Nach sieben Jahren hat Heidi Klum erstmals wieder einen Laufsteg betreten. Ein Gespräch über die Modebranche, Kindererziehung und ihre Wurzeln.
Vor mehr als 30 Jahren, im Jahr 1992, stand Heidi Klum zum ersten Mal im Rampenlicht und nach sieben Jahren Laufsteg-Pause kehrte sie bei der „Le Défilé“-Show von L’Oréal Paris zurück.
Der stern hat Heidi Klum einen Tag vor ihrem Comeback getroffen. Doch das Supermodel wirkt nicht aufgeregt. Entspannt und herzlich bittet sie mich, sich neben sie auf die Couch in einem Hotelzimmer zu setzen. Sie trägt ein bodenlanges Abendkleid, ihre Haare und ihr Make-up sitzen. Sie fragt, ob ich etwas trinken will. Schnell kommt man mit ihr in ein Gespräch über ihre Kinder, das Modebusiness, ihre Werte und auch über „Germany’s Next Topmodel“, als würden wir uns schon ewig kennen …
Frau Klum, Sie haben zwei Töchter. In Zeiten von Female Empowerment: Welchen Rat sollte man Mädchen und Frauen unbedingt mit auf den Weg geben?
Female Empowerment beginnt schon in der Kindheit. Man sollte von Anfang an ein gewisses Selbstbewusstsein vermitteln. Meine Töchter haben von klein auf immer wieder positive Dinge von mir gehört. Einfach so, im Alltag. Und natürlich haben sie sich viel abgeschaut. Es ist wichtig, Selbstliebe und Selbstbewusstsein auch vorzuleben.
Wie wichtig ist es als Frau, Nein sagen zu können?
Meine älteste Tochter ist 20 Jahre alt und bereits auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe ihr schon früh gesagt: Wenn es etwas gibt, was sie nicht machen möchte, wenn jemand von ihr verlangt, etwas zu tun, was sie nicht will, ist es völlig in Ordnung, abzulehnen. Es ist wichtig, Nein zu sagen, besonders als Frau und besonders in diesem Geschäft. Aber es ist auch wichtig für Jungs. Ich versuche, meine Töchter nicht anders zu erziehen als meine Söhne.
Was ist Ihnen bei der Erziehung wichtig?
Ich achte darauf, dass meine Kinder Manieren haben und Menschen so behandeln, wie sie selbst behandelt werden möchten. Jede Person hat denselben Wert, man sollte zu niemanden nur deshalb besonders nett sein, weil er wichtig erscheint, während man jemand anderen, der weniger wichtig erscheint, abweist. Aber auch hier ist entscheidend, was man vorlebt. Ich muss es ihnen eigentlich gar nicht sagen, sie beobachten es an mir und daran, wie ich mich verhalte.
Was genau, glauben Sie, haben Sie ihren Kindern vorgelebt?
Von nichts kommt nichts. Sie sehen, wie ich alles unter einen Hut bekomme – arbeiten und vier Kinder großziehen. Sie sehen, wie die Dinge laufen – ob wir zu Hause kochen oder ich auf dem Boden hinter den Hunden aufräume, was ebenso anfällt. Ich bleibe gerne bodenständig und führe ein normales Leben. Am Wochenende grillen wir und ihre Freunde können vorbeikommen. Das ist mir wichtig. Sie sollten ein Zuhause haben, wo sie mit ihren Freunden abhängen können. Unser Haus ist kein Museum. Man darf sich auf die Couch setzen.
Und wo sitzen die Hunde?
Auch auf der Couch, obwohl ich das eigentlich nicht wollte. Aber sie schaffen es, sich heimlich draufzuschleichen. Besonders Uschi, die quetscht sich dazwischen, egal wie wenig Platz ist. Anfangs wollte Tom die Hunde überhaupt nicht, aber ich habe sie einfach geholt – gleich zwei. Jetzt liebt er sie. Sie sind ein Jahr und vier Monate alt. Also voll in der Rabauken-Zeit. Richtig kleine Teenager, aber sehr süß.
Zurück zum Thema Female Empowerment, da möchte ich sie noch nicht entlassen. Was bedeutet dieser Begriff für Sie?
Dass uns Frauen niemand vorschreibt, was wir tun oder tragen sollen, welchen Job wir haben sollen, mit wem wir zusammen sein oder was wir essen sollen – was auch immer wir tun möchten, das sollten wir tun dürfen. Und er bedeutet auch, dass wir Frauen uns gegenseitig unterstützen, statt uns niederzumachen oder neidisch zu sein. Hier auf dieser Veranstaltung von L’Oreal Paris, da kommen unterschiedliche Frauen aus der ganzen Welt zusammen, von jung bis alt, und wir geben uns auf dem Laufsteg High fives. Darum geht es. Es ist ein Symbol für alle Frauen da draußen. Wenn wir uns abklatschen, ist es so, als würden alle Frauen da draußen mit uns abklatschen und sich in uns wiederfinden.
Das müssen Sie erklären. Wie genau unterstützt es Frauen auf der ganzen Welt, wenn Heidi Klum vor der Oper in Paris über den Catwalk läuft?
Ich glaube, es gibt Frauen in den Fünfzigern, die sagen könnten: „Oh ja, die Klum macht ihr Ding, auch mit 51 – so bin ich auch.“ Oder vielleicht sieht jemand Helen Mirren, die hier auch mitmacht, und denkt: „So macht man das mit Ende 70.“
Oder Jane Fonda mit 86 …
Ich habe Jane vor Kurzem kennengelernt, sie war großartig. Ihr Kleid war gerissen, und wir haben es wieder zugenäht. Aber sie war so freundlich und eine sehr selbstbewusste Frau, engagiert in verschiedenen Bereichen und begeistert, darüber zu sprechen.
