Scholz gegen Merz – dieses Duell wird den Wahlkampf bestimmen. In der Zuspitzung auf zwei Personen liegt die Chance des Kanzlers. Leidtragende sind Grüne und FDP
Fast auf den Tag genau in einem Jahr ist Bundestagswahl, und wir können ziemlich gewiss davon ausgehen, dass sich daran so schnell auch nichts ändern wird – mag die Sehnsucht nach einem politischen Neustart und Aufbruch noch so groß sein. Dafür hat auch diese Woche gesorgt.
Mit 4,1 Prozent für die Grünen und sage und schreibe 0,8 Prozent für die FDP am vergangenen Sonntag in Brandenburg dürfte den beiden größten Wackelkandidaten in der Berliner Ampelkoalition die Lust auf ein kleines gewagtes Experiment, sollte sie irgendwer je verspürt haben, vergangen sein: Der Glaube an die Wiederauferstehung nach dem Selbstmord aus Angst vor dem Tode dürfte sich bis auf weiteres erledigt haben.
Damit steht allerdings die Konstellation für die kommenden zwölf Monate fest: Wir werden ein Duell erleben – Friedrich Merz gegen Olaf Scholz, Herausforderer gegen Amtsinhaber. Und dieses Duell könnte spannender werden als viele jetzt denken.
Olaf Scholz’ Komfortzone
Klar, die Ausgangslage scheint eindeutig: Hier der nicht selten merkwürdig sediert wirkende Kanzler, den weder die desolate Lage des Landes noch die seiner Partei wirklich zu irritieren scheint; dort ein viriler Herausforderer, der zwar noch etwas älter ist als der Amtsinhaber, dabei aber deutlich jünger und tatkräftiger rüberkommt (auch wenn alle, die Friedrich Merz länger kennen, bei seinem demonstrativen Tatendrang immer noch eher an seine berüchtigte Impulsivität denken). Auch die Umfragewerte erscheinen heute eindeutig – gute 31 Prozent für CDU und CSU, knapp die Hälfte für die SPD.
Allerdings, diese Lage ist Olaf Scholz’ Komfortzone. Weit abgeschlagen alle seine Konkurrenten nur von hinten sehen zu können, ist Scholz inzwischen gewohnt, und er mag es eigentlich ganz gerne. Er hat es zu seiner Masche gemacht, gerne unterschätzt zu werden. Schließlich kann er dann später umso stärker triumphieren – was er ebenfalls sehr gerne macht.
Dass in der Zuspitzung auf zwei Personen und Positionen eine Chance für Scholz liegt, hat just die Brandenburg-Wahl gezeigt. Dietmar Woidke ist ein biederer und bodenständiger Regierungschef in seinem Land, ein Menschenfänger ist er nicht. Dennoch schaffte es Woidke, durch seine „die-oder-ich“-Kampagne eine Stimmung zu erzeugen, die ihm am Ende viele Wähler zutrieb, die ihn normalerweise nie gewählt hätten – sogar aus der CDU. Das Ergebnis war ein strahlender Amtsinhaber, der es wider Erwarten schaffte, sogar mehr Stimmen als die AfD einzusammeln (der nun allerdings auch ohne bürgerlichen Regierungspartner dasteht).
Für den Bundestagswahlkampf bedeutet dies: FDP und Grüne könnten zu den großen Verlierern der nächsten Wahl werden. Denn Merz und Scholz werden alles daransetzen, FDP und Grüne mit ihrer mauen Bilanz in die Bedeutungslosigkeit zu drücken. Sollte es etwa Scholz gelingen, nur einige wenige Prozentpunkte der enttäuschten Grünen-Anhänger abzugreifen, könnte er sich schon wieder der 20-Prozent-Marke nähern.
