Der Sylt-Skandal hat gezeigt: rechtsextreme Parolen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, ob vermeintlich ironisch oder nicht. Auf Streaming-Portalen wie Spotify versuchen Künstler von rechtsaußen diese Stimmung zu nutzen – und die Plattform reagiert nicht.
Der Ohrwurm verfolgt wohl viele Menschen wie ein Schatten. Seitdem die Bilder der Partygäste auf Sylt durch die Medien wanderten, die die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ auf die Melodie von „L’amour toujours“ des DJs Gigi D’Agostino grölten, gibt es kaum ein Entkommen vor dem Song. Auf Social Media teilen noch heute, fast zwei Wochen nach dem Skandal, Hunderte User jeden Tag Videos mit der eingängigen Melodie. Mal aus reiner Provokation, mal als „Scherz“ oder ironischer Tabubruch, mal aus voller Überzeugung des rechten Gedankenguts.
Die Empörungswelle über die vermeintlich reichen Party-Gäste in Kampen schwappte über ganz Deutschland. Und einige Akteure aus der rechtsextremen Szene stehen schon mit ihrem Trittbrett parat.
Wer dieser Tage nach „Gigi D’Agostino“ sucht, landet schnell bei rechtsextremer Musik
Wer dieser Tage bei Spotify nach „Gigi D’Agostino“ sucht, nach „Deutschland“ oder auch nur nach „Auslä“ bekommt die hässliche Fratze der immer weiter lernenden Algorithmen zu Gesicht. In einer Reihe mit dem Partytrack von Anfang der 2000er-Jahre stehen jetzt Rechtsrock-Bands, Playlist mit Eisernem Kreuz als Cover und Titeln wie „Deutschland erwache“ (eine in Deutschland verbotene Losung aus dem sogenannten „Sturmlied“) oder „Scheiß Türken“. Wer derzeit bei Spotify nach „Gigi“ sucht, landet schnell bei einschlägigen Playlists
© Screenshot Spotify
Teilweise existieren diese Playlists offenbar schon länger, einige sind aber wohl erst seit dem Sylt-Skandal entstanden oder dementsprechend aktualisiert worden. „L’amour toujours“ ist auf vielen eines der ersten Tracks. Gemeinsam mit Künstlern, die dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden können, wie etwa Sleipnir, Ahnenblut oder der Rap-Kombo „NDS“ (Neuer Deutscher Standard), die eng mit der Identitären Bewegung (IB) verwoben ist. Wiesn Interview 12.33
Zufällig sind diese geschaffenen Verbindungen wohl nicht. Auf der Suche nach ähnlichen Songs wie dem von Gigi D’Agostino stoßen Hörer also binnen weniger Klicks auf rechtsextreme Künstler, menschenfeindliche Parolen und Texte. Aber warum reagiert Spotify nicht auf diese Situation? Warum sind noch immer Playlists mit menschenfeindlichen Titeln und rechtsextremen Künstlern auf der Streaming-Plattform aufrufbar?
Spotify verweist schmallippig auf die „Plattformregeln“
Auf Anfrage des stern zu genau diesen und anderen Fragen reagierte das Unternehmen kurz angebunden: „Wie in unseren Plattformregeln festgelegt, gehen wir gegen Inhalte vor, die explizit zu Gewalt oder Hass gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen aufgrund ihrer Religion oder Nationalität aufrufen. Im Jahr 2024 haben wir bereits Tausende von Inhalten entfernt, die gegen unsere Hass-Richtlinien verstoßen.“
Doch diese Richtlinien scheinen offenbar nicht zu gelten, wenn Bands die NS-Zeit verherrlichen oder Nutzer Playlists mit diskriminierenden Titeln anlegen, die genau auf die Menschen abzielen, die durch Vorfälle wie dem Sylt-Video vielleicht ohnehin verunsichert sind und ziehen sie tiefer in einen Sumpf aus brauner Musik.
Für Thorsten Hindrichs, Experte für Rechtsrock und Musikwissenschaftler an der Universität Mainz keine Überraschung. Gegenüber dem „Spiegel“ erklärte er: „Spotify hat kein Interesse, sich seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung zu stellen.“ Zwar sei der Streaming-Anbieter juristisch im Recht, weil rechtsextreme Musiker seit Jahren schlau genug seien, um ihre Texte so zu formulieren, dass sie juristisch nicht angreifbar seien, so Hindrichs. „Trotzdem sind es noch immer extrem rechte Texte.“Meinung Sylt Liedverbot 09.12
Doch das dauerhafte Löschen der Inhalte würde vermutlich zu viel kosten. Spotify würde sich, zumindest in einem kleinen Ausmaß, seines eigenen Geschäftsmodells berauben, indem es auf die Klicks dieser Bands verzichtet. Aus unternehmerischer Sicht sicherlich nachvollziehbar, aus gesellschaftlicher eher nicht.