Geschlechtsangleichung: Immer mehr Transgender-Operationen

Wie wird aus einem männlichen Körper ein weiblicher und umgekehrt? Die Chirurgie macht inzwischen vieles möglich. Die Nachfrage steigt rapide – trotz der Risiken. Denn der Leidensdruck ist oft groß.

Geboren im falschen Körper – immer mehr Menschen entscheiden sich für eine geschlechtsangleichende Operation. Mit Inkrafttreten des neuen Selbstbestimmungsgesetzes im Herbst erwarten Zentren, die solche Eingriffe durchführen, dass die Nachfrage weiter steigt. Was steckt hinter dieser Entwicklung – und wie funktioniert das medizinisch?

Nur etwa eine Handvoll Kliniken bundesweit sind in der Lage, alle Operationsschritte, die dafür nötig sind, durchzuführen. Eines davon ist das Agaplesion Markus-Krankenhaus in Frankfurt, das einzige Zentrum dieser Art in Hessen. Prof. Ulrich Rieger, Chefarzt der Plastischen Chirurgie, und Dr. Saskia Morgenstern, Sektionsleiterin für rekonstruktive Urologie, führen seit Jahren die gesamte Bandbreite der Transgender-Operationen durch. 

Am Universitätsklinikum Frankfurt hat der Endokrinologe Prof. Jörg Bojunga die Arbeitsgemeinschaft Transgendermedizin ins Leben gerufen. Sie alle berichten über einen hohen Leidensdruck bei Betroffenen. Die Vorstellung, dass es eine Modeerscheinung ist, das Geschlecht zu wechseln, hält Bojunga für abwegig: „Niemand macht das, weil er eine Fernsehsendung gesehen hat.“ 

Anstieg bei den Zahlen

Laut Statistischem Bundesamt gab es 2021 bundesweit 2.598 Operationen zur Genitalumwandlung. 2007 waren es erst 419. Die Zahl steigt von Jahr zu Jahr deutlich. 

„Ja, es gibt eine Steigerung, aber sie ist nicht explosionsartig“, stellt Morgenstern klar. Zumal jeder Eingriff einzeln gezählt werde, auch wenn eine Person mehrfach betroffen sei. Ein und derselbe Transmann könne in die Statistik zum Beispiel mit sieben „Frau-zu-Mann“-Operationen eingehen.

„Nicht alle Transgenderpersonen wollen solche umfassenden Operationen“, sagt Rieger. Bei nicht wenigen bleibe es bei einem einzigen vergleichsweise kleinen Eingriff etwa an der Brust. Bojungas Erfahrung zeigt, dass bei vielen eine Hormontherapie ausreicht, um die Lebensqualität zu steigern. 

Oft angefeindet

Der Kampf um Anerkennung fängt an mit dem Kampf um die Begriffe: Der medizinisch korrekte Begriff lautet „Geschlechtsinkongruenz“ – der Zustand, dass die empfundene Geschlechtsidentität nicht mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Von „Geschlechtsdysphorie“ spricht man, wenn dadurch Leid ausgelöst wird. 

Bojungas erster Kontakt mit einer Transperson liegt rund 20 Jahre zurück. „Vor mir stand ein Mann, Mitte 50, der lebenslang Gewalt ausgesetzt war und völlig verzweifelt. Er sagte: Entweder ich finde Hilfe oder ich bringe mich um.“ 

Welchen Anfeindungen die Menschen ausgesetzt sind, zeigte Anfang des Jahres ein Vorfall in der Uniklinik. In der Toilette der Ambulanz hatte jemand einen Schriftzug mit menschenverachtenden Schmähungen und Gewaltandrohung gegen trans- und queere Menschen hinterlassen. Bojunga berichtet aus seinen Gesprächen, dass die Anfeindungen zugenommen haben, dass die Hemmschwelle in den sozialen Medien sinkt.

Langer Weg

Wie im Markus-Krankenhaus niemand an der Tür klingeln kann und spontan operiert wird, bekommt auch in der Uniklinik niemand beim ersten Termin ein Rezept für eine Hormonbehandlung. Neben Endokrinologen müssen zuvor auch Psychologen zustimmen, dass eine solche Therapie nötig ist. 

Manchmal bleibt es bei der lebenslangen Einnahme von Hormonen. Sie hemmen oder fördern das Wachstum der Brust, heben oder senken die Stimme, regen den Bartwuchs an oder verhindern ihn. Manchmal ist die Hormontherapie aber nur der erste Schritt auf einem Weg, der viel weiter geht. 

Häufigste Operation betrifft die Brust

Die mit Abstand häufigste Operation bei beiden Geschlechtern betrifft die Brust. Viele Transmänner lassen sich die Brüste operativ entfernen, viele Transfrauen lassen sie sich mit Implantaten aufbauen. „Ganz häufig bleibt es bei diesem einzigen Eingriff“, sagt Rieger. Den meisten Transpersonen gehe es vor allem darum, wie sie für andere, fremde Menschen nach außen hin wirken.

Einer Studie zufolge hatten von 6.800 Transmenschen 65 Prozent eine Hormontherapie. Unter diesen wiederum entschieden sich 75 Prozent der Transfrauen und 84 Prozent der Transmänner für mindestens eine Operation.

Wie wird aus einem Mann eine Frau?

Entscheidet sich eine Person, die mit dem Körper eines Mannes auf die Welt kam, auch für eine Operation zur Genitalangleichung, geht das – vereinfacht ausgedrückt – in etwa so: Die Hoden werden entfernt. Aus dem Hodensack werden die Schamlippen geformt. Im Bauchraum wird eine Höhle geschaffen. Der Penis wird ausgehöhlt. Die Penishaut wird nach innen gestülpt – das wird die Vulva. Aus der Eichel wird die Klitoris gebildet. 

