Bei den Grünen bewegt sich etwas. Robert Habeck könnte seinem Ziel damit einen Schritt näher sein. Wenn da nicht nur sein eigener Ballast wäre.
An einem denkwürdigen Tag in der grünen Parteigeschichte lässt sich Vizekanzler Robert Habeck abends ins „Heute-Journal“ schalten. Es ist Mittwoch, am Vormittag waren die beiden Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour vorzeitig von ihren Ämtern zurückgetreten.
Habeck interpretiert den Vorgang abends im ZDF so: „Ricarda Lang und Omid Nouripour haben heute etwas ganz, ganz Seltenes gemacht.“ Sie hätten der Partei in einer schwierigen Lage „eine Chance geschenkt“, nun „einen Neustart hinzulegen“. So wie der Wirtschaftsminister sehen das auch viele in der Partei: Innerhalb kürzester Zeit gab es mit der Europawahl und den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg vier harte Niederlagen. Die Partei guckte hilflos zu, wusste dem nichts entgegenzusetzen, tauchte in der Migrationsdebatte und dem Haushaltsstreit ab. Jetzt könnte eine neue Dynamik entstehen, so zumindest die Hoffnung vieler Abgeordneter.
Wie lässt sich eine Stimmung drehen? Wie und mit welchen Themen kann neue Energie entstehen? Daran hat Habeck selbst vielleicht das größte Interesse: Er, der mit dem anfangs verunglückten Heizungsgesetz den Grünen selbst schweren Schaden zufügte, will die Partei in die nächste Bundestagswahl führen. Annalena Baerbock hatte ihm beim letzten Mal den Job weggeschnappt, nun aber hat sie bereits ihren Verzicht erklärt – der Weg für Habeck ist frei.
Die Ausgangslage ist aber eine andere als damals, das machte Habeck zuletzt immer wieder deutlich. Viel schwieriger für die Grünen, damals im Höhenflug, heute schwer gebeutelt und bislang ratlos, was sie den zahlreichen Angriffen, den Niederlagen und der inhaltlichen Verunsicherung entgegensetzen sollen. Ein weiteres Problem hat Habeck: Er kann sich nicht sicher sein, ob seine Partei sich so hinter seinem ultrapragmatischen Kurs versammelt, wie er sich das wünscht. Aber der Reihe nach.
Die Partei bekommt eine neue Spitze – die Habeck stärken dürfte
Wer wird Lang und Nouripour nachfolgen? Ein Name fiel sofort: Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium. Sie gilt als eine von Habecks engen Vertrauten. Ihr werden große Chancen eingeräumt, gemeinsam mit einer weiteren Person, wohl vom linken Flügel, Parteivorsitzende zu werden.
Schon vor dem Rückzug von Lang und Nouripour war nach außen gedrungen, dass die Baden-Württembergerin offenbar Habecks Wahlkampf leiten solle. Damit drückte sich auch Misstrauen gegenüber der Parteizentrale und der dortigen politischen Geschäftsführerin Emily Büning aus, die die Wahlkampagnen organisierte und schon seit der verlorenen Europawahl im Juni in der Kritik stand. Gemeinsam mit Lang und Nouripour ist der gesamte Parteivorstand, dem auch Büning angehört, zurückgetreten.
Mit Brantner zöge eine Pragmatikerin in die Parteizentrale ein, die Robert Habecks Vision teilt: Die Grünen müssen noch stärker in die Mitte rücken. Habeck dürfte die Parteizentrale mit einer Vertrauten an der Spitze enger an sich binden.
Es sieht so aus, als nähme sich Habeck in Teilen Joschka Fischer zum Vorbild, den einstigen Außenminister der rot-grünen Koalition. Fischer, unter Gerhard Schröder auch Vizekanzler wie Habeck heute, sicherte sich in Regierungszeiten den Zugriff auf die Partei über Vertraute in deren Führung. Schon bald nach den Bundestagswahlen 1998 verließen die bisherigen Vorsitzenden Gunda Röstel und Antje Radcke ihre Ämter. Fischer, der beide nicht sonderlich schätzte, war an ihrer Demontage im Hintergrund nicht unbeteiligt gewesen. Ihnen folgte Fritz Kuhn, ein enger Vertrauter Fischers, der die Partei fortan gemeinsam mit der Parteilinken Renate Künast führte.
