Ein Besuch bei kranken Mitarbeitern, wie jüngst bei Tesla geschehen? Ist umstritten, aber erlaubt. Eine Expertin erklärt, welche Rechte der Arbeitgeber darüber hinaus hat.
Wer krank mit einer Grippe im Bett liegt, der erwartet wohl am wenigsten die Chefin vor der Tür. Und doch ist genau so etwas jüngst passiert, als im Tesla-Werk in Brandenburg ungewöhnlich viele Mitarbeitende gleichzeitig erkrankt sind. Als bekannt wurde, dass zwei Manager entschuldigte Beschäftigte zu Hause besucht hatten, war die öffentliche Empörung groß. Wir erklären, was Vorgesetzte dürfen, wenn man selbst krank ist – und wie sich Arbeitnehmer verhalten sollten, sollten rechtliche Grenzen überschritten werden.
Darf mein Arbeitgeber schon ab dem ersten Krankheitstag ein Attest verlangen?
Ja, darf er. Eigentlich ist vorgesehen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem vierten Tag der Krankheit vorliegen muss. Allerdings darf der Arbeitgeber diese auch schon ab dem ersten Tag einfordern. Das muss nicht schon im Arbeitsvertrag so festgeschrieben sein, sondern kann auch situativ verlangt werden. „Man darf natürlich nichts zeitlich Unmögliches von mir als Arbeitnehmer verlangen“, sagt Jana Wömpner, Referatsleiterin für Individualarbeitsrecht beim Deutschen Gewerkschaftsbund, kurz DGB. „Grundsätzlich sollte ich mich aber vor Arbeitsbeginn krankmelden, damit der Arbeitgeber umplanen kann. Und dann so schnell wie möglich die Arbeitsunfähigkeit feststellen lassen.“ Ausnahmen für Personen, die (noch) keinen Hausarzt haben, gibt es übrigens nicht. Wer nicht sofort einen Arzttermin bekommt, muss möglicherweise auf Teleärzte ausweichen. Klappt das nicht, können Ärzte die Arbeitsunfähigkeit auch für einen vergangenen Zeitraum feststellen.
Muss ich während meiner Krankheit für Arbeitsfragen erreichbar sein?
Nein, bin ich krank, muss ich auch nicht erreichbar sein. Mit einer Ausnahme: Handelt es sich um eine dringende Angelegenheit, bei der nur ich selbst weiterhelfen kann, darf mein Arbeitgeber mich anrufen. Etwa dann, wenn ich der einzige Mitarbeiter bin, der den Safe-Code in einer Bank kennt. Das ist allerdings ein sehr eng geregelter Ausnahmefall.
STERN Tesla Arbeitsrecht Krankheit 15:36
Darf mein Chef – wie bei Tesla – persönlich vorbeikommen und überprüfen, ob ich krank bin?
Ja, darf er. Es gibt kein Gesetz, dass dem Chef im Krankheitsfall den Kontakt zu den Arbeitnehmern verbietet. „Diese Ermittlungsmaßnahmen dürfen aber auf keinen Fall verdeckt erfolgen. Es ist also nicht zulässig, mit einem Blumenstrauß vor der Haustür zu stehen und mir vorzutäuschen, es ginge hier um Fürsorge, wenn er eigentlich ermittelt. Außerdem darf der Arbeitgeber auf kranke Arbeitnehmer keinen Druck ausüben, zur Arbeit zur erscheinen“, erklärt Wömpner. Und, wichtig: Es gibt keine Pflicht, mit dem Arbeitgeber zu sprechen. Ich muss also weder die Türe öffnen noch den Chef aufs Grundstück lassen.
Muss ich sagen, warum ich krank bin?
Nein, die Diagnose ist geheim. Expertin Wömpner rät sogar eindringlich davon ab, den Krankheitsgrund weiterzuerzählen. Denn meine Antwort auf das typische „Was hast du denn?“ kann sonst im Zweifel auch gegen mich verwendet werden.
Darf mein Chef meine Krankschreibung infrage stellen und weitere Beweise fordern?
Arbeitgeber dürfen Zweifel an der Krankschreibung äußern und sich in diesem Fall an den medizinischen Dienst wenden. Das ist ein neutraler Begutachtungsdienst, der die Diagnose und somit auch die Arbeitsunfähigkeit prüft, sei es durch einen Fragebogen oder ein persönliches Gespräch – nach vorheriger Einladung. Am Ende wird dem Arbeitgeber aber nur das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt, nicht die Diagnose.
Wie muss ich mich verhalten, wenn ich krank bin?
Ich muss mich als kranker Arbeitnehmer so verhalten, dass ich bald wieder gesund bin. Das bedeutet aber keine strenge Bettruhe, auch Spaziergänge oder leichter Sport bei Rückenbeschwerden sind beispielsweise möglich. Wird ein vermeintlich kranker Arbeitnehmer allerdings vom Chef in der Kneipe erwischt, kann das je nach Diagnose Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. „In solchen Fällen zahlen die Arbeitgeber dann keinen Lohn für den Zeitraum, bis die Zweifel geklärt sind. Das muss der Arbeitgeber allerdings ankündigen und begründen“, sagt Wömpner.
Kann mir gekündigt werden, wenn ich krank bin?
Ja, es gibt die Möglichkeit einer krankheitsbedingten Kündigung, und zwar aufgrund langer oder häufiger Krankheit. Die Hürden dafür sind allerdings hoch. Es braucht einerseits eine negative Prognose, die mir bescheinigt, dass ich meiner Arbeit aus gesundheitlichen Gründen in Zukunft nicht mehr nachkommen kann. Außerdem muss mein Ausfall für den Betrieb meines Arbeitgebers eine erhebliche Beeinträchtigung darstellen und ich somit zur „unzumutbare Belastung“ werden. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Betriebsablauf durch meine andauernde oder häufige Krankheit stark gestört wird.
Kann mein Arbeitgeber bei einer längerfristigen Krankheit eine Wiedereingliederung verlangen?
Bin ich innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank, muss mein Chef mir ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten. „Das BEM ist ein offenes Findungsgespräch, bei dem beide Parteien zusammenkommen und sich ansehen, was geändert werden kann, damit ich wieder beschwerdelos arbeiten kann“, erklärt Wömpner. „Ich bin aber als Mitarbeiter nicht verpflichtet, an diesem Gespräch teilzunehmen und darf das Angebot ablehnen.“
Darf mir mein Arbeitgeber den Lohn oder Urlaub kürzen, wenn ich länger krankgeschrieben bin?
Nein, Urlaubstage dürfen nicht gekürzt werden. Ganz im Gegenteil: Werde ich im Urlaub krank, darf ich mir diese freien Tage vom Arbeitgeber wiederholen. Auch der Lohn darf für mindestens sechs Wochen Krankheitsdauer nicht gekürzt werden. Danach übernimmt die Krankenversicherung die weiteren Zahlungen. Aber Achtung: Das Kürzen von Sondervergütungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld oder Jahresabschlussprämien ist erlaubt. Dafür braucht es aber vertragliche Regelungen.
Wie kann ich mich wehren, wenn meine Chefin seine Kompetenzen überschreitet?
„Erstmal ruhig bleiben und sich nicht unter Druck setzen lassen“, rät Expertin Wömpner. „In solchen Fällen sollte man sich an seine Gewerkschaft wenden und sich rechtlich beraten lassen. Wichtig ist: Ich muss nicht die Tür öffnen, ich muss diese Gespräche nicht führen und ich sollte mir die Solidarität und die Hilfe innerhalb der Gewerkschaft holen. Wer in keiner Gewerkschaft Mitglied ist, sollte einen Anwalt kontaktieren.“