Realitycheck: Die echte Emily in Paris: „Für Mittagspausen habe ich keine Zeit!“

Die Netflix-Serie „Emily in Paris“ vermittelt eine glamouröse Vorstellung von der Pariser Modeszene. Maike Vranken verrät, wie es wirklich ist in der französischen Luxus-PR zu arbeiten.

Drei junge Frauen kauern im Neonröhrenlicht auf dem Boden und bearbeiten den Sitzplan für eine Modenschau, im Hintergrund sind gut gefüllte Kleiderstangen und Lagerhallenregale voller Krimskrams zu sehen. „Eine Politik für sich“, schreibt Maike Vranken, globale PR-Chefin des Haute-Couture-Hauses Giambattista Valli, über die Sitzplatz-Strategie bei einer Pariser Modenschau. Das Foto, das sie per Mail schickt, soll zeigen, dass es hinter den Kulissen bei den Vorbereitungen für den Höhepunkt des Pariser Modejahrs lange nicht so glamourös zugeht wie auf der großen Laufstegbühne. 

Oder wie in der Netflix-Serie „Emily in Paris„: Wie Emily (gespielt von Lily Collins) ist auch Maike Anfang 30 und nach Paris ausgewandert, um dort Karriere in der Luxusbranche zu machen. Nur ganz so romantisch und stressfrei wie Emilys Leben ist ein echter Job dort nicht. Ein Reality-Check. 

In der Serie fängt Emily Cooper um 11 Uhr an zu arbeiten, macht ewig Sancerre-Mittagspausen, postet nachmittags ein paar Instagram-Stories, dann ist es auch schon wieder Zeit, um sich für ein glamouröses Abend-Event zu stylen. Wie sieht ein echter Arbeitstag in der Pariser Modewelt im Vergleich aus? 
Maike Vranken: Für Mittagspausen habe ich schon mal so gut wie nie Zeit! (lacht) Ich arbeite von 10 bis 19 Uhr, während der Fashion Weeks natürlich auch länger. Und ich habe auch keine Zeit, mich vor Abendevents zu Hause groß umzustylen, ich zieh‘ mich öfter mal im Taxi um oder glätte mir die Haare noch schnell vorm Laptop.

Also, mein Arbeitsalltag ist doch deutlich stressiger und chaotischer als der von Emily. Wenn sich Praktikantinnen bei mir bewerben, sage ich immer direkt: Bitte erwarte nicht, dass dieser Job irgendwas mit „Emily in Paris“ zu tun hat – du wirst jedoch viel lernen! Hier sind der Steamer und das Klebeband! 

Emily in Paris II 06.16

Über welche Szenen aus der Serie haben Sie schon mal die Augen verdreht, weil sie so wenig mit der Realität zu tun haben? 
Zum Einen ist es bei uns im Büro nie so ordentlich und durchgestylt wie in der Agentur, in der Emily arbeitet. PR in der Mode zu machen, bedeutet, sehr praktisch zu arbeiten; wir koordinieren viele Fotoshootings, das heißt, es werden ständig Kleider verpackt und verschickt. Gerade in den Wochen vor großen Modenschauen herrscht einfach Chaos.

Ein weiterer Punkt, der mich sehr verwundert: Emily arbeitet fast ausschließlich mit Franzosen zusammen. Das ist ungewöhnlich für die Luxusbranche, die doch sehr international aufgestellt ist. Einer der Gründe, für den ich meinen Job liebe!

Über ihre Outfits mache sie sich im Arbeitsalltag nur selten Gedanken, sagt Maike Vranken. Sie trage viel Schwarz, um bewusst und professionell im Hintergrund zu bleiben.
© privat

Serienheldin Emily wird in Paris bald selbst zum Social-Media-Star, ist häufig in Werbekampagnen der Agenturkunden involviert, für die sie Marketingstrategien entwickeln soll. Muss man selbst zur Influencerin werden, um in dieser Branche erfolgreich zu sein? 
Um Gottes Willen, nein! Im Gegenteil: Als PR-Profi ist es meine Aufgabe, im Hintergrund die Strippen zu ziehen. Personal Branding und Networking sind natürlich wichtig in der PR, ich nutze Social Media daher nur, um mich innerhalb der Branche zu vernetzen, aber nicht, um mich selbst in Szene zu setzen. Ich bin nicht der Star, mein Arbeitgeber beziehungsweise die Kollektion ist der Star. Über meine Outfits bei der Arbeit mache ich mir nur Gedanken, wenn wichtige Termine anstehen, zum Beispiel Fittings mit Prominenten. Bei Modenschauen der Maison trage ich Schwarz, um bewusst und professionell im Hintergrund zu bleiben.