In dieser Konstellation entzog sich Fischer zwar dem Ruf eines heimlichen Vorsitzenden, der sich um die konkreten Anstrengungen eines führenden Parteiamtes herumdrücken wolle: Er ließ sich in den neu geschaffenen Parteirat wählen, der so zu einer Art strategischem Zentrum der Grünen wurde. Gleichwohl kümmerte er sich um die Partei nur in dem Maße, wie es ihm für die Regierungsarbeit zuträglich erschien. Den Rest erledigten andere, auf die er sich verlassen konnte. Das Kalkül ging auf: 2002 sicherte der populäre Außenminister nicht nur den Grünen ein deutlich verbessertes Wahlergebnis, sondern dem Koalitionspartner Gerhard Schröder auch die Wiederwahl als Bundeskanzler.
Botschaft: der optimistische Pragmatiker – manche fliehen schon
Mit neuem Personal an der Parteispitze soll auch eine andere Strategie einhergehen. Man werde auf dem Parteitag Mitte November eine „sehr ehrliche Debatte darüber führen, wer wir sein wollen“, sagte Habeck. Dabei ist der Kurs schon klarer, als der Vizekanzler das darstellt: Er will als optimistischer Pragmatiker antreten. Im „Heute-Journal“ formulierte Habeck das so: Die Grünen würden das tun, was das Land brauche, nämlich „Probleme nicht einfach auszusitzen oder zu bestaunen“, und das mit einer „Haltung des Gelingen-Wollens und Gelingen-Könnens“.
Während dieser Aussage in ihrer Abstraktheit wohl kaum ein Grüner widersprechen dürfte, stehen die Worte für den Kurs, auf den Habeck die Grünen in Regierungsverantwortung bereits einschwor. Und der so manchem auf dem linken Flügel sauer aufstößt – auch wenn sich die Abgeordneten im Bundestag während der gesamten Regierungszeit eher zahm zeigten, und zahlreiche Kompromisse mittrugen.
Nun zeigt sich eine Fliehbewegung: Die Grüne Jugend ist offenbar zu dem Schluss gelangt, dass sich am Kurs der Partei in absehbarer Zeit nichts ändern wird – egal wie stark man diesen kritisiert. Am Donnerstagmorgen erklärten die Vorstandsmitglieder ihren Austritt aus der Partei. Sie wollen eine andere, linke Jugendorganisation gründen.
Die beiden Co-Sprecherinnen der Grünen Jugend, Svenja Appuhn und Katharina Stolla, begründen ihren Rückzug mit der inhaltlichen Ausrichtung der Partei: „Die Grünen sind einmal angetreten, um die Welt zu einer besseren zu machen“, schreiben sie. „In ihrem Handeln hat sich die Partei allerdings immer weiter angepasst.“
Den eigenen Ballast trägt Robert Habeck mit sich
Der Rückzug zeigt: Auch wenn Habeck den Kurs bestimmt, heißt das nicht, dass in der kommenden Zeit keine empfindlichen Debatten aufflammen werden. Zahlreiche Fragen sind ungelöst, etwa beim Thema Migration. Darauf blicken viele Mitglieder gänzlich anders als Habeck. Das zeigte zuletzt ein offener Brief der Basis gegen die aktuelle Migrationspolitik.
Grüne Basis Migrationspolitik 19.05
Und auch seinen eigenen Ballast trägt er als Kanzlerkandidat: Mit am schwersten haftet den Grünen das sogenannte „Heizungsgesetz“ an, und das kam aus seinem Haus. Manchen im Land schien es die schlimmsten Vorurteile gegenüber den Grünen zu bestätigen, der Opposition war es ein willkommenes Fressen. Mit seinem Namen wird es immer verknüpft bleiben. Gelingt so ein „Neuanfang“?
Das hängt wohl auch davon ab, was genau man darunter verstehen mag. Ob Robert Habeck und die Grünen so die Trendwende herbeiführen können, ist nach wie vor offen – auch wenn sich jetzt immerhin etwas bewegt.