die Deutschen meine Feinde wären, zu verwerfen. So wurde Deutschland für mich zu einem Land, das ich bis heute liebe.“
Durch den Erfolg der „Weißen Rosen“ sei sie zu einer „überzeugten Europäerin“ geworden: „Ich habe gelernt zu leben, wie man in Deutschland und in Frankreich lebt. Die Mentalitäten sind im Süden anders. Werte wie Disziplin und Respekt werden weniger ernst genommen.“
Von 1994 bis 1999 war sie sogar für Griechenland und die liberal-konservative Partei Neo Dimokratia Euro-Abgeordnete, „aber die meiste Zeit fühlte ich mich ohnmächtig. Ich bin Sängerin, keine Politikerin“, erklärte sie dem „Spiegel“.
Mit 90 geht sie in Rente
Nana Mouskouri, die sich auch an der Opposition gegen die griechische Obristen-Diktatur (1967-1974) beteiligte, lebt seit Mitte der 60er-Jahre in der Schweiz, zuerst mit ihrem ersten Mann Georgios Petsilas, dem Kapellmeister, Komponist und Gitarrist ihres Begleitorchesters Athenians. Die beiden gemeinsamen Kinder Nicolas (* 1968) und Hélène (* 1970) kamen in der Schweiz zur Welt. 1976 wurde die Ehe geschieden. Seit 2003 ist sie mit ihrem Produzenten Andre Chapelle, der ihr nach der Scheidung zur Seite stand, verheiratet. „Irgendwann wurde aus Freundschaft Liebe.“
Das Paar wohnt in Genf. „Ich lebe in der Schweiz“, sagte sie „Welt-online„, „als griechische Europäerin. So werde ich auch in meiner alten Heimat gesehen: In Griechenland erkundigen sich die Leute bei mir, wie Europa sie beurteilt. Sie haben Angst davor, dass man im Ausland schlecht über sie denkt. Und dass sie niemand mehr besuchen möchte.“
Bereits vor 20 Jahren hat sie nach dem 70. Geburtstag eine vierjährige Abschiedstournee gestartet, dann folgte ein Comeback, weil sie „so traurig“ war. „Ohne die Bühne ging es mir schlecht. Es fühlte sich an, als müsste ich sterben, wenn ich nicht mehr singe.“
Doch nun mit 90 soll endgültig Schluss sein. Anlässlich ihres Geburtstags erscheint noch das Abschiedsalbum „Happy Birthday, Nana“ mit 20 ihrer bekanntesten deutschsprachigen Lieder sowie der griechischen Neuaufnahme „Pios échi Dakria“.
Das Aufhören fällt ihr schwer, aber „ich kann nicht so tun, als wäre ich eine junge Frau. Ich möchte die Leute nicht leiden lassen. Ich habe kein Recht, auf die Bühne zu gehen und schlecht zu singen, auch wenn die Zuhörer mir dafür applaudieren würden. Ich werde noch einige Auftritte machen, dann war’s das. Ich glaube, ich habe genug getan.“