Fast jede dritte Pflanzenart in Deutschland droht zu verschwinden. Forscher haben für viele von ihnen ein neues Refugium entdeckt: private Gärten.
Sommer-Adonisröschen, Färber-Scharte, Ohrlöffel-Leimkraut: Das sind nur drei von mehr als 1000 Arten, die auf der Roten Liste stehen. 28 Prozent von Deutschlands Blütenpflanzen sind entweder bereits ausgestorben oder in ihrem Bestand mehr oder weniger stark gefährdet, schreibt das Rote-Liste-Zentrum in Bonn. Hauptursache für den Niedergang der Artenvielfalt ist die intensive Landwirtschaft mit ihren großen Mengen an Dünger, die Landwirte einsetzen, um hohe Erträge zu erzielen. Daran wird sich vermutlich auch in naher Zukunft kaum etwas ändern. Bis auf Naturschutz- und Brachflächen werden es langsam wachsende Pflanzen, die magere Standorte bevorzugen, schwer haben, auf Dauer zu überleben.
Ein zukünftiges Refugium für sie könnten Deutschlands Gärten sein. Denn viele der bedrohten Arten ließen sich auch von Privatleuten in heimischen Beeten kultivieren, haben Forscher der Universität Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung iDiv herausgefunden. Je nach Bundesland reicht die Quote von 29 Prozent (Bayern) bis 53 Prozent (Hamburg). Mehr als die Hälfte der bedrohten Arten sind derzeit schon im Handel erhältlich – als Saatgut oder kleine Pflänzchen, besagt die Studie, die als Scientific Report in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde. Gewöhnliche Pechnelke (lila) und Nickendes Leimkraut (weiß) haben in einem Garten eine neue Heimat gefunden. Beide Spezies stehen auf den Vorwarnliste für bedrohte Arten
© Christian Wirth
Für jedes der 16 Bundesländer haben die Wissenschaftler Listen erstellt, welche Pflanzen für das sogenannte Conservation Gardening geeignet sind. Neben den lateinischen und deutschen Namen finden sich darin auch Informationen zum geeigneten Standort (von schattig bis sonnig), zur Bodenbeschaffenheit (trocken bis feucht) sowie zur Farbe der Blüten und, ob diese Schmetterlinge oder Bienen besonders stark anziehen. Für den Endnutzer seien die übers Internet abrufbaren Listen noch etwas umständlich, gibt Ingmar Staud, Botaniker von der Universität Leipzig und Leiter der Studie, zu. Er hofft, dass sich jemand findet, der auf Basis der Daten eine praktische App entwickelt. Nachhaltigkeitswoche 2024 Kasten
Artenschutz: jeden Tag zehn Anfragen per Mail
Das Interesse der Gärtner sei jedenfalls groß, sagt Staud: „Jeden Tag bekomme ich durchschnittlich zehn Mails mit Nachfragen.“ Mit einem entsprechenden Label versehen könnten sich solche „Retterarten“ durchaus zum Verkaufsschlager entwickeln. Hinweise wie „insektenfreundlich“ oder „Bienenweide“ sind mittlerweile für Hobbygärtner ein gewichtiges Kaufargument. Allerdings stammen viele der derzeit in Bau- und Gartenmärkten angebotenen Stauden und Gehölze aus genetisch identischen Klonen. „Das ist im Sinne des Artenschutzes nicht ideal“, sagt der Botaniker, eine große genetische Vielfalt für die zu rettenden Spezies wäre besser.
Eine Studie des Bundesamts für Naturschutz zeigt, dass zwei Drittel der Deutschen den Schutz der biologischen Vielfalt für eine vorrangige gesellschaftliche Aufgabe halten. Wie das Rettungsprogramm tatsächlich im Alltag funktioniert und worauf die Hobby- oder Profigärtner bei der Pflege ihrer Pflanzen besonders achten müssten, sollen weitere Studien in Schrebergärten und an der Universität Leipzig zeigen, sagt Staud. Letztendlich könnten private Gärten und städtische Grünflächen einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten, aber eines werden sie trotzdem nicht schaffen: „Alle gefährdeten Arten werden wir so nicht retten können.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde erstmals im September 2023 veröffentlicht, im Rahmen der Nachhaltigkeiteswoche von RTL Deutschland bieten wir ihn erneut an.