Neue Studie zu Handys in der Jugend: Fluch oder Segen? Smartphone hebt die Stimmung von Kindern – doch Experten warnen

Mal eben aufs Smartphone schauen – was Eltern vormachen, ist für Kinder und Jugendliche längst selbstverständlich. Neue Daten belegen: Es macht auch richtig Spaß. Doch die psychischen Langzeiteffekte geben Anlass zur Sorge

Schnell ein lustiges Video angucken, mit der besten Freundin chatten oder eine Runde online zocken: Viele nutzen ihr Smartphone mehrere Male am Tag für ein paar Minuten Entspannung. Manchmal auch für länger. Und was die Erwachsenen vorleben, treiben Kinder und Jugendliche längst routiniert auf die Spitze – und trennen sich kaum noch von ihrem elektronischen Gerät. Sie ist einfach zu verlockend, die kurze, bunte Mini-Flucht aus dem Alltag.

Und sie scheint auf den ersten Blick ja auch Spaß zu machen: Laut einer neuen Studie, veröffentlicht im Wissenschafts-Journal „PLOS One“, hebt die Nutzung von Smartphones tatsächlich die Laune bei 12- bis 17-Jährigen. Die Studie stößt damit in eine Art wissenschaftliches Vakuum vor: Obwohl die Auswirkungen von Smartphones und Apps auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen heiß debattiert werden, gibt es bislang nur wenig belastbare Aussagen und Daten dazu. Kaum zu negativen und erst recht nicht zu positiven Effekten.

Wie lange nutzt du dein Smartphone – und wie geht es dir damit?

Für ihre neue Studie suchten Matt Minich und Megan Moreno aus der Abteilung Pädiatrie (Kinder- und Jugendmedizin) der University of Wisconsin in Madison über Facebook und andere Kanäle junge Probandinnen und Probanden. Sie schlossen 253 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren in ihre Studie ein und kontaktierten sie regelmäßig und ziemlich spontan über ihr Smartphone: Nutzt du es jetzt gerade? Wie lange schon? Wie ging es dir vorher – und wie geht es dir jetzt?

All das wollten die Forschenden wissen, immer wieder: 30-mal in sechs Tagen erhielten die Jugendlichen eine Kurznachricht mit Fragebogen aufs Handy – zu Medienkonsum und aktueller Stimmung – und sollten innerhalb einer Stunde antworten. Diese „Überfalltaktik“ gilt in der Wissenschaft als zuverlässiger als rückblickende Befragungen, etwa zum Medienkonsum der vergangenen Woche, weil sich Probandinnen und Probanden im Nachhinein oft nicht mehr präzise erinnern.

Je länger Kinder am Handy hingen, desto besser war die Laune

Das Ergebnis der Befragung in den USA war eindeutig: Nutzten die jungen Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihr Smartphone, ging es ihnen besser. Je länger sie am Gerät hingen, desto mehr schien sich die Laune sogar aufzuhellen. Allerdings erhob die Studie nicht, was die 12- bis 17-Jährigen in dieser Zeit auf ihrem Handy eigentlich machten, ob sie Videos schauten, chatteten oder spielten. Entsprechen vage sind die Schlüsse, dies sich aus den Daten ziehen lassen.

Mehrere unabhängige Expertinnen und Experten, die die neue Untersuchung für das deutsche Science Media Center (SMC) in Köln einordnen, bleiben dementsprechend skeptisch: So sei zwar durch viele Studien gut dokumentiert, dass Smartphone- und Mediennutzung kurzzeitig die Stimmung aufhellen könne, sagt Adrian Meier, Juniorprofessor für Kommunikationswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: „Wenn mir langweilig ist, greife ich beispielsweise zum Smartphone und scrolle ein bisschen durch Social Media, schaue ein YouTube-Video oder spiele ein Mobile Game und fühle mich dann vielleicht gut unterhalten, abgelenkt von Sorgen oder kann kurzzeitig vor bestimmten Belastungen entfliehen.“ Allerdings zeigten sich solche stimmungsaufhellenden Folgen nicht in allen Studien und für alle Personen. Und es sei weitgehend unklar, ob sich Befunde aus den USA auf Deutschland übertragen ließen.