Was muss man über das Leben in Paris wissen, bevor man so blauäugig wie Emily Cooper auswandert und ein aufregendes Leben in einem hübschen Apartment mit lauter Designerklamotten erwartet? 
Paris ist vielleicht die Hauptstadt der Mode und des Luxus, aber viele Jobs in der Branche werden nicht gerade üppig bezahlt. Das heißt, eine Wohnung zu finden, die den Instagram-Vorstellungen entspricht, dürfte schwierig werden. Paris kann manchmal sehr hart sein.

Und: Ohne Französisch-Kenntnisse geht wirklich gar nichts. Zumindest nicht, wenn man sich wirklich in die Pariser Gesellschaft integrieren und Freunde finden will. Man kommt mit Englisch zurecht, aber so richtig akzeptiert wird man erst, wenn man perfekt Französisch spricht. Das gilt übrigens auch für das Dating-Leben. Aber das ist noch mal ein ganz anderes Thema. STERN PAID 34_24 Emily in Paris 09:01

Inwiefern? 
Wie bei Emily die Typen Schlange stehen, ist sehr unrealistisch für Paris – hier daten alle immer mehrere Leute gleichzeitig, kaum jemand will sich festlegen! Naja, wie in wahrscheinlich allen Großstädten.

An welchen Klischees über die Pariser Modeszene ist aus Ihrer Sicht etwas Wahres dran? 
Es arbeitet schon das ein oder andere „Nepo-Baby“ in der Branche. Also Leute, die familiär so gut vernetzt sind, dass sie an Posten gelangen, für die sie nicht immer qualifiziert sind. Töchter von soundso, die nicht mal auf ein Gehalt angewiesen sind. Das nervt und hat mich früher oft eingeschüchtert. Inzwischen verleiht mir die Gewissheit Selbstvertrauen, dass ich mir meine Karriere selbst erarbeitet habe, auch ohne Pariser Society-Background. Ich komme aus Oldenburg, von dort ist es ein weiter Weg bis in die Pariser Modeszene. 

Fashion looks Emily in Paris Netflix

Agentur-Chefin Sylvie lässt in der Serie Emily vor allem zu Beginn immer wieder spüren, dass sie ihrer Meinung nach nicht in die Pariser Luxusszene gehört. Wie snobby ist Paris wirklich? 
Es geht in meiner Branche schon um Äußerlichkeiten, klar. Und natürlich taucht man in eine krasse Szene ein, an die man sich erst mal gewöhnen muss. Zwischen meinem privaten Leben und den Luxusevents, auf denen ich beruflich unterwegs bin, besteht eine bewusste Diskrepanz.

Natürlich kommt es mir manchmal absurd vor, mit einer Haute-Couture-Kundin Konversation zu machen, die sich ein Kleid für 90.000 Euro kauft. Aber ich finde es auch inspirierend, mich mit den Themen wie Luxus-Hotels, Sternerestaurants und Kunstkäufen auseinanderzusetzen, in diese exklusive Welt einzutauchen und spannende Persönlichkeiten kennenzulernen.

Man muss nicht Teil von diesem Lifestyle sein, um ihn unterhaltsam und bereichernd zu finden. Das ist auch eine Form von Eskapismus. Aber ich finde, es hilft ungemein, wenn man privat ein Umfeld hat, das mit dieser Glitzerwelt weniger zu tun hat. Dann kann man die Modewelt für das schätzen, was sie gut kann: wunderschöne Illusionen erschaffen.

In welchen Momenten haben Sie das Gefühl, in Paris ein filmreifes Leben zu führen?
Wenn ich abends durch die Straßen schlendere oder mit meinen Freunden auf einer Dachterrasse einen Drink nehme und einfach die Schönheit dieser Stadt genieße! Der Alltag in Paris ist sehr dynamisch, man ist viel unterwegs und genießt das soziale Leben. Es ist immer was los, man kann jeden Tag was erleben, „the sky is the limit“, dieses Gefühl gibt einem Paris. Wenn ich diese Energie spüre, dann fühle ich mich schon ein bisschen wie „Emily in Paris“.