K-Frage in der Union: Die Unterwerfung: Als Söder Merz seine Kehle anbietet

Bei einem gemeinsamen Auftritt in Berlin verkünden CDU-Chef Friedrich Merz und der CSU-Vorsitzende Markus Söder, wer die Union in die Bundestagswahl führt. Es ist ein aufschlussreicher Moment.  

Der berühmte Tierforscher Konrad Lorenz hat einmal bei kämpfenden Wölfen ein interessantes Phänomen beobachtet. Wenn ein Tier seine drohende Niederlage erkennt, stellt es die Kampfhandlungen ein und zeigt dem Gegner seine Kehle. „Ich bin schutzlos, du könntest zubeißen“, soll das signalisieren. Es ist eine Demutsgeste, ein Bitte um Verschonung.

Eine solche Geste – nur in politisch – lässt sich am Dienstagmittag in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin-Mitte beobachten. Um Punkt 12 Uhr treten CDU-Chef Friedrich Merz und der CSU-Vorsitzende Markus Söder ans Mikrofon, um bekannt zu geben, wer die Union in den nächsten Bundestagswahlkampf führen soll.

Dann passiert etwas noch nie Dagewesenes. Sechs Minuten lang bietet der bayerische Löwe Merz seine Kehle an.  „Um es kurz zu machen: Die K-Frage ist entschieden. Friedrich Merz macht’s“, sagt Söder. Was folgt, sind Worte der Demut, wie man sie von Söder nicht kennt. „Fein“ sei er mit der Entscheidung, sagt er. Und „komplett einig“ mit Merz. Er, Söder, habe ein Versprechen gegeben, dass sich 2021 nicht wiederholen werde.

Analyse Merz: X Hürden ins Kanzleramt 14.05

2021, das war, als der CSU-Chef nach langem Taktieren nach der Kanzlerkandidatur greifen wollte und damit einen wochenlangen verheerenden Machtkampf auslöste. Den er am Ende verlor, aber mit ihm auch die Union bei der Bundestagswahl. Nicht wenige waren damals der Ansicht, ohne Söders Angriff hätte Armin Laschet gewonnen, trotz seines miserablen Wahlkampfes.  

„Das ist vielleicht die letzte Chance“

Diesmal soll alles anders sein. Er unterstütze Merz „ausdrücklich“, beteuert Söder. Man sei sich der Verantwortung für „die Union, das Land, aber auch die Demokratie bewusst“. Nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen spüre man, „wie ernst es ist“: „Es ist vielleicht die letzte Chance, mit der Bundestagswahl den Ampelschaden zu reparieren.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Söder öffentlich einen verlorenen Machtkampf eingestehen muss. Er tat es meist mit einem Unterton, den man durchaus auch als Warnung verstehen konnte. I will be back.

Diesmal nicht. Das Eingeständnis der Niederlage ist vollumfänglich. Schonungslos.  

Sowohl Merz als auch er hätten eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, erinnert Söder noch einmal an seine eigenen Chancen. Aber als große Schwester unter den Unionsparteien habe die CDU das Erstzugriffsrecht. Davon habe Merz Gebrauch gemacht. „Ich akzeptiere das“, sagt Söder und beeilt sich, hinzuzufügen: „Nicht zähneknirschend.“ Er schließt mit den Worten: „Wir rocken das gemeinsam.“

Dann steht er einen Moment lang da, das Gesicht müde und leer. Die Chance, der erste Bayer oder vielmehr der erste Franke im Kanzleramt zu werden, ist, zum zweiten Mal verloren. Und damit wohl für ihn für immer perdu.

So nah war Friedrich Merz seinem Traum noch nie

Auch Merz sieht aus, als habe er nicht allzu gut geschlafen. Mit leichter Aufgeregtheit hat er den Worten Söders gelauscht, gelegentlich nervös an seinen Notizen gezupft. Es ist sein Moment. So nah war er seinem großen Traum, Kanzler dieser Republik zu werden, noch nie. 

Er dankt Söder, erinnert an sein Versprechen der Geschlossenheit: „Dieses Versprechen lösen wir mit dem heutigen Tag ein.“ 

Auch Merz versucht nicht, die Spannungen mit dem CSU-Chef wegzureden. Die Zusammenarbeit sei für beide „nicht immer einfach“ gewesen, aber man habe aus gemeinsamer Verantwortung gehandelt, sagt er: „Natürlich mit Diskussionen, natürlich mit unterschiedlichen Auffassungen, aber am Ende mit einer gemeinsamen Beschlussfassung.“

Man werde den Parteivorständen von CDU und CSU für die turnusgemäßen Sitzungen am kommenden Montag den Vorschlag unterbreiten, dass er die Kandidatur übernehme. „“Ich will dem Ergebnis nicht vorgreifen“, erklärt Merz pflichtschuldig. 

Einem dankt Merz besonders

Dann dankt er den Landesverbänden der CDU, „besonders meinem eigenen“. Das ist nicht ohne Pikanterie. Denn der Chef dieses Landesverbands, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst war es gewesen, der die K-Frage entscheidend beschleunigt hatte. 

Am Montagabend hatte Wüst, der lange Zeit Gerüchte einer eigenen möglichen Kandidatur frei herumlaufen ließ, in einem Statement seinen Verzicht erklärt und sich für Merz als Kanzlerkandidat ausgesprochen. Damit hatte sich der mitgliederstärkste Landesverband der CDU hinter Merz gestellt.

STERN PAID 11_24 Friedrich Merz Titel 06.03

Merz war informiert über den Vorstoß

In der CDU erzählt man sich, die Merz-Leute seien zwar über den Vorstoß von Wüst vorab informiert gewesen, aber nicht begeistert. Weil man diesen auch als „Provokation“ gegenüber Söder verstanden habe.

Bei der CSU war man erkennbar nicht informiert. Entsprechend schmallippig verkündete CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek am Montag, es gebe „überhaupt noch keine Entscheidung“. Offenbar wollte sich Söder das Zepter nicht ganz so leicht aus der Hand nehmen lassen.

Doch da hatte er den Machtkampf bereits verloren. Isch over, wie es der verstorbene CDU-Grande Wolfgang Schäuble einmal in anderem Zusammenhang formulierte. 

Söder ähnelt dem Skorpion aus der Fabel

Retrospektiv könnte dies der Moment gewesen sein, in dem sich die nächste Kanzlerschaft entschieden hat. Wenn Merz und Söder wirklich ein Team werden, hier der gut verankerte CDU-Chef und Unionsfraktionsvorsitzende, dort der immer noch unangefochtene Herrscher des Südens, wird der Sieg der Union nur schwer zu verhindern sein. Und schon gar nicht von einem taumelnden Ampel-Chef. 

Aber es gibt da ein Problem. Söder ist kein Verlierer. Er ist keiner, der sich nach dem Kehleanbieten unterordnen kann. Sondern vielmehr wie der Skorpion in der Fabel, der sich von einem Frosch über einen Fluss bringen lässt. Mit dem Versprechen, ihn nicht zu stechen. Und ihn dann aber doch sticht.

„Warum hast du mich gestochen?“, fragt ihn der sterbende Frosch: „Jetzt gehen wir beide unter.“ „Es tut mir leid“, antwortet der Skorpion: „So ist meine Natur.“