Die Führungskrise bei den Grünen beginnt jetzt erst
Daran wird auch nichts ändern, dass Robert Habeck immer noch mit einer Kanzlerkandidatur kokettiert. Ganz bei sich im Stillen wird er selbst wissen, dass er im Rennen um das Kanzleramt keine Chance hat – da mag er noch so ein eindrucksvoller Krisen- und Transformationserklärer sein. Womöglich wird man sogar in einigen Jahren feststellen, dass seine Bilanz als Wirtschaftsminister besser ist als es die Genese des vermurksten Heizungsgesetzes nahelegt. Aber um dies zu erklären, werden auch die nächsten zwölf Monate nicht reichen. Und die Kernkompetenz für schlumpfige Überraschungserfolge liegt eindeutig eher bei Scholz.
Hinzu kommt für Habeck, dass die Führungskrise der Grünen in dieser Woche nicht beendet wurde, sondern eigentlich gerade erst losgeht. Dass es Habeck schafft, sich die Partei wie einst Joschka Fischer mehr oder weniger anzueignen, ist eher unwahrscheinlich. Nahe liegender ist doch, dass nach den drei Wahlniederlagen in diesem Herbst die alten Flügelkämpfe wieder hochkommen und zumindest die Parteilinke eine Abkehr vom realpolitischen Kurs Habecks oder einer Annalena Baerbock einfordern wird. Setzt sie sich dann nicht durch, wird sie der Parteispitze offen oder stillschweigend die Gefolgschaft aufkündigen.
Anders als bei den Grünen wird in der FDP eine offene Revolte gegen Parteichef Christian Lindner kaum ausbrechen. Zu präsent sind noch die Erinnerungen, was dabei herauskam, als man 2011 den als Minister ebenfalls glücklosen und überforderten Guido Westerwelle von der Parteispitze stürzte. Nein, Lindner bleibt – und er wird auch seinen Kurs als letzter Wächter und Verteidiger einer soliden Haushaltspolitik nicht aufgeben. Es ist ja das letzte Thema, das ihm noch bleibt. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass Lindner wenige Monate vor der Wahl doch noch sein Heil in der Flucht aus der Regierungskoalition sucht. Doch er wird dies nur tun, wenn er sicher sein kann, dass es dann keine vorgezogenen Neuwahlen gibt. Was möglich ist, sollte absehbar sein, dass SPD und Grüne auch mit einer Minderheitsregierung bis zur Wahl im September durchkommen.
Der Rest findet am Spielfeldrand statt – so wie in Brandenburg. Das gilt selbst dann, wenn radikale Protestparteien wie AfD und BSW auch im Bund zusammen auf 25 bis 30 Prozent der Stimmen kommen sollten. In der Mitte des politischen Spektrums werden Union und SPD die Sache weitgehend unter sich ausmachen.
Neuauflage der nicht mehr ganz so großen Koalition
Was bei dieser Konstellation herauskommen kann, hat der Berliner Unternehmer und Berater Harald Christ in einem Gastbeitrag für Capital diese Woche beschrieben: „Mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr droht ein Szenario, in dem ein erstarkter Populismus und dessen taktische Abwehrreaktion wie in Brandenburg vor allem die kleinen Parteien marginalisiert. Am Ende bliebe nur noch eine verkleinerte Große Koalition, deren wichtigste Gemeinsamkeit die Absage an die Radikalen von rechts und links ist“, schreibt Christ, der viele Jahre in der SPD mitarbeitete, bevor er Anfang 2020 zur FDP wechselte.
Tatsächlich ist die Rückkehr zur Großen Koalition nach der Wahl 2025 die wahrscheinlichste Regierungsoption. „Merz oder Scholz?“ – diese Frage bezieht sich allein aufs Kanzleramt, jenseits dieser Frage aber führt an Union und SPD als Koalitionspartner kein Weg vorbei. AfD und BSW können sich schon jetzt darauf freuen – wenn FDP und Linke nichts ins Parlament kommen, stellen sie neben deutlich geschrumpften Grünen den Großteil der Opposition.