Kunststoff galt lange als Hauptverschmutzer der Ozeane. Doch nun treibt Klimaforscher ein anderes Problem um. Auch Juristen am Internationalen Seegerichtshof haben das erkannt und mahnen zum Handeln.
Zwischen den US-Bundesstaaten Kalifornien und Hawaii dümpelt eine bunte Insel. Sie ist 1,6 Millionen Quadratmeter groß. Deutschland hätte viermal darauf Platz. Was aus der Luft an einen farbenfrohen Teppich erinnert, entpuppt sich aus der Nähe als gigantischer Müllstrudel. Mindestens fünf davon treiben weltweit über die Ozeane. Mit rund 79.000 Tonnen Kunststoff ist der pazifische Müllstrudel vor der US-Küste der größte.
Plastik galt bisher als das menschengemachte Hauptproblem von Meeren und Ozeanen. Bilder von Meerestieren, verheddert in herrenlosen Fischernetzen, Mikroplastik an Mittelmeer-Traumstränden oder Videoaufnahmen von Schildkröten, denen Strohhalme aus den Nasenlöchern gezogen werden, bilden das bunte Problem immer wieder ab. Unter anderem deshalb gibt es in der EU seit 2021 kein Einwegplastik mehr. Solche Verbote lösen das Problem der Meeresverschmutzung aber kaum. Und das liegt nicht nur daran, dass weltweit immer noch zu viel Kunststoff eingesetzt wird. Nachhaltigkeitswoche 2024 Kasten
Seit Jahrzehnten heizen sich die Meere weltweit auf, in den vergangenen Jahren noch einmal besonders rasant, wie internationale Forscher sorgenvoll beobachten. Zugleich steigt der Gehalt von Kohlenstoffdioxid. Die Werte sind mittlerweile so hoch wie seit 20 Millionen Jahren nicht mehr.
Eine neunköpfige Gruppe kleiner Inselstaaten aus dem Pazifik und dem Atlantik ist unter anderem deshalb vor den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg gezogen. Zu hohe CO2-Werte zerstören die marinen Ökosysteme und bedrohen auch Millionen Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit der Fischerei bestreiten. Betroffen sind ungefähr zehn Prozent der Weltbevölkerung. In dem nun erschienenen Gutachten befinden die Richter in Hamburg, dass die CO2-Emissionen als Verschmutzung der Meere einzustufen seien.
Zu viel CO2 versauert die Meere
Ozeane zählen zu den größten natürlichen CO2-Speichern des Planeten. Das Gas wird entweder durch Meeresströmungen in die Tiefsee transportiert und abgelagert oder nahe der Meeresoberfläche von Algen und Plankton durch Photosynthese umgewandelt. Damit haben die Ozeane den Klimawandel abgemildert – bisher.
Anders als Plastik ist Kohlenstoffdioxid ein natürlicher Bestandteil des Erdsystems und damit eigentlich kein Verschmutzer im herkömmlichen Sinn. „Aber es ist diese zusätzliche menschengemachte Menge, die man durchaus als Verschmutzung werten kann, denn sie hat überwiegend schädliche Auswirkungen, auch auf den Ozean„, schreibt Hans-Otto Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut und ehemaliger Leiter einer Arbeitsgruppe für den Bericht des Weltklimarats (IPCC), dem stern.
Schon länger warnen Forscher vor den schädlichen Folgen von zu viel CO2 für die Meere. Seit der Industrialisierung haben die Ozeane etwa ein Drittel der weltweiten Emissionen aufgenommen, das entspricht etwa 24 Millionen Tonnen pro Tag. So viel produziert Deutschland jährlich durch seine Müllverbrennung. Zu hohe Mengen an Kohlenstoff lassen die Meere versauern. Der Säuregehalt ist so seit der Industrialisierung um 28 Prozent gestiegen, hat das Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (Geomar) errechnet. Werden die Emissionen nicht reduziert, könnte sich der Wert bis zum Ende des Jahrhunderts verdoppeln, heißt es in einer Mitteilung des Geomar.Studie: Klimawandel Kälte im Ozean Artensterben 18.06
Ozeane mit niedrigeren Temperaturen sind anfälliger als wärmere Regionen. Das sei nur natürlich, sagt Pörtner: „Kalte Meere in hohen Breiten nehmen in der Regel CO2 auf, teilweise sinkt das CO2 mit dem kalten Wasser in die Tiefe. Warme Meere, zum Beispiel der Pazifik in niedrigen Breiten, wo CO2-reiches Tiefenwasser nach oben kommt, geben CO2 ab.“
Vom Kohlenstoffspeicher zum Emittenten
Mit zunehmenden Temperaturen verlieren die Meere auch ihre klimaschützende Wirkung. In einer Studie konnten US-Forscher der Duku University und der University of Santa Barbara etwa mithilfe von Computersimulationen zeigen, dass bestimmte Organismen die Photosynthese mit steigenden Temperaturen einstellen. Kohlenstoffdioxid wird dann nicht mehr umgewandelt, sondern entweder gar nicht mehr aufgenommen oder sogar abgegeben.
„Gleichzeit sind warme Meere stärker geschichtet, Nährstoffe gelangen nicht mehr so gut an die Oberfläche, die Produktivität warmer Meere nimmt ab, während sich der Sauerstoffmangel in mittleren Wasserschichten verstärkt“, erklärt Pörtner. Die Versauerung der Meere belastet zudem Kalkbildner wie Muscheln oder Korallen, deren Panzer und Skelette ebenfalls als CO2-Speicher funktionieren. Zu viel Kohlenstoff hemmt allerdings die Kalkbildung.
Aber es gibt auch Profiteure. Quallen, zeigten zuletzt Forscher des Alfred-Wegener-Instituts, könnten sich künftig wegen des Klimawandels bis in den Arktischen Ozean ausbreiten. Wissenschaftler betrachten diese sogenannte Verquallung der Ozeane mit Sorge, weil sich die Nesseltiere von Larven und Eiern ernähren und so ohnehin bedrohte Fischarten weiter unter Druck setzen. In den säuerlichen Ozeanen fühlen sich zudem giftige Algen wohl, die mit Fischsterben in Küstengewässern und Aquakulturen in Verbindung gebracht werden und die Nahrungskette in den Meeren unterbrechen – mit wirtschaftlichen Folgen auch für die Fischerei in Europa.
Staaten nicht zum Meeresschutz verpflichtet
Deutschland hat sich unter anderem im Rahmen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen und der Agenda 2030 zum Schutz der Meere verpflichtet. Naturschutzorganisationen wie der Nabu kritisieren allerdings bis heute fehlende Strategien und Aktionspläne, um etwa die Versauerung der Meere zu verhindern. Daran wird auch das Gutachten vom Internationalen Seegerichtshof nicht viel ändern. Die Juristen nehmen zwar die Hauptverursacher der Emissionen in die Pflicht, das Gutachten ist aber nicht bindend. Die verantwortlichen Staaten könnten höchstens in anderen Verfahren unter Berufung auf das Dokument zu strengeren Klimaschutzmaßnahmen verpflichtet werden.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals im Mai 2024.
Quellen: Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Umweltbundesamt, Bundesregierung, Nabu, „Association for the Sciences of Limnology and Oceanography„, „British Ecological Society„, Alfred-Wegener-Institut