Dass Polizisten im Dienst ums Leben kommen, ist bedauerlich. Jeder tote Polizist ist einer zu viel. Aber es passiert zum Glück selten. Bauarbeiter leben gefährlicher.
Obwohl die Ermittlungen in Mannheim nicht abgeschlossen sind und der Polizist noch nicht einmal beerdigt ist, wird mit seinem bedauerlichen Tod Politik gemacht. „Das ist Terror“, schreibt CDU-Chef Friedrich Merz auf X. Auch Mannheims Oberbürgermeister Christian Sprecht nennt die Tat eine „niederträchtige, brutale Terrorattacke“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert: „Der Täter muss streng bestraft werden.“
Motiv des Täters von Mannheim liegt im Dunkeln
Dabei ist viel zu wenig bekannt. War der Täter womöglich psychisch krank? Wie der 32-jährige Somalier, der in Würzburg drei Frauen erstochen und neun Menschen verletzt hat. Das Landgericht Würzburg schickte den Mann im Sommer 2022 für unbestimmte Zeit in die Psychiatrie. Oder der 31-jährige Iraker, der im Mai 2022 mit einem Messer auf Reisende im Regionalzug in Herzogenrath einstach. Er litt unter einer Psychose. Auch Ibrahim A., der im Januar 2023 zwei Teenager im Regionalzug von Kiel nach Hamburg erstach, handelte nicht aus islamistischen Motiven. Nach Überzeugung des Gerichts war es die pure Mordlust, die ihn trieb. Das Landgericht Itzehoe verurteilte ihn vor wenigen Wochen zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest.
Sollte der 25-jährige Afghane geplant haben, den Islam-Kritiker Michael Stürzenberger und womöglich auch andere Menschen zu töten, ist das unter Umständen die Tat eines Einzeltäters und noch lange kein Terroranschlag. Ein Gericht wird über seine Schuld und die Strafe entscheiden müssen.
Die meisten Polizisten wurden 1945 getötet
Gemäßigter reagiert Michael Mertens, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). In einem Interview mit Ipen.Media rät er „dringend dazu, erst einmal die Ermittlungsergebnisse zu den genauen Hintergründen der Tat abzuwarten“. Allerdings weist er darauf hin, dass „die Polizei von der Politik stiefmütterlich behandelt“ werde. Mit Verlaub, die Polizei gehört zu den Lieblingsthemen der Politik. 2017 wurde die Strafe für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verschärft, obwohl die Verschärfung unter Juristen umstritten war. Kritiker beklagten damals, es würden drakonische Strafen eingeführt, obwohl keineswegs klar sei, dass die Gewalt so sehr zugenommen hat, wie es ungenaue Polizeistatistiken und spektakuläre Medienmeldungen erscheinen lassen.
Dass Polizisten im Dienst ums Leben kommen, ist bedauerlich. Jeder tote Polizist ist einer zu viel. Aber es passiert zum Glück selten. Zwischen Mai 1945 und Dezember 2023 wurden nach einer Statistik der Deutschen Hochschule der Polizei in Hiltrup 405 Polizisten von Rechtsbrechern tödlich verletzt. 369 waren Schutzpolizisten, 36 Kripobeamte. Der in Mannheim getötete Polizist ist das 406ste Todesopfer. Die meisten Polizisten wurden in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg getötet. 1945 rund 80 Beamte. 1946 waren es 60. 1972 wurden 15 Polizisten getötet, die Zahl nimmt seit 1949 kontinuierlich ab. Die RAF tötete zehn Polizisten.
Über 90 Prozent der Polizeieinsätze in Deutschland verlaufen ohne körperliche und verbale Gewalt. Steht in Lehr- und Studienbriefen der Polizei. Taxifahrer, Pflegekräfte in der Psychiatrie, Rettungskräfte, Lehrer, Prostituierte und Sozialarbeiter werden im Job häufiger angegriffen. Der Polizeiberuf gehört auch nicht zu den gefährlichsten Berufen. In Deutschland stirbt statistisch gesehen fast jeden dritten Tag ein Bauarbeiter.
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Gewalt gegen Polizisten laut Statistik auf dem Höchststand
42.777 Fälle von Gewalt gegen Polizisten hat das Bundeskriminalamt 2022 gezählt – eine Zunahme von fast acht Prozent. „Damit erreichen sowohl die Fall- als auch die Opferzahlen … der Gewaltstraftaten gegen Polizistinnen und Polizisten erneut Höchstwerte“, schreibt das BKA in seinem Lagebild, das 2023 veröffentlicht wurde. 96.208 Polizisten und Polizistinnen wurden Opfer. Die Bundeszentrale für politische Bildung führt die hohen Zahlen auf die Gesetzesverschärfung 2017 zurück, genau wie diverse Experten. In Hessen bekommen Polizisten und andere Beamte eine Angriffsentschädigung von 2.000 Euro – steuerfrei. Welcher Polizist hat da noch Interesse an einer Deeskalation?
Und es gibt noch ein Thema, das geschickt ausgeblendet wird: In Deutschland ist das Thema Polizeigewalt noch immer ein Tabu. Pro Jahr werden rund 2000 Polizisten angezeigt, weil sie ungerechtfertigt zugeschlagen haben sollen. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Seit 1990 sind 293 Menschen von Polizeibeamten erschossen worden. Das mag in Notwehr geschehen sein. Aber reflexartig stellen sich Politiker in solchen Fällen vor die Beamten, und zwar selbst dann, wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind.