Wenngleich die Zahl der Schulverweigerer in Thüringen relativ überschaubar ist, wird das Problem von Pädagogen und Schulen sehr ernst genommen. Denn oft stecken dahinter tiefer liegende Ursachen.
Die Zahl der Schulverweigerer ist in Thüringen auf einem relativ niedrigen Niveau – dennoch gibt es einen stetigen Anstieg über die vergangenen Jahre. „Es handelt sich gemessen an der Gesamtschülerzahl um ein kleines Phänomen, das wir sehr ernst nehmen“, erklärte der Sprecher des Bildungsministeriums Felix Knothe.
Demnach hatten im Schuljahr 2023/24 landesweit rund 1.300 Schüler mindestens 40 Tage im Jahr unentschuldigt gefehlt – etwa 0,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Freistaat. Vor der Coronakrise hatte dieser Wert bei etwa 0,4 Prozent gelegen. Prozentual sind die Anteile der Schulverweigerer in Förder- und Regelschulen besonders hoch.
Komplexe Ursachen für Schuldistanz
„Schuldistanz ist in Thüringen ein wichtiges Thema sowohl der Schulaufsicht als auch der Schulentwicklung“, sagte Knothe. Aufgrund der oft sehr komplexen Hintergründe seien der richtige Umgang damit und Gegenmaßnahmen aber herausfordernd. Die Ursachen für die dauerhafte Verletzung der Schulpflicht reichten von familiären über gesellschaftlichen bis hin zu individuellen Problemen.
Grundsätzlich könnten Schulen mit der richtigen Gestaltung der internen Prozesse und einem positiven Schulklima einen positiven Einfluss ausüben, sagte Knothe. Dazu zählten unter anderem die Schaffung von guten Beziehungen zwischen Lehrern, Schülern und Eltern, Anerkennung und Möglichkeiten der Teilhabe oder gute Unterrichtsstrukturen. Große Schulstandorte seien hierbei oft im Vorteil, weil auch wichtige Angebote abseits des Unterrichts – wie etwa eine eigene Fußballmannschaft oder ein Schulchor – leichter umgesetzt werden könnten. Wichtig sei auch die Teamarbeit unter den Lehrern, der fachliche Austausch und die Weiterbildung von Lehrkräften. Allein können die Schulen diese Probleme aber nicht auffangen.
Rechtliche Maßnahmen und ihre Grenzen
Rein rechtlich können Schulverweigerer mithilfe der Polizei in die Klassenräume zurückgebracht oder Ordnungsgelder verhängt werden. Dadurch ließen sich psychische Beeinträchtigungen aber nicht lösen. „Der Schlüssel ist vielmehr eine interdisziplinäre und institutionenübergreifende Zusammenarbeit aller Beteiligten“, erklärte die Kinder– und Jugendlichenpsychotherapeutin Sindy Weise. Dabei müssten natürlich auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern einbezogen werden.
Die Schule spiele dabei eine wichtige Rolle, denn dort ließen sich Verhaltensänderungen von Kindern und Jugendlichen recht gut erkennen. Pädagogisches Personal für die Anzeichen von psychischen Problemen zu sensibilisieren, ist deshalb eines der Ziele einer Fortbildung, die Weise in Zusammenarbeit mit dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien Ende des Jahres veranstaltet.
Frühzeitige Erkennung als Schlüssel
Bei dem Thüringer Institut gehörten Fortbildungen zur Schuldistanz schon seit vielen Jahren zum festen Angebot, berichtete Sprecher Rigobert Möllers. „Im Prinzip geht es darum, dass Lehrer darüber informiert werden, welche Wege und Netzwerke zur Unterstützung und Hilfestellung es gibt.“ Da das Thema – besonders wenn etwa familiäre Probleme im Hintergrund stünden – teils mit Scham besetzt sei, seien möglichst niedrigschwellige Angebote wichtig. Fort- und Weiterbildungskurse sollen Pädagogen dieses Wissen an die Hand geben.
Die Probleme frühzeitig zu erkennen, ist nach einhelliger Einschätzung der Experten von enormer Bedeutung. Denn gerade Schulverweigerern drohten weitreichende Folgen für ihr späteres Leben, etwa wenn Klassen mehrfach wiederholt werden müssten oder Jugendliche die Schule ohne Abschluss verließen. „Anhaltende Schulvermeidung kann sich sowohl auf die soziale Integration als auch auf den beruflichen Erfolg der Kinder und Jugendlichen auswirken“, sagte Psychotherapeutin Weise. Zudem sei es wichtig, dass Schulschwänzen sich nicht verfestige. Denn mit jedem Tag Abwesenheit werde die Rückkehr in den Schulalltag für die betroffenen Kinder und Jugendlichen schwerer.