Serie: „Emily in Paris“, Teil 2: Elf drängende Fragen an ein chaotisches Drehbuch

Wo lagert Emily eigentlich ihre Garderobe? Wieso ist in einer Szene Winter, in der nächsten Sommer? Und kann Brigitte Macron die Serie retten? Elf Fragen zu den neuen Folgen von „Emily in Paris“.

Achtung: Dieser Artikel enthält Spoiler zu Teil zwei der vierten Staffel von „Emily in Paris“. 

Ok, wie war noch gleich der aktuelle Stand bei „Emily in Paris„? Netflix hatte sich ja dazu entschlossen, die vierte Staffel der Serie rund um Marketing-Supernova Emily Cooper (Lily Collins) melodramatisch in zwei Teile zu teilen. Was hauptsächlich dazu führt, dass man, kaum wieder in die Handlung um Liebesdreiecke und bizarre Product-Placement-Storylines eingestiegen, erneut den Faden verloren hat. 

Daher an dieser Stelle ein kurzes Update: Zu Beginn der neuen Folgen ist Emily endlich mit Gabriel (Lucas Bravo) zusammen, allerdings steht die Beziehung unter keinem guten Stern, weil dessen Ex Camille (Camille Razat) vortäuscht, ein Baby von ihm zu bekommen. Emilys Freundin Mindy will beim „Eurovision Song Contest“ mitmachen, und Emilys Chefin Sylvie Grateau verarbeitete #Metoo-Erinnerungen in Rekordgeschwindigkeit. 

Emily in Paris: Chaotisches Drehbuch und neue Liebe

Unter diesen Voraussetzungen starten Emily und ihre Freunde in den neuen Folgen in die Weihnachtspause, die weniger fröhlich ausfällt, als sich Emily das in ihrem blinkenden „Ugly Christmas Sweater“, der in Frankreich natürlich auf Entsetzen stößt, wünschen würde: Ein desaströser Ski-Ausflug zwingt sie dazu, ihre Zukunft mit Gabriel zu überdenken; Camille kleidet sich zwar in Schneeweiß, kann ihre manipulativen Hände aber kaum in Unschuld waschen; und Gabriel, der nun drei Staffeln lang von einem Michelin-Stern träumte, verliert in dem ganzen Liebes-Wirrwarr angeblich die Lust am Kochen. Merde! STERN PAID 34_24 Emily in Paris 09:01

Es zeichnet sich schon ab: Auch in den fünf neuen Folgen werden offene Handlungsstränge nicht zu Ende geführt, sondern so lange weitergesponnen, bis sie sich aussichtslos verknotet haben. Und die Lösung nur noch lauten kann: Es muss ein hotter neuer „love interest“ für Emily her – und womöglich eine neue Stadt. Was, wie, wo? Bei allen, die von der Love-Hate-Relationship mit Emily einfach nicht lassen können (also doch immer weiterstreamen, obwohl sie sich schon zwölfmal geschworen haben, damit aufzuhören), drängen sich Fragen auf. Und zwar viele. 

1.Wie lange kann man eine Schwangerschaft vortäuschen? Dass es die Serie mit plausiblen Zeitangaben nicht so genau nimmt, geschenkt (erst sollte Emily als Marketing-Profi süße 22 Jahre alt sein, inzwischen ist sie doch eher um die 30). Aber dass die angeblich schwangere Camille im Spätsommer in Monets Seerosenteich hüpft und im Dezember immer noch unbemerkt nicht-schwanger ist – das scheint selbst in Emilys Märchen-Universum unrealistisch. Immerhin ist Emilys Lebenskrise-Pony seither längst rausgewachsen! 

2. Emily zaubert für wirklich jede Gelegenheit eine passende Garderobe aus dem Nichts herbei, vom Abendkleid bis zum Motto-Outfit; es ist nach wie vor ungeklärt, wo sie in ihrer Mini-WG mit Mindy all diese Klamotten lagert. Nur ausgerechnet beim Skitrip in Megève muss sie sich Klamotten von Camille leihen? Und trägt dann nicht mal einen Helm, obwohl sie kaum die Schneepflug-Kurve schafft?! 

3. Die snobby Agentur-Chefin Sylvie wird plötzlich „Stiefmutter“ und geriert sich als gute Fee, indem sie Familienzuwachs Genevieve erst mal Paris-tauglich umstylt und ihr einen Job anbietet. Ernsthaft? Wo ist die unterkühlte Bosslady Sylvie abgeblieben, die in den ersten Staffeln ihr Umfeld in „Der Teufel trägt Prada“-Manier herumkommandierte? Für den Entertainment-Faktor ist eine allzu liebe Sylvie jedenfalls Gift. 

Nicht der kleinste Struggle im Dating-Leben

4. Kann Emily im Dating-Leben bitte auch mal den kleinsten Struggle erleben? Entschuldigung, aber in welchem Großstadt-Liebeseben gibt es das, dass man NIE frustriert durch Tinder scrollt, NIE ein peinliches Schweige-Date erlebt, NIE feststellen muss, dass eine neue Beziehung anscheinend viel offener ist, als man das vereinbart hatte? Emily fliegen die schönen, kultivierten, höflichen, romantischen, und ja, auch meist sehr wohlhabenden Liebeskandidaten nur so vor die Füße. In den neuen Folgen im wahrsten Sinne des Wortes, als Italiener Marcello sie auf der Skipiste mit einem strahlenden Lächeln rettet, leider nicht direkt nach ihrer Nummer fragt und deshalb, wie sich später herausstellt, anschließend offenbar monatelang bei seiner Mutter die verpasste Romanze mit „beautiful Emily“  betrauert. (Zum Glück werden im Emily-Universum selbst die unwahrscheinlichsten Zufälle bemüht, um zwei Herzen zusammenzuführen, die vermeintlich zueinander gehören – so spielt Marcello mit Mindys Freund Nicholas Polo! Quelle Surprise!! Hach, die europäische Jet-Set-Szene ist wirklich klein.) 

Fashion looks Emily in Paris Netflix

5. Apropos Polo: Wieso kann sich Emily an Weihnachten über Schnee in Paris freuen, wenige Tage später ein Poloturnier in frühlingsfrisch grünender Natur besuchen und abends beim ersten Date mit Marcello wieder kalten Atem in die Pariser Winterluft hauchen? 

6. Greifen alle nach dem eigenen Handy, wenn es in der Serie bimmelt? (Und das ist sehr oft). 

7. Wie viele „Eigentlich ist es aus zwischen uns, aber einen Hoffnungsschimmer für die Zuschauer müssen wir noch glimmen lassen“-Unterhaltungen zwischen Emily und Gabriel müssen wir noch ertragen? Das ist seit Staffel drei schon nicht mehr charmant, sondern nur noch nervig. 

8. Wow, das kommt unerwartet, aber: Kann man von Emily tatsächlich etwas übers Grenzen setzen im Berufsleben lernen? Als sie ENDLICH mal zwei Tage frei nimmt, um ihren neuen Lover Marcello in Rom zu besuchen, gibt sie Chefin Sylvie klipp und klar zu verstehen, dass sie Urlaub hat, als diese ihr einen Arbeitsauftrag zuschustern will. Merke: Wenn man Urlaub hat, hat man Urlaub, und es geht nicht gleich die Welt unter, wenn man mal Nein zu Kollegen-Bitten sagt. 

9. Beendet hier etwa gerade Brigitte Macron höchstpersönlich die Debatte, ob „Emily in Paris“ der Stadt gut tut oder mit der hyper-romantisierten Darstellung eines Pariser Parallel-Universums nur Klischees bedient? Ja, tatsächlich, es ist die Première Dame, die von Emily in einem Restaurant angequatscht wird, weil sie einander „dans la Instagram“ folgen. Brigittes Urteil über Emily: „Du liebst unser Land, und unser Land liebt dich!“ Na gut, dann muss wohl alles zurückgenommen werden, was je über Emilys stereotyper Baguette-und-Baret-Vorstellung von Frankreich geschrieben wurde …

10. Jetzt mal ehrlich: Ist Emily, die in vier Staffeln kaum mehr Französisch als „Bonjour“ gelernt hat, wirklich die geeignete Kandidatin, um das italienische Büro der Agentur Grateau zu eröffnen?! Also, im Vergleich mit Emilys völlig illusorischer Karriere kommen sich alle Schneeflocken-Millennials, die seit 2008 ihren Lebenslauf pimpen, um in irgendwelchen mittelmäßig bezahlten Medienjobs zu arbeiten, langsam wirklich veräppelt vor. 

11. Letzte Frage: Wie kann eine Serie so chaotisch geschrieben und schlecht geschauspielert sein und trotzdem dafür sorgen, dass man sofort einen Flug nach Paris buchen möchte?? (Oder nach Rom. Auch gut.)