Ausdruck der „neuen Normalität“ oder Dammbruch? Was die Strategie hinter Rheinmetalls Engagement in der Bundesliga ist und wie ein Wirtschaftsethiker das bewertet.
In Frankreich und England gehören ganze Fußballvereine Staaten, die sich nicht um Menschenrechte scheren. In Deutschland ist der Aufschrei groß, weil ein Rüstungskonzern einen Bundesligisten sponsert. Für die kommenden drei Jahre ist der Düsseldorfer Waffenhersteller Rheinmetall Werbepartner von Borussia Dortmund. Eine verwerfliche Entscheidung?
Immerhin wollten vor drei Jahren auch Bundesregierung und EU-Kommission die Rüstungsindustrie bei Investitionen noch in eine Reihe mit Pornografie, Tabak- und Alkohollieferanten stellen. In der Politik haben sich die Zeiten gewendet.
Das Rheinmetall-Logo auf den Stadionbanden soll Waffen nun endgültig gesellschaftsfähig machen. Nach Jahren in der Schmuddelecke will der Rüstungskonzern endlich seine Akzeptanz steigern. Doch nur aufgrund der politischen Lage sollten sich ethische Kriterien für Investments nicht ändern, sagt ein Experte.
Wird der BVB zum Komplizen im Waffengeschäft?
Für Michael Heumann, Wirtschaftsethiker und Mitglied des Ethik-Analystenteams bei der Schweizer Investmentfirma Arete Ethik Invest, ist die entscheidende Frage, ob sich der BVB nun zu einem „Komplizen im Waffengeschäft“ macht. „Nur weil sie eine Geschäftsbeziehung mit einem Waffenhersteller haben, heißt das nicht, dass sie moralisch verwerflich handeln“, sagt er im Gespräch mit Capital. „Trotzdem halte ich den Deal für äußerst fragwürdig. So einen Partner zu haben, muss man ethisch begründen und das habe ich bisher nicht gesehen.“ Viel mehr seien Fans und Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
Nach den Ethik-Kriterien der Kommission von Arete Ethik Invest würden sie Rheinmetall klar für Investitionen ausschließen, erklärt Heumann. Zwar könne man über verschiedene ethische Ansätze durchaus Gründe für die Herstellung von Waffen finden, etwa solche, die auch Politiker jetzt aufgreifen. „Aber wir haben uns entschieden, dieser Argumentation nicht zu folgen“, sagt Heumann. „Denn Waffen haben ein unmittelbares Schädigungspotenzial, auch wenn es Auflagen und Kontrollen gibt, wie und von wem die Waffen eingesetzt werden.“ Dieses Argument sei empirisch zu oft widerlegt worden.
Die beteiligten Akteure und die Politik sehen das offensichtlich anders. Ein Rheinmetall-Sprecher bezeichnet die Partnerschaft gegenüber Capital als „gelebte Zeitenwende“. Ähnlich formulierte es auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Das sind die größten Rüstungskonzerne der Welt 16.50
Börsennotierter BVB kann Geld nicht liegen lassen
Borussia Dortmund hat die hohe Geldsumme, die mit dem zunächst dreijährigen Deal verbunden ist, wohl schlicht nicht ablehnen können. Dem „Handelsblatt“ zufolge soll Rheinmetall dem BVB jährlich einen einstelligen Millionenbetrag zur Verfügung stellen und damit zu einem der größten Sponsoren des Vereins werden. Rheinmetall erhält dafür reichweitenstarke Werbeflächen, Vermarktungsrechte sowie Event- und Bewirtungs-Angebote im Stadion und auf dem Vereinsgelände der Borussia. Bereits am Donnerstag vor dem Champions-League-Finale tauchte der gemeinsame Slogan „Taking Responsibility“ („Verantwortung übernehmen“) auf den Werbebanden des BVB-Trainingsplatzes auf.
Der BVB ist börsennotiert und kann Erlöse von insgesamt rund 20 Mio. Euro nicht einfach liegen lassen. In der Begründung versuchte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke aber ebenfalls, den Deal politisch zu überhöhen. In der offiziellen Mitteilung bezeichnete er Sicherheit und Verteidigung als „elementare Eckpfeiler unserer Demokratie“, die man gerade heute schützen müsse. „Mit dieser neuen Normalität sollten wir uns auseinandersetzen.“ Der BVB öffne sich „ganz bewusst für einen Diskurs“.
