Jessica Waite musste nach dem Tod ihres Mannes auch verkraften, dass er jahrelang untreu war. Ihr Buch „The Widow’s Guide to Dead Bastards“ erzählt ihre Heilung.
Jessica Waite führte eine gute Ehe, das dachte sie zumindest, bis sie das iPad ihres Mannes öffnete. Ihr Gatte Sean war vollkommen überraschend an einem Herzinfarkt gestorben – in Texas. Das Paar lebte in Calgary, Kanada. In dem iPad suchte sie nach Hinweisen, in welchem Krankenhaus der Verstorbene liegen könnte. Doch kaum hatte sie die ersten Buchstaben von Houston „HO“ eingegeben, ergänzte der Browser die Suche auf „Houston Escorts“.
Waite traf der Schlag. Und das war nur ihre erste Entdeckung – es folgte eine Odyssee durch eine Welt von Betrug und Pornografie. Vielleicht war sie zu neugierig und hätte es besser unterlassen, den Suchverlauf des Browsers zu öffnen. Die Büchse der Pandora hatte sie fortan im Griff und drohte ihr Leben zu verschlingen. Der vermeintliche Göttergatte führte ein Doppelleben, das mehr Zeit und Emotionen beanspruchte als sein offizielles Dasein. Nicht nur, dass er unentwegt Prostituierte buchte, er hatte auch noch Affären – im Umkreis seiner Firma. Und wenn er zu Hause war, widmete er sich nächtelang einer Sammlung von Pornografie. Dazu unterhielt er eine geheime Wohnung für seine Eskapaden.“The Widow’s Guide to Dead Bastards“ ist bislang nur in Englich erschienen
Neun Jahre nach dem Porno-Schock
So zumindest schildert es Jessica Waite neun Jahre nach dem Tod ihres Mannes im Buch „The Widow’s Guide to Dead Bastards“ – der „Witwenführer für tote Bastarde“. „Die Welt, die Sean an der Oberfläche aufgebaut hatte – seine Karriere, unsere Familie, unser schönes Zuhause – all das wurde in Größe und Umfang durch seine unterirdischen Aktivitäten übertroffen“, schreibt sie darin. Die Abrechnung der Kreditkarte bedeutete den nächsten Tiefschlag. Die Übernachtungen schienen der Witwe auffällig teuer. Der Grund: Der Gatte reiste zu zweit und ließ gern Champagner und Prosecco kommen.
So erkennt Frau eine Affäre 11.00
Die Welt von Jessica Waite begann sich zu drehen. Vor Wut vermischte sie einen Teil der Asche des Toten mit Hundekot und warf sie in den Müll. In einem weiteren Anfall stopfte sie sich die Asche in den Mund. „Die Reste fühlen sich trocken an meinen Fingerspitzen an, gröber als Backpulver, körniger als Salz. Sie vermischen sich mit dem Tränenwasser, ein mineralischer Schlamm auf der Rückseite meiner Zunge. Ich schlucke.“
Die Pornografie ergriff von ihr Besitz
Dann tauchte sie auch noch in die Tiefen einer Festplatte ab – der „Matrix des Pornos“, wie sie es nennt. Fein säuberlich geordnet und katalogisiert. Die Pornosucht ihres Mannes hatte nun auch sie im Griff. Anhand der Metadaten rekonstruierte sie akribisch Seans geheimes Porno-Leben. „An manchen Nächten saß er bis zu fünf Stunden daran.“ Die Reise in diesen Porno-Kosmos blieb nicht ohne Folgen. Bei einem Theaterstück in der Schule stellte Waites sich auf einmal eine der Schülerinnen nackt vor. Da erkannte sie, dass sie so nicht weitermachen konnte und suchte psychologische Hilfe. Neun Jahre nach seinem Tod kam das Buch heraus.
Posthume Liebesgeschichte
Zunächst sei es ein Katharsis-Tagebuch gewesen, um den Teufelskreis im Kopf zu beenden, erklärt sie. Ihr geht es darum, zu zeigen, wie schwer es ist, sich der Wahrheit zu stellen.
Allmählich konnte Jessica Waite ihren Frieden mit der Vergangenheit schließen. Sie sagt heute, ihr Buch sei eine posthume Liebesgeschichte. Es fragt, ob Beziehungen über den Schleier des Todes hinweg heilen können. Sie glaubt, dass ihr Mann schwere psychische Probleme hatte, denen er sich nie stellen konnte. „Es gibt einen Druck, den Männer verspüren, eine bestimmte Leistung zu erbringen, ihre Verletzlichkeit und Schwäche zu verbergen – das ist wie eine Epidemie.“ Sean habe immer nur kompensiert, sich abgeschottet und Dinge vertuscht. „Nur so war er in der Lage, eine sehr erfolgreiche Karriere, ein sehr starkes Netzwerk an Freunden und Unterstützern und eine Familie aufrechtzuerhalten.“
In dem hellen Teil seines Lebens sei Sean ein guter Mensch gewesen, urteilt sie heute. „Er war nicht nur ein Lügner, Betrüger und Verräter. Er war ein guter Sohn, der seine Eltern liebte und ehrte. Er war ein liebevoller Vater.“
Quelle: The Sunday Paper