STERN PAID 28_23 Soziale Medien Titel_0616

Das Smartphone – Flucht aus dem Alltags-Stress

Auch seien Selbstauskünfte in der Forschung zur Smartphone-Nutzung zwar üblich, „aber tatsächliche Nutzungsdaten – so genannte digitale Spurdaten – wären hier deutlich informativer, da sie nicht so anfällig für Verzerrungen sind wie Selbstauskünfte“, so Meier. Und auch wenn Studien aus der Schweiz oder den Niederlanden zeigen, dass die Nutzung von Smartphone und Social Media in der Lage ist, die Stimmung für kurze Zeit zu verbessern, „kann eine auf Mediennutzung ausgerichtete Bewältigungsstrategie im Umgang mit eigenen Emotionen, etwa Langeweile oder Stress, auch dysfunktional werden. Dann nämlich, wenn ich lösbare Probleme und Herausforderungen nicht mehr angehe, sondern vorwiegend vermeide“, gibt Kommunikationsexperte Meier zu bedenken. Das Handy als Flucht aus dem Alltags-Stress.

In diesem Kontext verweisen Expertinnen und Experten schon länger auf ein mögliches Suchtpotenzial von Anwendungen auf Smartphone oder Tablet. „Das Smartphone mit seinen dazugehörigen Apps ist schließlich auch so gestaltet, dass die Nutzerinnen und Nutzer möglichst viel Zeit damit verbringen“, sagt Kathrin Karsay, Assistenzprofessorin für Unterhaltungsforschung am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien: „Optimierte Benutzeroberflächen, Gamification, algorithmisch kuratierte Inhalte, endloses Scrollen, soziale Anerkennung via Likes und Kommentare – all diese Instrumente dienen dazu, Nutzerinnen und Nutzer im wahrsten Sinne des Wortes bei Laune – und dadurch am Gerät – zu halten.“ Wichtig sei zudem, so Karsay, nicht nur die unmittelbaren, sondern auch die mittel- und langfristigen Effekte zu untersuchen, „zum Beispiel, wenn kurzfristige Belohnungen zu langfristigen Problemen führen, wie beispielsweise späteres Zubettgehen und Aufschieben von Aufgaben.“ Ein Problem, dass viele Eltern vermutlich bestätigen können.

Smartphone-Konsum und Suchtverhalten

Auch die Forschenden der neuen Studie aus Wisconsin ziehen aus ihren Positiv-Daten durchaus kritische Schlüsse. Sie vermuten, dass Jugendliche das Smartphone sehr gezielt nutzen, um sich besser zu fühlen, etwa als erlernte Strategie, um Stress abzubauen. Ihre Daten deuteten darauf hin, „dass Jugendliche Smartphones nutzen, um ihre Stimmung zu regulieren – was mit dem Verständnis von Smartphone-Konsum als Suchtverhalten durchaus zusammenpasst“, schreiben Matt Minich und Megan Moreno in der neuen PLOS One-Publikation.

Daten aus den USA belegen noch weitere negative Wirkungen auf die Psyche. Kritisch sehen Experten insbesondere den Sog und die psychischen Effekte sozialer Netzwerke, in denen man sich ständig in Sorge wähnt, Neues zu verpassen oder geradezu genötigt wird, sich mit durchtrainierten Influencern oder Online-Bekanntschaften mit angeblich schillerndem Alltag zu vergleichen. Ein Problem möglicherweise gerade für die Jüngsten: Seit rund 15 Jahren sind Iphones und Android-Handys auf dem US-Markt – und praktisch alle Jugendlichen in den USA (etwa 95 Prozent) nutzen heute Umfragen zufolge ein eigenes Gerät, 46 Prozent geben an, sogar fast ununterbrochen online zu sein. Im gleichen Zeitraum stiegen die Raten für Depression, Selbstverletzung und Suizide unter Jugendlichen. In anderen Studien zeigte sich ein Zusammenhang zwischen sozialen Plattformen und Stress, Ängsten oder Essstörungen.

Gleichzeitig sammeln Online-Konzerne wie Meta mit seinen Plattformen Facebook und Instagram ständig Daten über ihre Nutzer und Nutzerinnen und deren Befindlichkeiten, um sie für Werbezwecke zu nutzen. Auch die neue Studie aus Wisconsin hat Verbindungen zu einem der großen Internet-Konzerne. Sie basiert auf Daten eines größeren Projektes, finanziert von einer Forschungsabteilung von Facebook.