Auf einer „Friedensdemo“ in Berlin teilen sich Linke und SPD-Linke die Bühne mit Sahra Wagenknecht. SPD-Mann Ralf Stegner sucht Anschluss – und erfährt Ablehnung.
Immer, wenn Sahra Wagenknecht in Berlin gegen den Krieg demonstrieren will, ist das Wetter richtig mies. Nieselregen bringt an diesem Donnerstag bei 13 Grad die Regenschirme hervor, Kragen von Funktionsjacken werden hochgeklappt.
Das Brandenburger Tor steht dieses Mal nicht zur Verfügung, nicht wegen des Feiertages zur Deutschen Einheit, sondern wegen eines Familienfestes. Ansonsten ähnelt hier vor der Siegessäule vieles an die beiden ersten Demos vom Februar und November 2023.
Aus den Lautsprechern dringt ein Lied über anonyme Eliten, die die Menschen „korrumpieren“ würden. Die marxistische „Junge Welt“ verteilt eine Ausgabe zu „75 Jahre DDR“. Vor allem tobt Russlands Angriffskrieg in der Ukraine noch. Wagenknechts Umfeld hat die Demonstration wieder mitorganisiert – gemeinsam mit einer Vielzahl von Organisationen, die als deutsche Friedensbewegung firmieren.STERN PAID 37_24 BSW Wagenknecht 12.05
„Die da drüben haben das Wort Frieden geklaut“
Anett, eine Erzieherin aus Berlin, und ihr Mitstreiter Torsten können darüber nur müde lächeln. Gemeinsam stehen sie auf einer kleinen pro-ukrainischen Gegendemo am Rand. „Die da drüben haben das Wort Frieden geklaut“, findet Torsten. „Sie sagen nicht Kapitulation, aber das ist das, was sie meinen“, sagt Anett. Sie hält eine ukrainische Flagge mit der Aufschrift „Slava Ukraini“ in der Hand.
„Die da drüben“ sind heute über Zehntausend Menschen. Die Veranstalter sprechen von 40.000, die Polizei von einer Zahl im „unteren fünfstelligen Bereich“. Der Aufruf zur Demonstration hatte drei zentrale Forderungen: das Ende aller deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine und Israel. Sofortige Verhandlungen im Osten wie im Nahen Osten. Und die Verhinderung der geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Da darf auch die Linkspartei nicht fehlen. Die erste „Friedensdemo“ markierte vor anderthalb Jahren den endgültigen Bruch mit Wagenknecht. Die hat mittlerweile ihre eigene Partei. Seitdem versucht Die Linke mühsam, einen Fuß in die Tür zu bekommen, die sie damals auch aus Sicht vieler Genossen selbst zugeschlagen hat. Viele Parteimitglieder sind deshalb gekommen. Sie sind dem Anschein nach mehr als die Gruppen von BSW-Unterstützern.
„Die Schuldfrage“ soll später beantwortet werden
Auch der Vorsitzende der Linken-Bundestagsgruppe, Sören Pellmann, zeigt wortwörtlich Flagge. Die Linke sei hier, „um ein Zeichen an die Regierung zu setzen, dass diese Bewegung nicht von rechts gesteuert wird“, sagt er. Es brauche Frieden. Mit allzu viel Komplexität will sich Pellmann dabei nicht aufhalten. Eine jüngst von seiner Gruppe lancierte Kampagne gegen Waffenlieferungen verliert kein einziges Wort über Russlands Rolle in der Ukraine. „Wir wollen jetzt niemanden die Hauptschuld geben“, sagt Pellmann. „Die Schuldfrage“ müsse später beantwortet werden.
Vor allem setzt Die Linke auf Gesine Lötzsch, Parteiurgestein, sechsmal direkt gewählte Bundestagsabgeordnete in Berlin und Mitglied des Haushaltsausschusses. Lötzsch kritisiert von der Bühne aus, dass die Bundesregierung das Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten will. Derartige Militärausgaben seien nicht weniger als „der Weg in die Kriegswirtschaft und in den Abgrund“.
„Weniger Panzer, mehr Schulen bauen“
Natürlich hat Lötzsch auch eine Vorstellung, wofür das Geld stattdessen ausgegeben werden sollte: „Lasst uns weniger Panzer bauen und mehr Schulen.“ Panzer hätten ohnehin eine katastrophale Umweltbilanz. Das kommt bei der Menge gut an – deutlich besser als der Auftritt des nächsten Redners.
Der SPD-Linke und Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner ist mit großen Zielen angereist. Seine Partei müsse an „der Spitze der Friedensbewegung stehen“, heißt es in einem von ihm mitgezeichneten eigenen Aufruf.
Ralf Stegner bekommt „Hau ab“-Rufe zu hören
Die Moderatorin der Demo stellt Stegner vor allem als Kritiker der geplanten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen vor. Doch so einfach will es sich der SPD-Politiker nicht machen. Im Angesicht der deutschen Geschichte und der Befreiung von der Nazi-Herrschaft könne man Kriegsgegner sein, aber „schwer Pazifist“, sagt er. Die Menge wird unruhig. Als Stegner dann den russischen Angriffskrieg einen „russischen Angriffskrieg“ nennt, werden Buhrufe laut. Als er die deutsche Unterstützung der ukrainischen Luftabwehr verteidigt, erschallen „Hau ab“-Rufe.
