Upskirting auf dem Oktoberfest: Vor dem Teufelsrad stehen sie und filmen. Manche warten, bis ein Rock verrutscht

Die Polizisten der Wiesngruppe ist auf Streife, da kommt der Funkspruch rein: Upskirting! Jemand soll einer Frau unters Dirndl gefilmt haben. Können die Polizisten den Verdächtigen fassen?

Der Polizist drückt den Finger auf den Knopf in seinem Ohr. Er schaut schräg nach oben, kneift die Augen zusammen, lauscht. Um ihn Biergesänge, Grölen, Schunkelmusik. Bisher war es ruhig auf ihrer Streife, die Rate der Delikte steigt mit dem Pegel, jetzt ist es erst 17.30 Uhr. Er nimmt den Finger vom Knopf, schaut seine Kollegen an, „Upskirting“, sagt er, die anderen nicken, drehen die Köpfe in eine Richtung, bringen sich in Position. Die Wiesngruppe, gestellt von der Polizeiinspektion 23-Giesing, setzt sich in Bewegung, ihr Ziel: Den Tatverdächtigen festnehmen. Wenn sie ihn noch kriegen.

Upskirting ist ein häufiger Vorwurf auf der Wiesn

Sie sind sechs Polizisten, eine Einsatzgruppe, sie laufen über die Wiesn wie ein Sixpack: Immer zwei nebeneinander. So bahnen sie sich ihren Weg durch die Feiernden, eine Schneise Ernsthaftigkeit durch die trunkene Masse. 

Es muss schnell gehen jetzt. Vielleicht ist der Mann noch im Fahrgeschäft. Der Vorwurf: Dass er einer Frau unter den Rock gefilmt hat. 

© Patrick Slesiona

Jan, von dem hier nur der Vorname stehen soll, ist Gruppenführer, abgekürzt: GF. Typ Tim von TKKG, mit braunen Löckchen und kleinem Lispeln, weniger Macho als Schwiegersohn. Ein Mensch, der sich nicht anzustrengen scheint, wenn er aufrecht geht. Er führt seine Gruppe 17/77 zum „Teufelsrad“. 

Ein Fahrgeschäft, vielleicht das Fahrgeschäft auf der Wiesn: Ein sich immer schneller drehendes Rad, darauf sitzen Menschen, wer als letzter sitzt und noch nicht runter geflogen ist, hat gewonnen. Die Fliehkräfte reißen auch mal einen Rock hoch. 

Manche Männer nehmen Actionkameras mit zum „Teufelsrad“

In den letzten Jahren stehen immer mehr Männer am Rand, oft in Alltagskleidung und nicht in Lederhosen, sie kommen extra für das Rad und die fliegenden Röcke, sie nehmen nicht nur Handys mit, sondern haben Actionkameras dabei – besonders robuste Geräte, gut für Extremsportler – um blitzende Schlüpfer und Pobacken zu filmen. 

Upskirting, auf der Wiesn ist das nicht neu. Früher haben sie den Frauen unter den Rock geschaut, wenn sie im Zelt auf die Bänke gestiegen sind und den Bedienungen die Dirndl hochgerissen haben. Dann kamen kleine Digitalkameras auf, damit haben sie dann drunter geknipst. Und seit ein paar Jahren filmen sie und stellen die Clips ins Netz. Sie heißen dann dort:

TEUFELSRAD DAMEN / SEXY GIRLS RIDE 19 / OKTOBERFEST MÜNCHEN 2022 / DEVILS WHEEL WOMAN / CRAZY GIRLS

Klickt gut. Ist aber eine Straftat. „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahme“ heißt das, Paragraph 184k StGB, Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Wenn die Tat nachgewiesen werden kann.

© Patrick Slesiona

Jan und seine Leute haben das Teufelsrad erreicht, sie laufen um das Fahrgeschäft herum in den Hinterhof, auf einer Holzbank sitzt ein Typ, dem das Blut aus der Nase rinnt, den hat`s wohl eben erwischt, ein paar Schritte daneben steht die junge Frau, die die Polizei verständigt hat.

Sie erzählt, was passiert ist eben. Da sei ein Mann gewesen, ganz konzentriert habe der gefilmt, immer nur, wenn gerade Frauen auf dem Rad waren. Wenn die Röcke hochrutschten, habe er drauf gehalten, die Kamera immer tiefer positioniert. Auf Sliphöhe.

„Warum filmen Sie?“, habe sie ihn gefragt, und er habe geantwortet, das würde er später hochladen, auf YouTube und TikTok. Da habe sie die Polizei gerufen. „Er hat so auffällig drauf gehalten“, sagt sie, ihren Namen will sie nicht nennen. „Immer nur auf die Frauen, und die Kamera so tief“, sagt sie und hält ihre Hände auf Höhe ihrer Körpermitte. 

26: WiesnBesucher filmt Frau mit Handy unter den Rock – 49702808e5b175c7

Jan lässt sich beschreiben, wie der Mann aussieht, „geht ihr auf die Vorderseite, dass er nicht da raus läuft“, sagt er dann zu zwei Kollegen, mit dem Rest marschiert er von hinten ins Zelt.

Festnahme im Fahrgeschäft

Auf den Rängen über dem Rad johlen die Menschen, feuern die unten an, „She´s a Lady“ schallt aus den Lautsprechern. In der Mitte drehen sich die Frauen. Viele halten den Rockschoß zwischen die Beine, manche tragen Radlerhosen darunter für den Sichtschutz, aber als sich das Rad immer heftiger dreht, versuchen alle bloß, sich aneinander festzuhalten und lassen die eigenen Dirndl los.

© Patrick Slesiona

Die vier Polizisten teilen die Menge, Jan vorn hat den Mann gesehen: schwarze Jacke, neongelbe Streifen, hochgehaltene Kamera, der Körper fest wie ein Stativ. Sie stürmen vor, Jan greift zu, sie halten seine Arme. Festgenommen. Köpfe drehen sich vom Teufelsrad zu den Polizisten und dem Verdächtigen in ihrer Mitte, alle haben es gesehen: Dieser Mann ist verhaftet.

Dann stehen sie hinter dem Zelt, die Polizisten und der Tatverdächtige.

„Die Dame ist der Meinung, Sie haben sie gefilmt“, sagt Sandra, Polizistin aus der Wiesngruppe. „Und zwar unter dem Rock.“ 
„Ist doch nicht verboten“, sagt der Mann. 
„Doch, das ist verboten“, sagt Sandra.
„Es gibt kein Schild!“, sagt er. 
„Wir können ja nicht für jedes Gesetz ein Schild aufstellen“, sagt Sandra.

Die Polizisten nehmen das Handy des Mannes, scrollen durch die Fotos und Videos, er hat zugestimmt. Sie müssen ihm nachweisen, dass er gezielt Aufnahmen gemacht hat, unter den Rock, in den Ausschnitt. „Aber er filmt stetig in der gleichen Position, zoomt nicht rein“, sagt Jan. Auf allen Clips ist die gleiche Szene zu sehen, das Rad inklusive Zuschauer dahinter, Weitwinkel. Nichts strafrechtlich Relevantes also. „Irgendwas im Papierkorb?“, fragt eine der Polizistinnen, Jan schüttelt den Kopf. 

© Patrick Slesiona

„Wieso macht denn keiner was?“

Die Frau, die angerufen hat, eilt von den Rängen hinab zu den Polizisten, hört mit, was sie sagen. „Ich habe ihn aber dabei gesehen!“, ruft sie, „wieso stellt sich denn nicht einer von Ihnen daneben hin, wieso muss ich das machen, wieso macht denn keiner was?“ 

Elisabeth Polaczy tritt aus dem Zelt, und wenn man noch nicht sicher wusste, dass sie die Betreiberin des Teufelsrads ist, dann vermutet man es, eine Frau im tiefroten Dirndl, mit hochgestelltem Busen und auffrisierten Haaren, der man ansieht, dass sie schon seit ein paar Jahrzehnten die Ansagen macht.

© Patrick Slesiona

„Das tut mir weh“, sagt Polaczy, „das macht viel mit mir. Jede meint, sie wird belästigt. Das nimmt Überhand. Jeder wird verdächtigt. Und wir stehen am Pranger.“ Das Teufelsrad und das Upskirting, bundesweit macht das nämlich gerade Schlagzeilen. 

Die Schulklasse hat ihren Besuch abgesagt

Polaczy holt ihr Handy hervor, zeigt den Nachrichtenverlauf mit einem befreundeten Lehrer, dem hatte sie angeboten, er könne tagsüber mit seiner Schulklasse vorbeikommen, eine Runde auf dem Teufelsrad. Er schreibt:

„Liebe Lisi, leider muss ich für Montag 14 Uhr doch wieder absagen, da unsere Schulleitung ein Veto eingelegt hat.“

Interview Wiesn-Kellnerin 15.20

Dabei habe sie schon ein Schild aufgestellt vorn: Bildaufnahmen von Personen ohne deren Erlaubnis, insbesondere das Veröffentlichen im Internet, sind verboten. „Aber soll man wirklich allen hier drin verbieten, ein Handy dabei zu haben?“, fragt Elisabeth Polaczy.

Überhaupt ist ja nicht das Teufelsrad schuld oder die Frau Polaczy und es sind auch nicht die Frauen schuld, die sich halt eine Radlerhose unter den Rock ziehen sollen, wie manch einer schon gefordert hat. 

„Man muss doch als Frau auch mal Blödsinn machen dürfen“

Das sagt auch Kristina Gottlöber. Sie ist Sprecherin der „Sicheren Wiesn“, eine Initiative, die Frauen auf dem Oktoberfest einen Schutzraum bietet und über sexuelle Übergriffe aufklärt. „Man muss doch als Frau auch mal Blödsinn machen dürfen“, sagt sie. Sie sei selbst ein großer Teufelsrad-Fan. „Da ist man damit beschäftigt, sich festzuhalten und Spaß zu haben. Eine sportliche Geschichte, man will gewinnen und es sollte egal sein, ob da kurz ein Slip aufblitzt. Dass das Fahrgeschäft jetzt so eine andere Note bekommt, finde ich tragisch.“

Viele Frauen, sagt Gottlöber, bekämen die Filmerei auch gar nicht mit, sie seien ja viel zu beschäftigt damit, nicht vom Rad zu fallen. Im Hinblick auf das Teufelsrad sagt sie: „Die Angestellten dort versuchen, sehr strikt zu sein. Aber da macht sich ein gesellschaftliches Problem an einem Fahrgeschäft fest.“ 

Das Problem sei nicht das Teufelsrad oder der blitzende Slip. „Das Problem ist, dass Männer das filmen und hochladen und dass die Gesellschaft das bagatellisiert. Übergriffe finden in jedem Bierzelt und in jedem Fahrgeschäft statt. Das ist das Schlimme.“

Jan und seine Leute geben dem Mann sein Handy zurück. Die Aufnahmen sind nicht explizit genug. Kann man nichts machen. Er darf gehen. 

© Patrick Slesiona

Die Wiesngruppe 17/77 zieht weiter. Wird noch einen Maßkrugdieb festnehmen. Betrunkene zum Ausnüchtern bringen. Der Tatverdächtige, nun für unschuldig erklärt, kann weiter feiern. Oder filmen.