76 Fledermaus-Arten bevölkern die kleine Insel Barro Colorado im Panamakanal. Der Fotograf Christian Ziegler beobachtet seit Langem, wie dort so viele Spezies nebeneinander existieren können.
Lange hat der Fotograf auf einem Anleger am Wasser gewartet, Nacht um Nacht, oft eingehüllt in Wolken von Moskitos. Alles für das perfekte Bild von einem tagscheuen Jäger. „Ich hatte nur eine halbe Stunde jeder Nacht, weil ich das Dämmerlicht der blauen Stunde nutzen wollte“, sagt Christian Ziegler. „Die Fledermaus musste genau parallel zum Steg fliegen, auf dem ich stand und meine Kamera und den Stroboskopblitz aufgebaut hatte. Zwei Lichter waren auf Booten platziert, um den Hintergrund auszuleuchten.“ Doch das Große Hasenmaul ließ sich lange bitten.Nachhaltigkeitswoche 2024 Kasten
Benannt nach seiner gespaltenen Oberlippe, ist es mit bis zu 70 Zentimetern Spannweite eine der größten tropischen Fledermäuse. In den stillen Buchten von Barro Colorado Island hat es sein Revier. Die künstlich erschaffene Insel ist erst rund 100 Jahre alt. Sie verdankt ihre Existenz dem Bau des Panamakanals und liegt im Lago Gatún, dem großen See, der den nordwestlichen Teil des Kanals umgibt. Ab 1907 entstand dieser See wiederum durch das Aufstauen des Río Chagres: Barro Colorado Island ist tatsächlich die einsame Spitze eines fast ganz im See versunkenen Berges.
Diese Isolation erwies sich als Glücksfall für die Biologie: Das nur 15 Quadratkilometer große Eiland dürfte heute das am besten erforschte Stück Regenwald der Welt sein. „BCI“, wie Naturwissenschaftler die Insel gern nennen, wird verwaltet von der Smithsonian Institution, einem großen US-Forschungsverbund für Naturkunde und Geschichtsforschung. BCI beherbergt seit Jahrzehnten eine Station des Smithsonian Tropical Research Institute. Auch Christian Ziegler forschte hier lange. Der bekannte Naturfotograf ist nämlich zugleich Tropenökologe, er arbeitet in Konstanz am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.
Es gibt Froschjäger, Eidechsenliebhaber und Heuschreckenfresser
Viele Nächte fotografierte er auf Barro Colorado Island an der Seite von Elisabeth „Eli“ Kalko, vormals Professorin an der Universität Ulm und eine der profiliertesten Expertinnen für tropische Fledermäuse. Schon vor mehr als 20 Jahren hatten Kalko und Ziegler die Idee zu einem großen Bildband über die Fledermäuse von BCI. Doch es kam anders. 2011 verstarb Kalko überraschend auf einer Forschungsreise zum Kilimandscharo in Tansania. „Dank Eli wissen wir heute so viel mehr über Fledermäuse, wie sie fressen, wie sie ihr Echolot nutzen, um unterschiedliche Beute zu jagen. Es hat dann viele Jahre gedauert, aber jetzt ist das Buch (Bat Island. A Rare Journey into the Hidden World of Tropical Bats, Insight Editions, 160 Seiten, 49,99 Euro) endlich fertig“, sagt Ziegler.
Mit knapp 1500 Arten sind Fledermäuse eine der größten Tiergruppen der Welt. Jede fünfte Säugetierart ist eine Fledermaus. Ihren Erfolg verdanken die scheuen Nachtflieger einem besonders breiten Spektrum an Jagd- undÜberlebensstrategien. Daher können selbst auf der nur 15 Quadratkilometer großen Barro Colorado Island 76 Fledermausarten problemlos nebeneinander existieren, indem jede sich bietende ökologische Nische besetzt wird, jegliche Nahrung fliegende Abnehmer findet.
PAID Porträt Luciana Gatti 15.14
So haben sich fruchtfressende Fledermäuse auf ganz bestimmte Baumarten spezialisiert, einige bevorzugen Grüne Feigen, andere (mit schmalerem Maul) kleinere Beeren. Es gibt Fisch- undFroschjäger, Eidechsenliebhaber, Heuschreckenfresser, und manche jagen auch andere Fledermäuse. Pollen- und Nektarschlürfer rüsseln mit langen Zungen in Blüten, die sich nur nachts öffnen, um von den Fledermäusen bestäubt zu werden.
Jede ökologische Nische wird besetzt
Und selbst innerhalb der artenreichsten Fledermausgruppe – den Insektenfressern also – kommt man einander kaum ins Gehege: „Die Tiere jagen an gänzlich verschiedenen Orten“, sagt Christian Ziegler. „Manche schnappen über den Baumkronen Insekten aus dem freien Luftraum, andere sammeln Käfer von Blättern oder vom Boden. Die einen suchen nach Libellen, andere nach Raupen. Einige Fledermäuse hängen im Baum und lauern auf Insekten, andere jagen aktiv mithilfe ihres Echo-lots – und unterscheiden dabei sogar die Bewegungsmuster verschiedener Beutetiere.“
Das Große Hasenmaul, dem Ziegler wochenlang auflauerte, hat gleich zwei Jagdtechniken entwickelt. Hasenmäuler haben es auf Fische abgesehen. Sie orten mit ihrem Sonar kleinste Spritzer oder Wellen an der Wasseroberfläche und stoßen dann gezielt auf die Bewegung zu. Oder sie durchkämmen mit ihren langen Krallen wie mit einem Rechen die oberen Wasserschichten und packen blitzschnell zu, wenn sie eine Beute erfühlen.
Nach mehreren Wochen flog dann endlich eins dieser Tiere in Zieglers Kamerafalle. Vor dem blauen Nachthimmel leuchtete das orangefarbene Fell des Großen Hasenmauls besonders grell. Als Babys sind die Tiere dunkelbraun, bleichen aber im Laufe ihres Lebens aus – weil sie extrem gesellig sind: Tagsüber schlafen sie als Großfamilie eng zusammengekuschelt in hohlen Bäumen. Und pinkeln vor sich hin. Der Ammoniak im Urin bleicht ihr Fell allmählich aus. Wer am hellsten leuchtet, hatte es zu Hause dann wohl besonders gemütlich.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmal im Februar 2024. Im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche von RTL Deutschland veröffentlichen wir ihn erneut.