Stegner redet weiter und fordert mehr diplomatische Initiativen, wenn auch „hinter den Kulissen“. Es gibt etwas Applaus. Dass Russlands Präsident Wladimir Putin gerade erst verlauten lassen hat, nicht einmal mit Bundeskanzler Olaf Scholz telefonieren zu wollen, erwähnt er nicht.
08: Scholz will Friedensbemühungen zur Ukraine beschleunigen Russland rückt vor – 76f6bf7e3d93d5ee
Nach seiner Rede, über die ein älterer Zuhörer sagt, sie sei „wichtig gewesen, aber nicht gut“, bleibt Stegner neben der Bühne stehen. „Politik ist keine Schön-Wetter-Veranstaltung“, sagt er. Hier seien Zehntausende Leute, die dürfe man nicht Sahra Wagenknecht überlassen. Und ja, seine Position sei auch die der gesamten SPD.
Das dürfte Michel Roth gänzlich anders sehen. Der SPD-Mann sitzt dem Auswärtigen Ausschuss im Bundestag vor und hat an diesem Nieseltag in Hörweite die kleine Gegendemonstration organisiert.
Lafontaine hilft Gauweiler in den Mantel
Nach Stegner spricht Peter Gauweiler. Der ewige CSU-Renegat und frühere Bundestagsabgeordnete sagt, die EU dürfe nicht als „Bodenteiler einer neuen Spaltung“ zwischen Russland und Europa fungieren. Gauweilers guter Freund, Wagenknecht-Ehemann Oskar Lafontaine, hilft ihm anschließend in den Mantel. Und dann ist sie dran, die Ikone der Bewegung.
Wagenknecht weiß, was sie tut. Sie lobt die Demonstranten und sie lobt Gauweiler. Sie zollt Stegner „großen Respekt“. Aber dann dividiert sie ihn aus seiner eigenen Partei heraus. „Die SPD von Olaf Scholz und Boris Pistorius ist sicher nicht Teil der Friedensbewegung“, sagt Wagenknecht. Die Linke erwähnt sie gar nicht.
„Lauter und mächtiger“ sei man geworden, ruft sie. Wagenknecht hat die Friedensbewegung in einer Zeit wiederbelebt, als die Grünen für Waffenlieferungen waren, die extrem rechte AfD als neue „Friedenspartei“ auftrat und einige Linke noch ihr Russland-Bild rejustierten. Jetzt will sie diesen Führungsanspruch nicht mehr hergeben. Seit den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg treibt sie nun auch noch CDU und SPD vor sich her.
Für Wagenknechts Verhältnisse folgt dennoch eine fast zahme Rede. Sie beklagt die Debattenkultur, während sie gleichzeitig Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius vorwirft, „blind“ zu tun, „was ihnen irgendjemand in Washington“ sagen würde.
Wagenknecht nennt Baerbock ein Sicherheitsrisiko
Solche Widersprüche gehören zu ihrem Pflichtprogramm wie ein Angriff auf die grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Die hatte dem stern gesagt, die Wahlerfolge des BSW riskierten „die Sicherheit unseres Landes“. Dabei sei doch vielmehr Baerbock selbst ein „Sicherheitsrisiko für Deutschland“, findet Wagenknecht. Sie verurteilt dann den „Hamas-Terror“ und irgendwie auch Putin („Jeder, der einen Krieg beginnt, ist ein Verbrecher“), aber sie stellt auch Israel und die USA auf eine Stufe mit ihnen.
STERN PAID 41_24 Baerbock: „Das wichtigste ist: nicht resignieren“ 05.54
Interessant ist auch, wozu Wagenknecht an diesem Tag kein Wort verliert: dem Gastbeitrag, den die drei ostdeutschen Politiker Dietmar Woidke, Michael Kretschmer und Mario Voigt in der „FAZ“ veröffentlicht haben. Darin sprechen sich die drei für ein stärkeres diplomatisches Engagement Deutschlands zur Beendigung des russischen Kriegs gegen die Ukraine aus. „Deutschland und die EU haben diesen Weg noch zu unentschlossen verfolgt.“ Um Ministerpräsident bleiben beziehungsweise werden zu können, sind sie nach den jüngsten Landtagswahlen auf die Unterstützung des BSW angewiesen. Wagenknecht selbst hat bereits die Erfüllung diverser friedenspolitischer Forderungen zur Voraussetzung erklärt. Ob ihr dieser Kotau genügt, lässt sie vorerst offen.
Zum Schluss ihrer Rede wünscht sich Wagenknecht dann ein „Bataillon der Maulhelden der Kriegstüchtigkeit“. Befürworter der Waffenlieferungen wie der Grüne Anton Hofreiter, CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter oder die Liberale Marie-Agnes Strack-Zimmermann könnten sich darin im Krieg beweisen. Das klingt dann doch wie das „Grüne an die Front“, das so oft auf AfD-Demos zu hören und zu lesen ist.
Aber der folgende Applaus lässt kaum einen Zweifel, dass es genau das ist, was viele „Friedensbewegte“ hören wollen.