Sie sind schon auf vielen Laufstegen rund um die Welt gelaufen. Was verbinden Sie mit dem morgigen Walk auf dem Laufsteg, der jedes Jahr an einem anderen Ort ist?
Dieses Jahr sind wir vor der Pariser Oper gelaufen und letztes Jahr fand die Show unter dem Eiffelturm statt. Das sind ikonische Orte, wo die Menschen auf der Straße zuschauen können. Normalerweise ist man ja eher „eingeschlossen“, in einem tollen Gebäude, ja, aber niemand sieht einen, außer es gibt ein paar Fotos in der Zeitung oder jemand hat etwas gefilmt. Klar, auch hier gibt es eingeladene Gäste und eine erste Reihe –aber es sind eben nicht nur geladene Gäste. Das Event ist facettenreicher. Und das gefällt mir.
Die Modelindustrie brauchte Zeit, um in Sachen Feminismus und Diversität zu lernen. Wo steht sie Ihrer Meinung nach heute?
Ja, definitiv. Auch ich mit meiner Show „Germany’s Next Topmodel.“ Wenn man sich die Shows ansieht, die ich vor 20 Jahren gemacht habe, würde ich sie heute nicht mehr so machen. Ich komme aus einer Zeit, in der es nicht gut war, wenn mein Po gewackelt hat – er musste fest sein. Wenn man in Dessous gelaufen ist, durfte man keine Cellulite haben. So war das damals. Aber jetzt ist es okay, Dellen an den Oberschenkeln zu haben, und der Po darf auch rund sein. Wir haben alle im Laufe der Jahre gelernt, dass wir unterschiedlich sind, und das ist in Ordnung. Ich denke, GNTM ist jetzt vielen Marken in Sachen Diversität voraus.
Was meinen Sie damit?
Es gibt in der Modebranche ein paar wenige Plus-Size-Models, die man überall in Rotation sieht, und das war’s dann häufig schon mit der Diversität. Ich denke, da kann noch mehr getan werden – aktuell wird viel geredet und wenig gehandelt.
Der Claim der Marke, für die Sie über den Laufsteg gehen, heißt „Weil ich es mir wert bin“. Gibt es Momente, in denen Sie sich nicht wie Heidi Klum fühlen und an ihren Wert erinnern müssen?
Ich glaube, dieses „Ich bin es mir wert“-Gefühl trage ich schon seit meiner Kindheit in mir. Ich war nicht die Beste in der Schule, aber ich war gut in anderen Dingen. Ich habe zum Beispiel seit meinem sechsten Lebensjahr getanzt. Und ich habe viel gezeichnet, war generell sehr künstlerisch veranlagt. Meine Eltern haben mich immer unterstützt und angefeuert, ich wurde immer für das gelobt, was ich gemacht habe. Ich glaube, deshalb hatte ich schon früh ein Selbstwertgefühl. Andernfalls hätte ich an einigen Stellen vielleicht andere Entscheidungen getroffen…
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Gab es Momente in Ihrer Karriere, wo Ihr Selbstwertgefühl richtig getestet wurde?
Im Laufe meiner Karriere haben mir Leute gesagt, ich sei zu dick, und sie schlugen vor, ich solle Pillen nehmen, um meinen Appetit zu zügeln und abzunehmen. Das habe ich nicht gemacht. Wenn ich in diesem Moment kein Selbstwertgefühl gehabt hätte, hätte ich vielleicht gesagt: „Oh wirklich? Okay, gebt sie mir.“ Aber ich habe es nicht getan, weil ich dieses innere Vertrauen hatte. Es ist so wichtig, dieses Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl schon früh aufzubauen.
Hatten Sie ein weibliches Vorbild in Ihrem Leben?
Auf jeden Fall. Die Menschen um mich herum: Meine Mutter und besonders meine Großmutter Leni. Meine erste Tochter ist nach ihr benannt.
Was hat Ihre Großmutter ausgezeichnet?
Meine Großmutter Leni hat ihren Mann im Krieg verloren. Sie hat mir immer Geschichten über den Krieg erzählt, darüber, wie sie viele Kinder alleine großgezogen hat – von denen leider einige gestorben sind. Sie erzählte mir von den Bombenangriffen, wie sie sich im Keller versteckt haben und wie ihr Haus zerstört wurde. Nur die Nähmaschine blieb übrig. Wenn meine Eltern im Urlaub waren, war ich oft bei ihr, und ich habe es geliebt.
Was hat sie Ihnen noch beigebracht?
Sie hat mir viel beigebracht. Zum Beispiel, wie man aus Resten im Kühlschrank kocht, anstatt gleich neue Lebensmittel zu kaufen. Von ihr weiß ich, wie man herzhafte, traditionelle deutsche Gerichte zubereitet, Kartoffelsalat, Knödel, Sauerkraut und Bohnensuppe.
Und wie war ihre Persönlichkeit?
Sie war jedenfalls wirklich tough und cool. Sie hatte kein Auto und keinen Führerschein, also fuhr sie überall mit dem Fahrrad hin, mit mir hinten drauf. Sie brachte mich wochenlang zur Schule, während meine Eltern in Asien oder sonst wo unterwegs waren.
Abschließend noch eine wichtige Frage: Was ist Ihr Beauty Secret?
Eine positive Einstellung. Natürlich ist es gut, sich bewusst zu ernähren, ausreichend zu schlafen und Wasser zu trinken. Diese ganzen Dinge helfen auf jeden Fall. Aber ich glaube auch, dass man die Einstellung zum Leben sehen kann. Man kann sehen, wenn jemand lange Zeit unglücklich war oder gar gehässig ist, oder? Also ich glaube schon. Das spiegelt sich in Gesichtern wider.