Die Forderungen nach einem AfD-Verbotsantrag werden im Bundestag lauter. Unser Kolumnist spricht sich entschieden dagegen aus.
Der Bibelvers für diese Woche steht im Lukasevangelium Kapitel 6, Vers 27: „Liebt Eure Feinde; tut wohl denen, die Euch hassen.“
Ich bin gegen ein AfD-Verbot. Zumindest dann, wenn es aus den falschen Gründen geschieht. Die Frage, ob die AfD verboten werden soll oder nicht, lässt sich politisch und juristisch beantworten. Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes erklärt, dass „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“ verfassungswidrig sind.
Über die Verfassungswidrigkeit kann das Bundesverfassungsgericht entscheiden und eine Partei verbieten, wenn es zu dem Entschluss kommt, dass die im Grundgesetz angezeigte Gefahr feststellbar ist. Anträge über ein Parteiverbot können Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung stellen. So ein geplanter Antrag ist der Anlass der aktuellen Debatte.
Die Frage nach einem Parteiverbot lässt sich auch politisch beantworten. Man könnte meinen, dass einigen Parlamentariern die Kollegen von der AfD wie rüpelhafte Konkurrenten erscheinen, die eine Vielzahl von Wählerstimmen auf sich vereinen, die man bis vor Kurzem für sich selbst verbuchen konnte. Da erscheint ein Verbotsverfahren bequem: Man hätte die ungeliebte Bagage endlich aus dem Parlament und die schönen bundesrepublikanischen Verhältnisse der Vergangenheit wiederhergestellt.
Oder, im Gegenteil, man identifiziert sich derart mit der AfD, ihrem Programm und ihrer Wählerschaft, dass man ihre Politik und ihre Ziele gar nicht als verfassungswidrig ansieht. Und vielleicht möchte man den politischen Gegnern aus dem demokratischen Spektrum auch keinen Punktsieg zugestehen, indem man den Rechtsextremismus als relevante Gefahr für dieses Land benennt.
Die AfD versucht durch den Zugriff auf die Ämter der Landtagspräsidenten, Landräte, Bürgermeister und sonstigen Positionen, die Hebel der Macht zu sichern. Einen ersten Ausblick darauf lieferte die AfD-Thüringen im Landtag, wo der greise Alterspräsident Heinz Jürgen Treutler die parlamentarische Arbeit für einen kurzen Moment zum Stillstand brachte. In Sonneberg, wo der AfD-Politiker Robert Sesselmann das Landratsamt führt, hat sich die rechtsextreme Gewalt laut Opferschutzverbänden verfünffacht. Man könnte ewig so weitermachen. Angesichts all dieser rechtsextremen Offenbarung sollte man nur eines nicht tun: die AfD als Wurzel allen Übels sehen. Sie wurde in einer demokratischen Wahl rechtmäßig gewählt. Das ist der tiefe Ausdruck unserer Demokratie. Auch, wenn einem das Ergebnis nicht gefällt.
Will man mit einem AfD-Verbot nur politische Konkurrenten beseitigen?
Im Jahr 2012 brachte Alexander Dobrindt, heute Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, ein Verbot der Linkspartei ins Spiel. Als Grund nannte er die Beobachtung von Teilen der Linken durch den Verfassungsschutz, darunter den späteren Ministerpräsidenten und – man kann es nicht anders sagen – unbescholtenen und mustergültigen Demokraten Bodo Ramelow. Die Linke war not amused. Dobrindt sei ein „politischer Quartalsirrer“, der den Verfassungsschutz gegen sie instrumentalisiere, weil man es „nicht geschafft habe, die Partei mit demokratischen Methoden kleinzukriegen“.
Der Verfassungsschutz wiederum, begründete seine Beobachtung mit extremistischen Untergruppen wie der „Kommunistischen Plattform“. Deren ehemalige Speerspitze, Sahra Wagenknecht, gilt nun mit ihrem Bündnis als begehrte Koalitionspartnerin der Union. Im Kampf gegen die AfD. Das nennt man wohl Ironie des Schicksals. Heute will derselbe Dobrindt im Umgang mit der AfD von einem Verbot nichts wissen. Man könne die AfD nicht verbieten, man könne sie nur „wegregieren“.
Ein Verbotsverfahren würde das Narrativ stärken, dass Parteien politische Wettbewerber mit unlauteren Mitteln aus dem Weg räumen wollen, wenn diese ihnen zu groß, zu stark und zu unbequem werden. Was aus unserer Demokratie werden soll, wenn wechselweise linke oder rechte Parteien nach Gutdünken einer herrschenden Mehrheit kriminalisiert und verboten werden, macht mir sehr zu schaffen.
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, findet die AfD. Aber auch die CSU.
Der Verfassungsschutz, der die AfD wegen möglicher rechtsextremer Umtriebe beobachten soll, offenbarte bereits im Jahr 2011 sein wahres Gesicht, als sich der sogenannte NSU selbst enttarnte. Nach der Bekanntwerdung der Rechtsterroristen setzte ein seltsamer Aktenschwund ein, die Spitzen von gleich fünf Verfassungsschutzämtern mussten neu besetzt werden. Ein unbefleckter Demokrat sollte nun den Ruf der Behörde wiederherstellen: Hans-Georg Maaßen. Dieser Maßen wird heute selbst vom Verfassungsschutz im Bereich Rechtsextremismus beobachtet. Nach seinem Austritt aus der CDU, erklärte er sich als Kopf einer neuen Partei, der „Werteunion“ – offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD. Ende August veröffentlichte er in den sozialen Medien ein Bild, das ihn neben der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel zeigt.
Als der Bundesverfassungsschutz im Jahr 2022 zwei Gutachten über die AfD als möglichen rechtsextremen Verdachtsfall schreibt, lässt der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer eines der Gutachten abmildern. Dummerweise hat der Verfassungsschutz Aussagen wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ als Beleg für eine rechtsextreme Gesinnung der AfD gewertet. Es ist ein Satz, der auch zum Inventar der CSU gehört und den Horst Seehofer selbst kolportiert hat. Offensichtlich wollte er ihn nicht von offizieller Stelle als rechtsextrem qualifiziert wissen.
Wenn die AfD nun die direkte politische Einflussnahme in die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden beklagt oder kritisiert, dass Verbotsverfahren offensichtlich nicht nur aus sicherheitspolitischen und juristischen Gründen, sondern auch aus Gründen des politischen Wettbewerbs angestrengt werden, dann hat sie Recht.
Es ist über viele Studien wissenschaftlich erwiesen, dass etwa eine hohe Armutsgefährdung zu mehr Stimmen für Rechtsextreme führt. Oder dass Einsamkeit unter Jugendlichen den Hang zu Verschwörungstheorien und autoritären Haltungen fördert. Oder dass Investitionen in strukturschwache Regionen die Unterstützung für rechtspopulistische Parteien reduzieren.
Die AfD ist ein Symptom. Den Rechtsextremismus, den Rassismus, den Antisemitismus, den Sozialdarwinismus hat es bereits vor ihr gegeben und wird es auch nach einem möglichen Verbot geben. Wenn wir trotz aller Schieflagen in unserer Gesellschaft keine kluge und nachhaltige Politik machen, werden wir mit wehenden Fahnen untergehen. Wer nach der erstbesten Lösung greift und einen – fraglos gefährlichen und rechtsextremen – Wettbewerber verbieten will, der handelt nicht zum Schutze der Demokratie.
Er ist selbst zutiefst undemokratisch.