Brandanschläge, Hass-Parolen und Bedrohungen – rechtsextreme Straftaten in Neukölln haben für Schlagzeilen gesorgt. Nach einem ersten Prozess gab es enttäuschte Reaktionen. Nun folgt ein weiterer.
Rund drei Jahre nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Anklage erhoben hat, beschäftigt die rechtsextreme Anschlagsserie in Berlin-Neukölln erneut die Justiz. Vor dem Berliner Landgericht beginnt heute (9.30 Uhr) der Berufungsprozess gegen die beiden Hauptverdächtigen im Alter von 38 und 41 Jahren. Die Anklage wirft ihnen unter anderem Bedrohung, Brandstiftung beziehungsweise Beihilfe dazu sowie Sachbeschädigung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor.
In der Nacht des 1. Februar 2018 sollen sie – möglicherweise unter Beteiligung weiterer, unbekannter Menschen – im Bezirk Neukölln die Autos der Zeugen angezündet haben. Zudem sollen die Angeklagten bei verschiedenen Gelegenheiten vor allem im Jahr 2017 Plakate und Aufkleber mit rechtsextremen Parolen geklebt haben.
In erster Instanz Freispruch vom zentralen Vorwurf der Anklage
Nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft wollte das Duo Menschen einschüchtern, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. In erster Instanz wurden die beiden Männer jedoch aus Mangel an Beweisen 2022 und 2023 vom zentralen Punkt der Anklage freigesprochen, allerdings wegen Sachbeschädigung in mehreren Fällen verurteilt. An einer rechten Gesinnung der beiden – einer war früher in der NPD, der andere im AfD-Vorstand – hatte das Amtsgericht Tiergarten damals keine Zweifel.
Gegen die Urteile haben sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die Verteidigung Berufung eingelegt. Darum kommt es erneut zum Prozess. Die Vorsitzende Richterin Susann Wettley hat bislang 14 Verhandlungstage geplant. Ein Urteil könnte am 28. November gesprochen werden. Der Prozess erfolgt unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Zuschauer dürfen nach Angaben einer Gerichtssprecherin beispielsweise keine Handys mit in den Saal nehmen.
Als Nebenkläger ist erneut der Linke-Politiker Ferat Koçak, seit 2021 Mitglied des Abgeordnetenhauses, am Prozess beteiligt. Sein Auto stand in der Nacht zum 1. Februar 2018 in Flammen. Es sei „eine enorme emotionale Belastung“, sich erneut mit den Ereignissen auseinanderzusetzen, sagte Koçak vor dem Prozess. Seine Vernehmung sei bislang im November geplant.
Anklage erfasst nur Bruchteil der Vorfälle
Die rechtsextremen Anschläge – vor allem zwischen 2016 und 2019 – beschäftigen Polizei und Justiz in Berlin seit Jahren. Mehr als 70 rechtsextreme Straftaten hatten die Ermittlungsbehörden seit 2013 in Neukölln gezählt. Erst im August 2021 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage. Diese erfasste nur einen Bruchteil der Vorfälle, zentraler Vorwurf war die Brandstiftung auf die Autos des Linke-Politikers und eines Buchhändlers.
Mit den rechtsextremen Brandanschlägen, Hass-Parolen und Bedrohungen in Neukölln beschäftigt sich auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses.