Arbeitslosigkeit: 1000 Euro „Arsch-hoch-Prämie“ – geht’s noch?

Kampf gegen Arbeitslosigkeit: Langzeitarbeitslose sollen belohnt werden, wenn sie einen geregelten Job annehmen. Genial oder absurd? Darüber streitet auch die stern-Redaktion.

Pro: Ein Versuch, der uns nichts kostet

1000 Euro für jeden Arbeitslosen, der endlich arbeiten geht. Es grenzt an ein Wunder, dass es so lange gedauert hat, bis diese Idee im, nennen wir es „politischen Diskurs“, zerschreddert wird. 

Die Prämie, offiziell „Anschubfinanzierung“, sollen Langzeitarbeitslose freilich erst dann bekommen, wenn sie bereits mehr als zwölf Monate einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgegangen sind. So steht es im Wachstumspaket, dass die Koalition im Sommer beschlossen hat. Im Kabinett. Gemeinsam. Nun macht sich jeder vom Acker. So weit, so Ampel.

Der Kanzler distanziert sich, „weil ich glaube, wir sind alle zum Arbeiten geboren“. Der Arbeitsminister gibt die Schuld dem Wirtschaftsminister. SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig findet, „diese 1000 Euro gehen gar nicht.“ Man müsse auch an die denken, „die morgens aufstehen, zur Produktion fahren, alleinerziehend arbeiten“. Für CSU-General Martin Huber ist die Prämie „blanker Hohn“, CDU-General Carsten Linnemann findet sie „absurd“.

Absurd? Das Gegenteil ist richtig. 

Menschen mithilfe von Geld zum Arbeiten zu bewegen – das ist natürlich eine völlig verrückte Idee. Vielleicht ist aber auch das glatte Gegenteil richtig.  

Deutschland kommt nicht aus der Rezession, unsere Wirtschaft schrumpft. Der Arbeitskräftemangel gilt als eines der größten Wachstumshindernisse. Die Menge an nicht geleisteten Arbeitsstunden halbiert das Wachstumspotenzial, warnen Experten. Kurzum: Es wäre besser, wir würden mehr arbeiten. Oder mehr würden arbeiten.

Der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber hat untersucht, warum es so schwer ist, Arbeitslose dazu zu bewegen. Offenbar liegt das weniger an der Höhe des Bürgergeldes als an der Transferentzugsrate. Vereinfacht gesagt ergibt es für Transferempfänger oft ökonomisch wenig Sinn, ihre Arbeitszeit auszuweiten, weil andere Leistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag wegfallen – unterm Strich durch mehr Arbeit also weniger Geld bleibt. Dafür bräuchte es einen zusätzlichen Anreiz. Eine Prämie vielleicht?

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Wäre Arbeitslosigkeit billiger?

Ein Unding, findet auch FDP-Finanzexperte Frank Schäffler, die Sozialausgaben würden ja ohnehin explodieren. Nur: Wäre es billiger, die Leute blieben arbeitslos?

Rechnen wir kurz nach: Beim aktuellen Regelsatz von 563 Euro erhält ein Arbeitsloser pro Jahr 6756 Euro Bürgergeld. Ginge er stattdessen arbeiten, würde der Sozialstaat sogar trotz Prämie noch knapp 5700 Euro sparen. 

Dazu kämen mehr Einnahmen, denn wer arbeitet, zahlt neben Steuern auch Sozialabgaben – für die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung. Und davon würde sogar Schwesigs Alleinerziehende in der Produktion profitieren. Denn je mehr Beitragszahler, desto kleiner die Beiträge. Mehr Netto vom Brutto. Das wäre zur Abwechslung keine hohle liberale Parole, sondern praktizierte Gerechtigkeit. Man müsste sich freilich die Mühe machen, es ihr und allen anderen Zweiflern zu erklären. 

Für Arbeitsverweigerer hat die Ampel übrigens gerade härtere Sanktionen beschlossen. Auch wenn die Praxis zeigt, dass Zwang selten zum Erfolg führt. Was spricht dagegen, es mal mit dem Gegenteil zu probieren? In Wahrheit kostet es uns: nichts.

Jan Rosenkranz

Contra: Es braucht Druck und keine Scheine

Ein Gedankenexperiment: Angenommen, man würde seinen dauerdaddelnden Kindern eine Prämie von zehn Euro in Aussicht stellen, wenn sie das Smartphone eine Woche ausließen. Den meisten Eltern dürfte sofort klar sein: Das kann nicht funktionieren. Zehn Euro sind kein sinnvolles Therapeutikum, mit dem sich der Nachwuchs aus der digitalen Abhängigkeit befreien kann. Und was käme danach? Jede Woche die Dosis erhöhen?

Geld ist kein sinnvolles Therapeutikum

Besser wäre es doch, alles daranzusetzen, um den Kids zur Einsicht zu verhelfen: Euer Leben wird besser, wenn ihr eure Nomophonie (wiss.: „No mobile phobia“) überwindet. Ihr werdet seltener unter Schlafstörungen, Depressionen und Demenz im Alter leiden. Ihr werdet geistig und körperlich fitter sein, gesünder essen und mehr Erfolg in Schule und Beruf aufweisen. So verspricht es die Wissenschaft.

Ein ähnliches Gedankenexperiment könnte man mit dem Vorschlag Robert Habecks durchspielen, die fast eine Million Langzeitarbeitslose mit 1000 Euro zu belohnen, wenn sie für mindestens ein Jahr einen sozialversicherungspflichtigen Job annehmen. Das Problem: Einem großen Teil von ihnen hilft das nicht. Sie sind zu schwach für diese Option. Viele haben psychische Probleme, sind alkoholkrank, mussten Schicksalsschläge erleiden. Ihnen nützen Tausend Euro in 365 Tagen nichts. Sie brauchen Hilfe, um erst einmal zu genesen und arbeitsfähig zu werden – eine komplizierte, nie endende Aufgabe für einen Sozialstaat.

Leistungsverweigerer brauchen Druck, keine Scheine

Die anderen, die Leistungsverweigerer, haben ihr Leben mit den Transferleistungen eingerichtet. Die Staatsknete reicht ihnen, es fehlt ihnen jede intrinsische Motivation, beruflich durchzustarten oder sich auch nur fortzubilden. Sie akzeptieren auch keine staatsbürgerlichen Pflichten und lassen sich ihre sozialfinanzierte vermeintliche Freiheit ganz sicher nicht mit einem Tausender abkaufen.STERN PAID IV Gen Z Arbeitsmarkt 10:40

Die Kranken brauchen Hilfe. Die Verweigerer brauchen Druck. Ihnen muss sehr klargemacht werden, dass sie zu Mitwirkung verpflichtet sind, um von den Transferleistungen loszukommen und einen langfristen, versicherungspflichtigen Job zu finden. Der Lohn für die Mühe ist ein höheres Einkommen, das ihren Lebensstandard verbessert, und ein funktionierender, steuerfinanzierter Staat, der sich in allen Belangen um seine Mitglieder kümmert.

Ein Dankschön aus Berlin durch 1000 Euro aus der Sozialkasse würde den Leistungsverweigerern ein völlig falsches Signal senden. Genauso gut könnte man seinen dauerdaddelnden Kindern auch ein noch edleres Smartphone in Aussicht stellen, wenn sie mal 365 Tage digital pausieren.

Rolf-Herbert Peters