Am Ende der grünen Chaos-Woche steht fest: Franziska Brantner soll die Partei aus der Krise führen. An ihrer Seite: eine linke Nachwuchshoffnung.
Einen eher unerwarteten Fan hat Franziska Brantner schon mal. Den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić. Im Juli empfing Vučic Bundeskanzler Olaf Scholz in Belgrad. Gemeinsam wollte man das Abkommen zwischen der EU und Serbien zum Abbau von Lithium feiern.
Bei der Pressekonferenz dankte der Serbe indes nicht nur dem Kanzler, sondern auch der Frau, die still in der ersten Reihe saß. „Äußerst wichtig“ sei sie in diesem Verfahren gewesen, lobte Vučic Franziska Brantner und klang dabei selbst ein wenig überrascht. Er halte ja nichts von den Grünen. Und die Grünen nichts von ihm. „Bei ihr möchte ich mich aber herzlich für alles bedanken.“
Brantner ist nicht nur Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und eine der engsten Vertrauten von Robert Habeck, sondern auch Sonderbeauftragte der Bundesregierung für mehr Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor. Sie hatte die Verhandlungen um den Lithium-Deal begleitet.
Das Lob aus Belgrad nutzt ihr nichts
Für ihre neue Aufgabe wird ihr das Lob aus Belgrad freilich wenig nutzen. In ihrer Partei ist das Verständnis für Autokraten wie Vučić eher überschaubar. Auch teilen nicht alle den pragmatischen Kurs, den Habeck und damit auch Brantner an der Spitze des Wirtschaftsministeriums fahren. Und doch soll sie nun als ein Teil eines neuen Duos die grüne Partei anführen.
Franziska Brantner: Ihr Name fiel früh
Nur Minuten, nachdem am Mittwochmorgen überraschend die beiden Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour vor die Presse getreten waren und den Rücktritt des gesamten Parteivorstandes verkündetet hatten, fiel erstmals ihr Name. Die Habeck-Vertraute könnte im November den Vorsitz übernehmen, hieß es aus Parteikreisen. Als potenzielle männliche Co-Vorsitzende wurden zwei genannt, die beiden Bundestagsabgeordneten Andreas Audretsch oder Felix Banaszak. Auf Frauenseite blieb Brantner hingegen der einzige ernsthaft diskutierte Name.
Die gebürtige Badnerin hat sich in den vergangenen Jahren in der Partei den Ruf erworben, klug, fleißig und durchsetzungsstark zu sein. Seit 2008 saß die Politikwissenschaftlerin (Studium in Paris, New York und Mannheim) im Europaparlament, 2013 zog es sie in den Bundestag, 2021 holte sie in Heidelberg für die Grünen sogar ein Direktmandat. Pragmatikerin ist sie geblieben. Auch deshalb soll Habeck die Europa-Expertin zu seiner Staatssekretärin gemacht haben.
Am Freitagnachmittag ist klar, mit wem sie die Führung der Partei übernehmen will. Leicht orientierungslos wirken Franziska Brantner und Felix Banaszak, als sie im Lichthof des Jakob-Kaiser-Hauses im Bundestag vor die Presse treten und zunächst nicht genau wissen, wohin sie sich stellen sollen.
Sehr kurzfristig haben die beiden Grünen zum Statement geladen. So kurzfristig wie alles, was in dieser Woche bei den Grünen passiert. Ihre Kernbotschaft: Wir treten an, gemeinsam. Die Realo-Frau aus Lörrach an der Schweizer Grenze und der Parteilinke aus Duisburg – damit die Flügelfrieden der Grünen gewahrt bleibt.
„Wir haben zwei Flügel, und fliegen kann man bekannterweise nur mit beiden, deshalb werde ich alles dafür geben, dass wir gemeinsam in diesen Wahlkampf gehen“, sagt Brantner. Und Banaszak sekundiert: „Ja, das sehe ich genauso.“
Banaszak, 34, sitzt im wichtigen Haushaltsausschuss des Bundestags und beschäftigt sich dort unter anderem mit dem Klima- und Transformationsfonds. Seine politische Laufbahn begann er als Sprecher der Grünen Jugend. Von 2018 bis 2022 war er dann der Landeschef der Grünen in Nordrhein-Westfalen. Aus dieser Zeit kennt er Mona Neubaur gut, die heutige NRW-Wirtschaftsministerin. Auch sie gilt als enge Vertraute von: Robert Habeck.
Ihr künftiger Co verhandelte in NRW
Er verfüge über eine gewisse Erfahrung, wie man eine Partei in schwierigen Zeiten stabilisieren könne, glaubt Banaszak. Als er den Landesvorsitz in NRW übernommen habe, seien das „keine rosigen Zeiten“ gewesen, sagt er am Freitag. Das Ergebnis zumindest sprach für sich: Bei der Landtagswahl 2022 hatten die Grünen ihr Ergebnis verdreifacht. Die anschließenden Koalitionsverhandlungen hat er selbst geführt, am Ende stand: Schwarz-Grün.
Er ist ein rhetorisch begabter Abgeordneter mit Sendungsbewusstsein: Ende des letzten Jahres machte er auf sich aufmerksam, als er auf einen Antrag der AfD-Fraktion zu später Stunde am Rednerpult ein Gedicht vortrug: „Wer belastet so spät den Bundestag?“, sagte er. „Es ist die Fraktion, die keiner mag.“
„Wir haben jetzt Arbeit vor uns“, sagt Banaszak an diesem Freitag. Die Grünen hätten in den Jahren seit ihres Bestehens Höhen und Tiefen erlebt, „und bislang ist es uns immer gelungen, uns aus dem Tal wieder nach oben zu arbeiten.“
Mission: die Fliehkräfte bändigen
Zu dieser Arbeit, die vor den beiden designierten Parteivorsitzenden liegt, gehört auch, die internen Fliehkräfte zu bändigen. Da wäre der Frust über die Wahlniederlagen bei den drei Landtagswahlen im Osten, der Rück- und Austritt des frustrierten Vorstands der Grünen Jugend und nicht zuletzt das wachsende Misstrauen, das in Teilen der Partei gegenüber dem ultrapragmatischen Kurs der Regierungsgrünen entstanden ist. Niemand steht so sehr für diesen Kurs wie Habeck. Und niemand steht Habeck so nahe wie Brantner.
„Ich kandidiere als Franziska Brantner, und wenn ich gewählt werden würde, dann bekommen alle Franziska Brantner“, sagte sie. Ihr Privatleben schirmt die 45-Jährige von der Öffentlichkeit ab. Bekannt ist, dass sie mit dem streitbaren Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der selbst lange den Grünen angehörte, bis 2013 liiert war und mit ihm eine Tochter hat.
Enges Verhältnis zu Baerbock
Auch zu Annalena Baerbock hat Brantner ein enges Verhältnis: Die beiden Frauen liegen alterstechnisch nur rund ein Jahr auseinander, kamen beide 2013 zeitgleich in den Bundestag. Die gemeinsame Parteisozialisation schweißte sie zusammen, auch wenn sie politisch nicht immer übereinstimmen.
Baerbock selbst ist mit den Kandidaten höchst zufrieden. Am Rande der Generaldebatte bei den Vereinten Nationen in New York sagte die Außenministerin: „Das ist ein guter Tag für die Grünen, weil wir deutlich machen: Der Neustart ist gelungen und zwar der Neustart im Team.“
Audretsch soll den Wahlkampf leiten
Und darum wird auch Andreas Audretsch beim Postenkarussell nicht leer ausgehen. Der Berliner Bundestagsabgeordnete soll neben seiner Arbeit als stellvertretender Fraktionsvorsitzender den Bundestagswahlkampf leiten. Ursprünglich hatte Habeck Franziska Brantner für den Posten auserkoren, nun soll Audretsch die glücklos agierende Emily Büning ablösen. Spätestens seit dem schlechten Abschneiden der Grünen bei den Europawahlen galt sie intern Wackelkandidatin.
Offiziell ist Robert Habeck noch nicht zum Kanzler- oder Spitzenkandidaten ausgerufen worden, offiziell ist auch noch niemand der Neuen ins Amt gewählt. Das soll auf dem Parteitag der Grünen Mitte November in Wiesbaden geschehen. Und doch steht am Ende dieser denkwürdigen Woche das neue grüne Personaltableau fest.
Eine Botschaft an die Union
Und in diesem Tableau steckt sogar eine Botschaft an den erst am Montag ausgerufenen Kanzlerkandidaten der Union. Friedrich Merz hatte zuletzt immer betont, dass eine schwarz-grüne Koalition nach der nächsten Bundestagswahl für ihn nicht infrage käme. „Aus heutiger Sicht würde ich sagen, es geht nicht“, so Merz. Nicht mit diesen Grünen.
Sieht man für den Moment einmal davon, dass voraussichtlich, noch ein Jahr ins Land zieht, bis zur nächsten Bundestagswahl, so lässt sich doch eines festhalten: Schwarz-Grün ist in dieser Woche vielleicht ein kleines bisschen wahrscheinlicher geworden.