Ein Großteil der Nerven bleibt dabei erhalten, wie Morgenstern erklärt. Eine Studie aus Kanada ergab 2017, dass über 80 Prozent der befragten Transfrauen einen Höhepunkt erleben konnten. 

Das hat allerdings seinen Preis: Nach der Entlassung muss die „Neovagina“ lebenslang mehrmals am Tag mit einem Gerät gedehnt werden, damit sie nicht wieder zuwächst.

Und umgekehrt?

Soll körperlich aus einer Frau ein Mann werden, ist die Operation deutlich aufwendiger. Der Haupteingriff dauert rund acht Stunden, davor und danach sind diverse weitere Operationen nötig, wie Rieger erklärt. 

Um einen Penis neu zu konstruieren – im Fachjargon heißt das Phalloplastik – entnehmen die Ärzte Haut vom Unterarm und Gewebe aus dem Oberschenkel des Patienten. Eine Erektion ist auf natürlichem Wege nicht möglich, dafür muss ein Implantat eingesetzt werden, das der Transmann vor dem Geschlechtsverkehr aufpumpt. 

Komplikationen 

Das Penisimplantat ist ein Fremdkörper und wird vom Körper unterschiedlich gut angenommen, wie Morgenstern erklärt. Auch bei gutem Erfolg sei ein Austausch nach einigen Jahren unausweichlich. Problematisch ist auch, dass die Harnröhre verlängert werden muss. Dafür werden unter anderem eingerollte Schamlippen verwendet. Die Übergänge sind ein Risikogebiet für Komplikationen. Vergleichsweise unproblematisch sind Implantate für die neuen Hoden. 

Optisch sei der neue Penis weit vom perfekten Ebenbild eines natürlichen entfernt, sagt der Operateur, auch wenn ein Jahr nach der Primäroperation die Eichel ausgeformt werde, um den Neopenis natürlicher erscheinen zu lassen. Bis zu 20 Nachuntersuchungen stehen dem Patienten dann noch bevor. Fast alle der so operierten Transmänner seien orgasmusfähig. 

Muss das sein?

Ob die Operation im Einzelfall nötig, sinnvoll, gerechtfertigt ist? „Ich bin froh, dass ich das nicht entscheiden muss“, sagt Rieger. Bevor die Patienten zu ihm und Morgenstern kommen, müssen sie psychologische und psychiatrische Gutachten vorlegen, mindestens ein halbes Jahr Hormontherapie hinter sich haben, die Kostenübernahme durch die Krankenkasse sicherstellen. Eine Operationsreihe mit sechs Eingriffen kostet laut Rieger mehrere Zehntausend Euro.

Dass Menschen, die am Markus-Krankenhaus geschlechtsangleichend operiert wurden, den Eingriff hinterher bereuen, sei „extrem selten“, sagt Morgenstern. „Selbst wenn es viele Komplikationen gab, ist die Zufriedenheit danach sehr hoch – weil es für die Menschen einen so großen Unterschied macht.“ 

Einer Metaanalyse, in der 27 Studien mit Daten von insgesamt 7.928 Transgender-Patientinnen und -Patienten untersucht wurden, ergab, dass nur ein Prozent die geschlechtsangleichende Operation bedauerten. „Die Patienten wissen ganz genau, was auf sie zukommt“, sagt auch Rieger. „Und sie sind bereit, sich auf diesen Weg einzulassen.“ 

Wunsch kommt immer früher

Was sich mit der Zunahme der Fälle verändert hat, ist das Klientel: „Die Patienten werden immer jünger“, sagt Bojunga. Was für Kritiker wie eine negative Entwicklung klingt, ist in Wahrheit eine positive, findet der Arzt: „Sie haben eine kürzere Leidensgeschichte.“

Eine weitere Entwicklung: Früher suchten mehr Transfrauen die Ambulanz auf – also biologische Männer mit weiblicher Identität -, heute kommen mehr Frauen, die als Männer leben wollen. 

Ein „ungelöstes Problem“ ist für ihn die Frage, wie man mit sehr jungen Betroffenen umgeht. Sogenannte Pubertätsblocker, die die Entwicklung zu Mann oder Frau hinauszögern, sind umstritten. Ein Kritikpunkt ist, dass man damit für einen sehr jungen Menschen schon auf eine Art Vorentscheidung trifft. 

Leitlinien in Arbeit

Während es für Diagnostik, Beratung und Behandlung bereits seit 2018 eine medizinische Leitlinie gibt, gibt es in der Chirurgie größere Unterschiede zwischen den einzelnen Fachzentren. Nun ist aber auch eine Leitlinie für geschlechtsangleichende chirurgische Maßnahmen in Arbeit. 

Die neue Arbeitsgemeinschaft Tansgendermedizin will Richtlinien für den Prozess der Geschlechtsangleichung entwickeln und Forschungsvorhaben koordinieren. Denn die Zahl wissenschaftlicher Studien hält sich bisher in Grenzen. Da das ganze Thema relativ neu ist, fehlen vor allem Langzeitdaten, wie Bojunga sagt – etwa, wie sich die jahrzehntelange Einnahme von Hormonen auswirkt und wieso Transfrauen eine höhere Suizidrate haben. 

Selbstbestimmungsgesetz

Im November soll ein neues „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“ in Kraft treten, das im April 2024 vom Bundestag verabschiedet wurde. Es ersetzt das Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1981, das das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen für verfassungswidrig erklärt hatte.

Mit dem neuen Gesetz soll es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtert werden, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen ändern zu lassen. Das Gesetz wird aber „keine Regelungen zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen treffen“, wie das Bundesgesundheitsministerium betont.