Die eigene Fan- und Förderabteilung soll allerdings bereits vor Bekanntgabe der Zusammenarbeit „Zweifel an einer Vereinbarkeit mit den Werten von Borussia Dortmund zum Ausdruck gebracht“ haben. Auch die Evangelische Kirche kritisierte die Partnerschaft scharf. „Werbung für Waffenfirmen hat in Stadien nichts zu suchen“, teilte der Sportbeauftragte Thorsten Latzel mit. Gerade bei internationalen Turnieren gehe es um „friedliche Völkerverständigung“. Die Ukraine zu unterstützen und die europäische Verteidigungsfähigkeit zu stärken, sei etwas anderes als Kriege und Waffen zu „normalisieren“.
Rheinmetall will Wahrnehmung als „attraktiver Arbeitgeber“ stärken
Wie ein Rheinmetall-Sprecher gegenüber Capital erklärte, verfolge das Unternehmen mit seinem Sponsoring vor allem zwei Ziele: zum einen die Marke im In- und Ausland bekannter zu machen und zum anderen „stärker als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden“. „Auch wenn das Thema Sicherheit und Verteidigung heute schon eine breitere Akzeptanz erfährt als früher, sind wir natürlich in einem harten Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte, auch international“, sagt der Sprecher.
Offensichtlich hat Rheinmetall einen hohen Personalbedarf, 2023 lag der Auftragsbestand 44 Prozent über dem Vorjahr. Aber eigentlich braucht die Rüstungsindustrie nun andere Mitarbeitende als sie bisher angezogen hat: vor allem weibliche und jüngere Fachkräfte, die wohl eher die Minderheit des Fußball-Publikums ausmachen. Die große Plattform, die der BVB Rheinmetall nun bietet, dürfte daher auch ein Zeichen nach innen senden, unter dem Motto „Wir sind wieder wer“. Bis 2022 wurde die Rüstungsindustrie in Deutschland zumindest öffentlich gemieden, von der Politik und anderen gesellschaftlichen Akteuren.
Früher als Rheinmetall hat sich schon der Rüstungszulieferer Renk aus Augsburg in der Bundesliga engagiert. Seit Ende der Saison 2022/23 ist Renk Partner des FC Augsburg. Als Ziele nannten die Beteiligten vor Beginn der abgelaufenen Saison ebenfalls Personalgewinnung sowie die Steigerung von „Bekanntheit und Wahrnehmung als Arbeitgebermarke“.
Muss auch die Finanzbranche sich öffnen?
Wie die Debatte nun zeigt, sehen viele Fans das immer noch anders. An den Finanzmärkten hat die Rüstungsindustrie aber enorm an Bedeutung gewonnen, wie die Aktienkurse von Rheinmetall und Co. zeigen. Vor dem Ukrainekrieg kostete eine Aktie von Rheinmetall weniger als 100 Euro, mittlerweile ist es mehr als fünfmal so viel. Dabei schließen viele sogenannte nachhaltige ESG-Fonds Rüstungsunternehmen weiterhin grundsätzlich aus.
Wirtschaftsethiker Heumann findet das nachvollziehbar. Auch wenn sich die politische Lage geändert hat und Sponsorings wie das von Rheinmetall beim BVB Rüstung mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken, müssen Investoren nicht ihre Einstellung ändern. „Nur aufgrund eines aktuellen Trends, sollte man Rüstung nicht plötzlich für eine tolle Sache halten“, sagt er. „Man kann sich für die Diskussion öffnen und auch begründet zu einem anderen Ergebnis kommen. Aber erstmal ändert die politische und mediale Debatte gar nichts.“
Ob der Trubel die sportliche Leistung der Mannschaft belastet, wird sich am Samstag im Champions-League-Finale gegen Real Madrid zeigen, ebenso ob die Fans bei diesem Anlass ihren Widerstand bekunden werden. Die nächste Gelegenheit wäre sonst erst zu Beginn der neuen Bundesliga-Saison und bis dahin, das dürfte jedenfalls der BVB hoffen, könnten sich die Gemüter vielleicht wieder etwas abgekühlt haben.